36

374 22 1
                                    

„Also dann, danke für deine Hilfe.", sagte Hannah leise und brachte Paddy zur Haustür. „Gerne. Wenn was ist, kannst du dich ja einfach melden. Du hast ja meine Nummer." „Klar, hier ist ja auch noch ein bisschen zutun." Eine peinliche Stille trat ein. Hannah wusste nicht wie sie sich von Paddy verabschieden sollte und fühlte sich absolut nicht wohl in ihrer Haut. Ziemlich verklemmt rangen sich beide zu einer kurzen, verkrampften Umarmung durch. „Also bis dann." So schnell diese peinliche Verabschiedung vonstattenging, so schnell ging auch Paddy zu seinem Wagen. Hannah schloss erleichtert die Tür und atmete tief durch. So hatte sie sich das alles überhaupt nicht vorgestellt. Sie schämte sich schon fast dafür, dass sie froh war Paddy endlich los geworden zu sein. Die Atmosphäre und die Distanz zwischen den beiden löste sich den Abend einfach nicht auf. Nach einem schweigenden Pizzaessen, folgten peinliche Stille und, wenn überhaupt, krampfhafter Small Talk. Hannah zwang sich unten im Keller noch einige Kartons durchzugehen, während Paddy wiederum aussortierte Dinge nach oben trug. Irgendwann wurde es Hannah dann auch zu blöd, da diese Spannung zwischen ihnen einfach nicht mehr erträglich war und täuschte Müdigkeit vor. Sie vermutete, dass Paddy über ihre Müdigkeit auch mehr als dankbar war und versuchte sich schnellstmöglich von Hannah zu verabschieden.

Nachdem Hannah gedankenverloren durch die Programme zappte, überkam sie endlich die Müdigkeit und sie ging zu Bett. Dort ließ sie ihren Tag Revue passieren. Vor nicht mal 48 Stunden war sie noch auf einem Kontinent, fern ab von ihrer Mutter und den Erinnerungen, die in Köln fest verankert waren. Der Tag hatte zwar nur 24 Stunden, aber dennoch kam es Hannah so vor, als ob der Tag viel länger gewesen wäre, saß sie doch gerade erst mit ihrer Mutter beim Frühstück. Über die Begegnung mit Paddy wollte sie keine weiteren Gedanken verlieren. Sie verdrängte ihre Gedanken dazu und war einfach nur froh darüber, dass sie ihn so schnell es ging wieder aus dem Haus hatte. Schließlich hatte sie einen Umzug zu planen.

Am nächsten Morgen wurde Hannah von kleinen, feuchten Kinderhänden geweckt, die ihr ins Gesicht piekten. „Aufstehen!" Caro beobachtete Hannah aufmerksam, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Hannah brummte und drehte sich auf die andere Seite. Langsam watschelte ihr Patenkind auf die andere Seite des Bettes und kletterte wenig graziös auf Hannahs Bettdecke. „Aufstehen, Hannah!", versuchte es Caro nochmal und quiekte vergnügt, als Hannah ihre Augen erschrocken aufriss. Lachend klatschte sie in die Hände. „Aufstehen!" Hannah gähnte. „Was machst du denn hier, kleine Maus?" Sie setzte sich auf und schloss Caro in die Arme. Nach einer ausgiebigen Begrüßung gingen die beiden nach unten, wo sie ein reichlich gedeckter Frühstückstisch erwartete. „Mahlzeit!" Sandra lächelte Caro und Hannah freudig an. „Guten Morgen kann ich ja um diese Uhrzeit wohl kaum noch sagen." Hannah grinste und streckte sich ausgiebig, nachdem sie Caro an den Tisch setzte und Sandra mit einer Umarmung begrüßte. „Deine Mutter ist schon wieder weg. Man, dass sie immer noch so beschäftigt ist." „Und sie hilft mir trotzdem wo sie kann.", entgegnete Hannah und schenkte sich Tee ein. „Ich dachte, ich komme schon mal vorbei, damit wir ein bisschen planen können.", sagte Sandra und griff nach einem Brötchen. „Ich dachte, wir machen heute einen Gemütlichen, schlendern ein bisschen durch die Kaufhäuser und gucken vielleicht auch schon mal ein bisschen nach neuen Möbeln." Hannah lachte. „Das nennst du gemütlich? Meine Mutter hat mir schon gesagt, dass du total scharf aufs Möbelshoppen bist." Sandra stimmte in das Lachen mit ein. „Da hast du mich jetzt aber eiskalt erwischt. Aber erzähl, wie war die Heimreise?" Hannah erzählte Sandra alles über die letzten Tage in Äthiopien und auch Sandra brachte ihre Freundin auf den neusten Stand. „Und gestern hast du auch schon ein bisschen aussortiert? Wow, also ich hätte nach dem langen Flug überhaupt keinen Elan mehr gehabt.", gab Sandra zu, doch Hannah machte eine saloppe Handbewegung. „Ach, alles nicht der Rede wert." Dass Paddy gestern noch bei ihr aufgetaucht war, erwähnte Hannah jedoch nicht.

Paddy hingegen schlief sehr unruhig. Als Joey versuchte, seinen Bruder zu wecken und zum Joggen zu motivieren, zog er sich die Decke über den Kopf und knurrte vor sich hin. Joey kannte dieses Verhalten nur zu gut von früher und ließ seinen Bruder in Ruhe. „Ich habe zwar keine Ahnung, was die über die Leber gelaufen ist, aber ich hoffe, dass sich deine Laune den Tag über bessert." Mit diesem Worten verlies Joey das Gästezimmer und lief seine übliche Joggingroute. Nach einiger Zeit quälte sich Paddy aus dem Bett, seine Haare standen in alle Himmelrichtungen und seine Wange zierte tiefe Abdrücke des Kissens. Voll automatisch zog er sich Hose und Shirt über und ging geradewegs in die Küche. An solchen Tagen brauchte Paddy Kaffee, sonst würde er den ganzen Tag durchhängen. Während der Kaffee durch die Maschine lief, starrte er geistesabwesend in den Garten. „Was habe ich mir gestern nur dabei gedacht?", murmelte er vor sich hin und dachte an das verkrampfte Wiedersehen mit Hannah. Er selbst fühlte sich anfangs recht wohl und freute sich auch in gewisser Weise Hannah wiederzusehen. Schließlich haben sie sich doch auch in Äthiopien nach einiger Zeit wieder so gut verstanden und auch die E-Mails, die zugegebenermaßen eher einseitig waren, zeigten keinen Anhaltspunkt, dass Hannah so distanziert reagierte. Paddy zermarterte sich die ganze Nacht den Kopf, fragte sich, was er falsch gemacht hat. Ist er zu weit gegangen? Hat er etwas Falsches geschrieben oder etwas falsch verstanden oder interpretiert?

Nachdem er seinen Kaffee getrunken hatte, verschlug es Paddy in den Garten. Das Unkraut sprießte nur so vor sich hin und das wollte Paddy unbedingt beseitigen. Vor allem konnte er bei der Gartenarbeit in sich gehen und in Ruhe über alles nachdenken. Er war gerade dabei das Unkraut zwischen den kleinen Tomatenpflanzen zu jäten, als er von weiten schon Maite hörte, die ihn freudestrahlend zurief und winkte. „Immer bei der Arbeit, mein Lieblingsbruder. Hallo Paddy." Sie stockte in ihrer Bewegung als sie in Paddys müdes Gesicht sah. „Oh Paddyboy, du siehst aber gar nicht munter aus." Paddy grunzte zur Antwort und rupfte nach und nach Unkraut, welches er in einen kleinen Eimer schmiss. „Wie geht's Tricia?", fragte er, um das Thema zu wechseln. „Alles bestens. Sie sieht auch schon viel gesünder aus. Deswegen bin ich auch schon früher hier und Sandra hat mich angerufen. Sie plant ein kleines Willkommensessen für Hannah und hat uns eingeladen. Du bist übrigens auch gerne gesehen.", zwinkerte Maite und setzte sich auf eine Bank, die neben dem Gemüsebeet stand. Paddy setzte sich hin, schlang seine Arme um die Knie und seufzte. „Ich denke, das ist keine gute Idee." Seine Schwester schaute ihn verständnislos an. „Wieso denn? Was hast du jetzt schon wieder angestellt?" „Warum denkst du immer, ich hätte etwas angestellt?" „Klärst du mich jetzt auf oder nicht?" Widerwillig erzählte Paddy von der Begegnung mit Hannah. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so schlimm gewesen sein soll.", sagte Maite, „Das hast du dir sicher eingebildet." Paddy zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, wie ich mich gefühlt habe und ich möchte das nicht noch einmal erleben. Zumal ich ihr und euch auch nicht zur Last fallen möchte." „Bu-uh. Jetzt verfall hier mal nicht in Selbstmitleid, Paddy. Jetzt denk nicht weiter darüber nach und komm später einfach mit. Agnes und Josephine vermissen dich und freuen sich auch schon dich wieder zu sehen." Paddy rollte mit den Augen. „Es ist nicht fair, dass ihr immer eure Kinder als totschlagendes Argument anführt." Maite lächelte triumphierend. „Also kommst du mit? Du willst gar nicht wissen, was Agnes für Krokodiltränen weinen kann, wenn du nicht da sein solltest." „Ja, ja ist ja schon gut. Für Agnes und Josephine.", erwiderte Paddy genervt. Zufrieden mit seiner Entscheidung stand Maite von der kleinen Bank auf. „Geht doch...Und so nebenbei. Wenn du dir Kinder zulegen würdest, dann hättest du nicht nur das Totschlagargument, sondern auch perfekte Ausreden parat." Sie lachte und ließ Paddy alleine zurück. „Tss, ja sicher und ehe ich mich versehe, finde ich die Frau fürs Leben, heirate, wohne auf einem Bauernhof und lebe dort glücklich bis an mein Lebensende.", sagte Paddy sarkastisch vor sich hin und bemerkte nicht, wie er eine Tomatenpflanze köpfte.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt