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„Gut, dann wäre alles geregelt", sagte Klaus und stand von einem runden Tisch auf, an dem Emil, Yeshi, Leon, Tulu und Hannah saßen. Dabei sah er mitfühlend zu Hannah und strich ihr beim Aufstehen liebevoll über die Schulter. Hannah zwang sich ein Lächeln ab und nickte. Die anderen standen ebenfalls auf: „Hannah, kommst du?", fragte Leon besorgt als er schon an der Tür stand, doch Hannah schüttelte den Kopf. „Ich brauche einen Moment. Komme gleich nach, ok?" Leon zögerte und dachte einen Moment darüber nach bei ihr zu bleiben, überlegte es sich jedoch anders und ließ Hannah alleine im Besprechungsraum. So hatte sich Hannah diese Sitzung ganz und gar nicht vorgestellt. Klaus kam mit beunruhigenden Nachrichten zurück nach Asebe Teferi. Aufgrund der voranschreitenden Entwicklungen, die Yeshi und letzten Endes auch Hannah zu verdanken waren, wurde beschlossen, das Projekt mit weniger Mittel zu finanzieren. Yeshi würde weiter als Lehrerin arbeiten und Aufklärungsarbeit leisten, doch Hannahs Aufgabe war somit hinfällig. Sie wusste, dass sie selbst nur als ehrenamtliche Entwicklungshelferin in Asebe Teferi tätig war. Dass der Abschied aus Äthiopien so abrupt im Raum stand, war Hannah jedoch nicht bewusst. Klaus versuchte seiner Tochter zu Liebe weitere ehrenamtliche Stellen mit ihr zu besetzen, doch vergebens. Stattdessen war für Hannah eine Stelle in München vorgesehen, bei der sie weitere Projekte koordinieren und Krisengebiete anhand psychologischer Gutachten bewerten sollte. Als Hannah von diesem Vorschlag hörte, war sie hellauf begeistert und stimmte ihrem Vater sofort zu. Doch je weiter die Sitzung voranschritt, desto mehr wurde ihr klar, was das eigentlich bedeutete; sie musste nach zwei Jahren harter Arbeit wieder zurück nach Deutschland, in eine fremde Stadt, weit weg von ihren Verwandten und noch viel weiter Weg von Leon. Hannah sollte noch zwei Wochen mit Yeshi zusammen arbeiten, ehe sie bis zu ihrem Rückflug nach Addis Abeba ziehen sollte, um von dort die ersten organisatorischen Dinge für ihre Heimkehr zu planen.

Die zwei Wochen vergingen wie im Flug. Yeshi organisierte mit ihren Schülern eine kleine Abschiedsfeier für Hannah, die sie zu Tränen rührte. Ihre Schüler bastelten Ketten und malten Bilder, die sie Hannah auf ihre Reise mitgaben. Am Abend ihres Abschieds saßen alle gemütlich beisammen. Selbst Emil, der sonst in jeder Situation die Haltung bewahrte, wurde wehmütig und verdrückte ein paar Tränen zum Abschied. „Emil, so habe ich dich noch nie erlebt. Ich bin doch nicht aus der Welt. Wir wussten doch, dass es irgendwann wieder zurück gehen wird.", sagte Hannah und wischte sich eine einzelne Träne von der Wange." „Ja, das weiß ich doch. Ich bin trotzdem traurig. Das darf ich ja wohl sein." Er drückte Hannah fest an sich. „Los, mach schon, dass du weg kommst." Emil lächelte schief und entließ Hannah aus seiner Umarmung. Schnell verabschiedete sie sich von den anderen und setzte sich zu Leon in den Geländewagen, der sie nach Addis Abeba begleitete. Eine Weile fuhren sie schweigend durch die Nacht. Hannah versuchte sich jeden Baum, jeden noch so kleinen Hügel und die Landschaft einzuprägen und schaute verträumt aus dem Fenster. Sie erschrak, als Leon ihr behutsam seine Hand auf den Oberschenkel legte. „Wir schaffen das.", sagte er, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. Verwirrt über seine zusammenhangslose Aussage, sah sie zu Leon hinüber, als dieser anfing zu seufzen und in der Dunkelheit ihre Hand suchte, die er fest drückte. „Du weißt, ich bin nicht gerade ein Süßholzraspler, aber ich liebe dich. Du bist einfach die Frau, mit der ich mein Leben verbringen will." Hannah spürte wie ihr die Hitze zu Kopf stieg. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Stattdessen legte sie ihre freie Hand auf seine. „Du musst nichts darauf antworten. Ich wollte nur, dass du das weißt.", versicherte Leon ihr und führte ihre Hand zu seinem Mund, was Hannah zum Lächeln brachte. „Ich liebe dich auch." Die ganze Fahrt über hielten sie sich bei den Händen, vertieft in ihre eigenen Gedanken. Hannah dachte über ihre letzten Beziehungen nach und schüttelte innerlich den Kopf über sich selbst. Sie dachte an Michael, wie er vor ihr kniete und er ihr einen Heiratsantrag machte, den sie knallhart ablehnte und Panik bekam, als Jürgen ihr seinen Kinderwunsch offenbarte. Leons Worte hingegen lösten keine Massenpanik in ihr aus, im Gegenteil. Aus ihrer Körpermitte verteilte sich eine wohlige Wärme in all ihre Gliedmaßen und Gesicht. Sie fühlte sich geborgener denn je. Vor ihrem inneren Auge sah sie Leon, der vor ihr kniete und, wie Jürgen damals, auf ihrer Bettkante saß und sagte, dass er mit ihr Kinder haben wollen würde. Allein diese Vorstellungen zauberten Hannah ein Lächeln ins Gesicht, wodurch ihr klar wurde, dass Leon auch für sie der Richtige sein musste.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt