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Maites Andeutungen waren schnell vergessen und ihre Abschiedsfeier trotz alldem ein großer Erfolg. Nervös stand Hannah mit Emil und ihrer Mutter in der großen Flughafenhalle. „Mama jetzt hör doch auf zu weinen, ich bin doch nicht aus der Welt." Hannah versuchte ihre Mutter zu trösten, die wieder und wieder zu einem Taschentuch greifen musste. „Ich weiß, ich weiß, Liebes. Mach dir um mich keine Sorgen." Sie umarmte ihre Tochter und auch Emil ein letztes Mal, ehe sie sich zum Gate machten. „Und nervös?", fragte Emil, als ihr Flug endlich aufgerufen wurde und bereit zum Boarding war. Mit bleichem Gesicht nickte sie. „Wir tun das Richtige. Glaub mir. Und dein Vater erwartet uns. In den ersten Wochen wird er uns bestimmt mit Rat und Tat zur Seite stehen. Mit einem flauen Gefühl im Magen stieg Hannah in das Flugzeug nach Addis Abeba. Der erste Flug nach Istanbul war recht angenehm. Trotz der Flugangst konnte sich Hannah einigermaßen entspannen. Der Anschlussflug von da aus war jeden ziemlich lang, was Hannah nervös machte. Sie versuchte sich mit Filmen und Musik abzulenken, alles vergebens. Ihre Nervosität stieg von Minute zu Minute. Selbst an Schlaf war nicht mehr zu denken. Sie beneidete Emil, der die meiste Zeit vor sich hindöste. Neben ihr saß ein älterer Mann, der sie hin und wieder musterte. Am liebsten wäre Hannah aufgesprungen und einfach ein wenig hin und her gelaufen. Stattdessen änderte sie alle paar Minuten ihre Position. „Na, haben wir denn bald eine angenehme Position junge Dame?" Hannah bemerkte, wie sie rot wurde. Der ältere Herr schien ihr ihre Hibbeligkeit nicht übel zu nehmen. „Fliegen sie zum ersten Mal?", fragte der Mann. Auf die Frage erwiderte Hannah ein Kopfschütteln. „Nein, ich bin schon öfter geflogen, allerdings noch nie so lange." „Ah, verstehe. Darf ich fragen, was eine junge Frau wie sie nach Äthiopien führt?" „Naja, mein Vater arbeitet dort als Aufbauhelfer und braucht Unterstützung für ein neues Projekt. Mein Kumpel und ich haben uns kurzerhand entschlossen zu helfen und als Volontäre Asebe Teferi zu unterstützen." Der Mann machte große Augen. „Da haben sie sich aber was vorgenommen, junge Dame." „Darf ich fragen, was sie nach Äthiopien führt?", fragte Hannah vorsichtig nach. Der Mann gluckste freudig: „Ich bin geschäftlich unterwegs, suche hier und da nach potentiellen Partnern." „Verstehe." Die Aussage des Mannes war Hannah mehr als unsympathisch, zumal er sehr arrogant wirkte. Er wirkte wie ein Bänker, der nur nach Macht und Geld aus war und seine Aussage untermauerte zudem Hannahs Vermutung. Sie nickte freundlich und steckte sich ihre Kopfhörer wieder in die Ohren. Sie lauschte den Melodien von Coldplay und schaffte es doch irgendwie wegzudösen.

„Hey Hannah, aufwachen, wir landen gleich." Emil stupste Hannah an, die hochschrak und sich mit einem maulenden „Aua" den Nacken rieb. „Nackenschmerzen?", witzelte Emil und grinste Hannah breit von der Seite an. „Das sah aber auch echt nicht bequem aus." Hannah warf ihm einen bösen Blick zu. „Wenn es schon so unbequem aussah, warum hast du mich dann nicht geweckt?" „Weil du so tief und fest geschlafen hast, dass du vor dich hin geschnarcht hast." Emil beugte sich zu ihr und fügte flüsternd hinzu: „Und außerdem fand ich es recht amüsant, wie der arrogante Herr neben dir versucht hat, dich zu wecken und es nicht geschafft hat. Ich glaube, er war ein wenig genervt, dass er es nicht raus schaffte." Hannahs Gesicht nahm eine rosa Farbe an. „Echt jetzt? Oh man, du hättest mich wecken müssen." „Das ist so ein Schnösel, der hat es nicht anders verdient."

Hannah war erleichtert, dass das Flugzeug weich landete. Als sie aus dem Flugzeug stiegen herrschte eine brühende Hitze, auch wenn es spät am Abend war. Geduldig wartete sie mit Emil auf ihren Vater, der sie abholen wollte. „Da ist er." Sie erkannte ihren Vater, dessen graues Haae zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden war. Er trug eine beige Cargohose und ein Poloshirt, auf dem auf der linken Seite die Flagge der vereinten Nationen eingestickt war. „Da seid ihr ja." Er umarmte seine Tochter und reichte Emil die Hand. „Hallo, mein Name ist Klaus. Wir bleiben doch sicherlich beim du, oder?" Emil nickte freundlich. „Aber sicher doch. Ich bin Emil." Klaus lächelte. „Dann wollen wir mal. Ihr seid sicher erschöpft von der Reise." Gemeinsam liefen sie auf einen Geländewagen zu, der unweit vor dem Flughafen parkte. Die Fahrt in das Stadtinnere war holprig und dennoch genoss Hannah den Fahrtwind, der ihr bei offenem Fenster in das Gesicht preschte. „Ich habe euch erstmal in einem Hotel untergebracht. Ich hoffe das ist ok für euch?" „Und wo schläfst du?", fragte Hannah erstaunt. „Ich habe nur ein sehr kleines Apartment in der Nähe von eurem Hotel. Das wollte ich euch nach dem langen Flug nicht zumuten." Klaus parkte das Auto vor einem grauen Hochhaus, das an einer gut befahrenen Straße lag und klärte alles an der Rezeption. „Ich hoffe, es ist nicht schlimm, dass ihr euch ein Zimmer teilen müsst. Wollt ihr noch etwas hier in der Lobby essen?" Emil nickte eifrig, doch Hannah war sichtlich erledigt. „Seid mir nicht böse, aber ich würde echt gerne duschen und dann nur noch ins Bett." Ihr Vater nickte verständnisvoll. „Gut, dann treffen wir uns hier morgen zum Frühstück, bevor es weiter nach Asebe Teferi geht. Schlaf gut meine Kleine." Sie verabschiedete sich noch von Emil, ehe sie in ihrem Zimmer verschwand. Geschafft öffnete sie die Zimmertür und betrat die schlichte Hoteleinrichtung, die aus zwei Einzelbetten, einem Schreibtisch und einem kleinen Schrank bestand. Ihr Gepäck landete zusammen mit ihren Schuhen in einer Ecke, bevor sie die Gardinen des Fensters wegzog und einen Blick auf die Hauptstadt Äthiopiens erhaschen konnte. Aus ihrem Fenster sah sie eine Art Bahn, sowie stark befahrene Straßen und beleuchtete Hochhäuser, deren Wände mit Werbung beklebt waren, die sie aufgrund der fremden Sprache nicht lesen konnte. Die ein oder andere Palme kam zwischen den Häusern hervor und in der Ferne konnte Hannah einen Berg erahnen. ‚Das ist also Äthiopien', dachte sie sich und ließ die Aussicht auf sich wirken. Ihr Herz pochte wie wild vor Aufregung. Sie hatte es wirklich gewagt und alles hinter sich gelassen, um hier neuen Mut zu fassen. An Schlaf, den sie sich eben noch so sehnlich herbeigewünscht hatte, war nicht mehr zu denken. Am liebsten hätte sie Sandra oder Maite angerufen, doch ein Ferngespräch wollte sie beim besten Willen nicht riskieren und ihr Handy funktionierte in Afrika ebenfalls nicht. Stattdessen setzte Hannah ihr Vorhaben in die Tat um, suchte sich ihren Kulturbeutel aus ihrem Koffer und ging duschen. Wie die Einrichtung des Zimmers war auch das Badezimmer von der Ausstattung her sehr einfach. Die Dusche war gerade mal so groß, dass Hannah sich da drin einmal um die eigene Achse drehen konnte und ein schlichter Duschvorhang schützte vor dem spritzenden Wasser. Sie fluchte, als die Einstellung der Wassertemperatur länger als gedacht dauerte und sie zuerst hochschreckte, weil das Wasser zu kalt und dann zu heiß war. Der Duschvorhang klebte an ihrem Rücken, den sie nur mit Mühe und Not von ihrer Haut lösen konnte. Das Wasser roch nach Chlor und erinnerte Hannah an das Schwimmbad zu Hause. Dennoch tat die warme Dusche ihren verspannten Muskeln gut. Tiefenentspannt suchte sich Hannah ihre Schlafsachen und legte sich ins Bett. Aus Gewohnheit schaute sie noch einmal auf ihr Handy. Das Display zeigte Datum und Uhrzeit an:

5. Dezember 2008, 03.37 Uhr

Maite hatte sie bereits auf ihrer Abschiedsfeier einen schönen Geburtstag mit ihrer Familie gewünscht und sich entschuldigt, dass es mit ihrem jährlichen Geburtstagstelefonat nichts wird. „Ach das holen wir die Tage irgendwann nach, wenn das überhaupt möglich ist. Ich weiß ja, dass du daran denkst.", hatte Maite zu ihr gesagt. Wie gelassen Maite doch immer war. Doch jedes Mal, wenn Hannah Maite zum Geburtstag gratulierte, wurde sie unweigerlich auch an seinen Geburtstag erinnert. ‚Hatte er überhaupt schon nach europäischer Zeit Geburtstag?', überlegte sie und rechnete im Kopf nach. Ob er wohl seinen Geburtstag feierte? Darf man im Kloster überhaupt Geburtstage feiern? Hannah grübelte noch einen Moment über diese Fragen und verlor noch einige Gedanken an Paddy, ehe sie in einen tiefen Schlaf fiel.

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