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„Ich glaube, wir können ohne Bedenken wieder nach draußen gehen.", bemerkte Hannah als sich der Stall aufgrund der Sonne erhellte. Sie stand auf und öffnete vorsichtig die Tür. Der Geruch von nassem Lehmboden kam ihr entgegen, die warme feuchte Luft preschte ihr wie eine Wand entgegen. Hannah streckte sich und lockerte ihre Gliedmaßen, ehe sie sich Paddy wieder zu drehte. „Kommst du?" Paddy nickte und stand ebenfalls auf. Er genoss ihre Gegenwart in dem kleinen Stall und war glücklich, dass sie trotz all der Zeit, die sie zusammen durchgemacht hatten, miteinander redeten. „Gibst du mir das Tuch? Dann können wir sie schnell hier draußen aufhängen, bevor wir uns zum Wagen machen. Der kann schließlich nicht auf der Straße stehen bleiben."

Gemeinsam schlenderten sie zum Wagen, dabei unterhielten sie sich wie zuvor im Stall. Hannahs Neugier gewann die Oberhand und von ihrer Neugier geleitet, stellte sie Paddy immer wieder neue Fragen. Anfangs war sie skeptisch, ob sie es überhaupt schaffen würde, einen normalen Umgang mit Paddy zu pflegen, doch es schien einfacher als gedacht. „Wie kann ich denn das verstehen? Ich dachte, du wolltest für immer im Kloster bleiben. Kann man sich da einfach umentscheiden? Also ich meine, hast du nicht schon früher gemerkt, dass das Leben im Kloster für dich nichts ist?" „Um das heraus zu finden gibt es ja dieses zeitliche Gelübde, weißt du? Ich war die letzte Zeit im Kloster immer wieder mal krank und bis mir klar wurde, dass mir mein Körper schon damit sagen wollte, das Klosterleben ist für mich vorbei, hat es eben nochmal eine Zeit gedauert." „Mhh, verstehe." Hannah fing an zu kichern. „Es tut mir leid, ich kann mir immer noch nicht vorstellen, wie du es geschafft hast, morgens so früh aufzustehen, ständig zu schweigen und keine Musik zu machen." Paddy lächelte Hannah an. „Da warst du nicht die einzige. Maite hat auch daran gezweifelt, aber ich muss sagen; die Pause von dem ganzen Rummel, tat wirklich gut. Immerhin empfinde ich wieder ein wenig Freude, wenn ich Musik mache." „War es so schlimm?" Besorgt musterte Hannah Paddy von der Seite, als dieser nur nickte. „Und was hast du jetzt geplant? Wieder zurück auf die große Bühne?" Er grinste breit. „Weißt du, dass du dich kaum verändert hast? Deine Neugier hast du überhaupt nicht verloren. Was hast du denn vor?" Paddy drehte den Spieß um, so dass Hannah nun an der Reihe war zu antworten. „Willst du hierbleiben oder irgendwann wieder mal zurück nach Köln?" „Mhh, ich bin zurzeit hier eigentlich ganz zufrieden. Bevor ich hierher gekommen bin, habe ich meine Wohnung in Köln komplett aufgegeben. Ich würde schon irgendwann wieder zurück, vielleicht nicht unbedingt zurück nach Köln, aber nach Deutschland; aber ich setze mir keine zeitliche Grenze. Ich will meine Zukunft nicht so detailliert planen." „Hast du keine Zukunftspläne mit Leon?", fragte Paddy verwirrt. Hannah spürte wie ihr die Hitze in den Kopf stieg. „So weit habe ich echt noch nicht gedacht und über so etwas haben wir auch noch gar nicht geredet." Sie war froh, dass sie am Auto ankamen und sie das Thema wechseln konnte. „Ich versuche es erstmal so", sagte Hannah, stieg ins Auto und ließ den Motor an. Nach einigen Versuchen gelang es ihr den Wagen aus dem Matsch zu befreien und grinste triumphierend, als sie neben Paddy zum Stehen kam. „Alles einsteigen!" Paddy stieg ein und ließ sich in den Sitz sinken. „Also, was ist? Hast du dir ein Bild über die Felder machen können oder willst du noch mehr davon sehen?" Paddy schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich habe einen guten Einblick bekommen. Wir können gerne zurück ins Dorf fahren." Doch Hannah grinste und wendete den Wagen. „Ich habe eine bessere Idee." Mittlerweile kannte Hannah die Gegend wie ihre Westentasche und wusste, wo sie auch nach einem Gewitter lang fahren konnte. Sie fuhr über holprige Wege, so dass es sich im inneren des Wagens ordentlich bewegte. „Du bist dir aber schon sicher, dass du hier lang fahren kannst?", fragte Paddy als er sich auf einer besser befahrbaren Straße wieder aufrecht hinsetzen konnte. „Vertrau mir. Der Weg ist es wirklich wert." Nachdem sie einige Zeit gefahren waren, hielt Hannah vor einem blau bemalten Eisentor. „So da wären wir.", sagte sie selbstverständlich. Während Hannah freudestrahlend ausstieg, zögerte Paddy ein wenig. „Wo sind wir?" Sie zeigte auf das blaue Tor. „Ich dachte, vielleicht willst du dir mal eine der vielen Kirchen hier in der Nähe anschauen. Das hier ist eine orthodoxe Kirche, soweit ich weiß." Die Kirche war komplett aus Holz und künstlerisch mit bunten Farben bemalt. Flache Treppen führten in die Kirche hinein, die mit einem Baldachin überdacht waren. Drei Kuppen mit jeweils reich verzierten Kreuzen rundeten das Bild der Kirche ab. Gelassen öffnete Hannah das blaue Tor und ging auf die Kirche zu, Paddy folgte ihr. Er staunte über die Einfachheit der Kirche, die dennoch so liebevoll gestaltet wurde, dass er sich geborgen fühlte. Sie nahmen auf einer Bank, die tierisch knarrte, Platz und hingen eine Weile ihren Gedanken nach. Paddy hätte am liebsten eine Kerze angezündet, doch es war weit und breit keine zu sehen, dennoch kehrte er in sich und sprach ein stilles Gebet, ehe er gemeinsam mit Hannah die Kirche wieder verließ. „Wir sind hier übrigens mitten im Wildreservat. Komm, wir gehen noch ein Stück den Berg hoch. Von dort aus hat man eine echt schöne Sicht auf Asebe Teferi.", sagte Hannah, während sie rückwärts den Weg weiter ging, um Paddy zu betrachten.

Die Aussicht war atemberaubend. Hannah stand an der Klippe und fühlte sich frei. Sie atmete bewusst ein und aus, spürte die heiße Sonne in ihrem Gesicht. Paddy ließ seinen Blick über das Tal schweifen. „Wow, das ist wirklich...echt. Wahnsinn." Sie grinste. „Habe ich zu viel versprochen?" „Nein ganz und gar nicht. Es ist wunderbar hier." Sie setzte sich an eine Kante und genoss die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlte. Paddy setzte sich neben sie. „Ich weiß noch nicht, was ich vorhabe." Hannah blickte verwirrt drein. „Was meinst du?" „Naja, du hast mich doch gefragt, was ich jetzt nach dem Kloster machen will. Ich habe wirklich keine Ahnung. Ich werde mir erstmal eine eigene Bleibe suchen. Fern ab vom Trubel, irgendwo in einem kleinen Dorf, am besten in den Bergen, wo mich niemand kennt. Wenn ich Lust habe, mache ich alleine Musik, wenn nicht, dann eben nicht. Ich muss erstmal richtig ankommen." Er seufzte. „Ich liebe meine Geschwister, aber nach sechs Jahren im Schweigekloster, bevorzuge ich es doch meinen eigenen Raum zu haben." Hannah lachte. „Hattest du den denn im Kloster? Es ist bestimmt komisch alleine auf der Bühne zu stehen." Paddy stützte sich auf seine Ellenbogen und lehnte sich nach hinten. „Natürlich hatte ich den. Und alleine auf der Bühne stehen ist auch gar nicht so übel. Das habe ich schon vor dem Kloster gemacht." „Hä, wie jetzt?" Nun war es Paddy der anfing zu lachen. „Sag mal, war ich abgeschottet von der Außenwelt oder du? Bevor ich ins Kloster gegangen bin, war ich solo unterwegs." Hannah schüttelte ungläubig den Kopf. „Nein, das wusste ich nicht. Du weißt doch, ich habe früher schon keine Bravo oder so etwas gelesen und CDs hatte ich von euch doch auch nicht, bis auf..." Hannah stockte. Wieder kam dieses Gefühl in ihr auf, das ihr nicht nur gefühlt den Magen, sondern auch die Kehle zuschnürte. Ihr Blick wurde traurig. Sie wand ihr Gesicht von Paddy ab und fokussierte stattdessen einen Punkt in der Ferne. Paddy, der ihre Traurigkeit in den Augen auffing, konnte nur erahnen, was sie eigentlich sagen wollte und erinnerte sich nur zu gut an den Tag, an dem er seine Aufnahmen, die nur für Hannah bestimmt waren, beendete und ihre persönliche Version des From their Hearts-Albums fertigstellte. Er räusperte sich und versuchte einen fröhlichen Ton anzuschlagen. „Es ist schon spät. Vielleicht sollten wir so langsam zurück. Die anderen sind bestimmt auch schon längst wieder da." „Ja, da hast du wahrscheinlich recht." Paddy reichte Hannah seine Hand und half ihr hoch. Sie klopfte sich den Staub von der Hose und lächelte dankend, ehe sie schweigend und mit einer gewissen Beklemmung in der Luft zum Geländewagen liefen.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt