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Pünktlich zum Tourbeginn fing es heftig an zu schneien und verwandelte Dortmund in ein Winter Wonderland. Die Schaufenster waren mit Sternen und warmen Lichterketten geschmückt. Hannah, Sandra, Sascha und Caro schlenderten über den Weihnachtsmarkt und gönnten sich von dem Konzert Glühwein und Crepes, während Caro freudig auf einem alten Karussell saß und auf einem weißen Ross im Kreis fuhr. Die Vorfreude war besonders bei Hannah sehr groß. Als sie das letzte Mal mit Paddy gesprochen hatte, wirkte er sehr angespannt. Dass Paddy vor einem Konzert nervös war, kannte sie so nicht von ihm. Die Weihnachtstour war auch für ihn etwas Besonderes. Diesmal bestand Hannah auch darauf sich das Konzert wie jeder andere vor der Bühne anzuschauen. „Wollen wir so langsam?", fragte Hannah und trank ihren letzten Schluck Glühwein in einem Zug aus. „Immer langsam. Wir haben noch genug Zeit. Mein Gott, du bist ja richtig aufgeregt. Hast du schon Sehnsucht nach Paddy?", neckte Sandra ihre Freundin, sah jedoch auf die Uhr und stimmte Hannah kleinlaut zu. Gemeinsam schlenderten sie zur Konzerthalle. Caro lief bei Hannah an der Hand und freute sie wie Bolle mit ihrer Patentante etwas zu unternehmen. Sie plapperte freudig drauf los und fragte Hannah Löcher in den Bauch, ob es bei einem Konzert auch Pferde und ein Feuerwerk geben würde. „Ach du kleine süße Maus. Ich glaube du verwechselst ein Konzert mit einem Zirkus." Hannah kniete sich zu Caro. „Bei einem Konzert werden Instrumente gespielt und gesungen, vielleicht wird auch ein bisschen getanzt. Weißt du, wer heute auf der Bühne steht?" „Maite vielleicht?" „Nein, Maite ist leider nicht dabei, aber ihre großen Schwestern und ihr Bruder." Caro nickte und machte große Augen, als sie an der Konzerthalle ankamen. Sie stellten sich an einer langen Warteschlange an und warteten geduldig, dass sie das Gebäude betreten konnten. „Ach das glaube ich jetzt ja nicht.", sagte Hannah und ging auf einen hoch gewachsenen Mann zu. „Entschuldigt mich kurz. Tom! Hi!" Der Mann drehte sich zu Hannah und fing an zu lächeln. „Hannah! Na das ist ja eine Überraschung! Dich habe ich ja ewig nicht gesehen. Wie geht's dir?" Sie tauschte mit Tom ein paar Neuigkeiten aus. „Bist du privat hier?", fragte sie schließlich. Tom lachte und schüttelte den Kopf. „Wo denkst du hin? Ich schaue gerade nur, ob hier draußen alles in Ordnung ist. Wollt ihr mit rein kommen?" Hannah schüttelte den Kopf. „Nein, ich denke die Zeiten sind vorbei. Wir warten hier brav." „Ok, wie du willst, komm später ruhig nochmal zu mir, dann könnt ihr nach der Show hinter die Bühne." Sie nickte und gesellte sich wieder zu Sandra und ihrer Familie.

Die Halle war bestuhlt und das komplette Gegenteil zu einem Konzert, das sie sonst kannte. Es war ruhiger und auch das Publikum war sichtlich älter. Hannah schmunzelte bei dem Gedanken. Schließlich gehörte sie ebenso zu den „Älteren". Ihre Plätze waren in der dritten Reihe und sie hatten einen guten Blick auf die Bühne. Nur noch fünf Minuten. Hannah wurde immer nervöser und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, ihr Puls raste vor Vorfreude und die Neugier auf das, was kommt, war enorm. Plötzlich ging das Licht aus und eine Männerstimme ertönte: „Am Anfang war das Wort." Caro machte große Augen und auch Hannah schaute gebannt zur Bühne. Ein Klavier ertönte und sie stellte sich die Frage, ob wohl Paddy am Klavier saß. Hannah kannte die Männerstimme nicht, doch sie war so ruhig und doch so aussagekräftig, dass sie einen sofort in ihren Bann zog. Zum Klavier kam eine Geige dazu. „...und die Finsternis hat es nicht erfasst." Hinter einem weißen Vorhang konnte Hannah menschliche Silhouetten erkennen, die hinter Mikrofonständern standen und ihre Plätze einnahmen. Mit einem mal verebbten Klavier und Geige und die ersten Gitarrentöne von „One more freaking Dollar", ertönten. Die Menge fing an zu toben, stand auf und fing an im Rhythmus zu klatschen. Der Vorhang ging zur Seite und da sah sie ihn; Paddy, in weiß gekleidet mit einer dunklen Weste und einem Kreuz um den Hals. Er lächelte ein wenig schüchtern in die Menge, spielte auf seiner E-Gitarre und fing an zu singen. „All i want, is one more happy christmas." Seine Stimme war rau und voller Kraft, die Hannah einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Hannah genoss das Konzert in vollen Zügen, und verfolgte Paddy mit ihren Augen auf Schritt und Tritt. Sie war so überwältigt von der Show, dass sie am Ende voller Euphorie Tränen in den Augen hatte und lauthals applaudierte. Als das Konzert zu Ende war, wollte sie es sich nicht nehmen lassen und wollte allen hinter der Bühne für die gelungene Show gratulieren. Sie sah Tom am Rand der Bühne stehen und lächelte ihm zu. Fragend drehte sie sich zu Sandra um, als diese antwortete „Geh du ruhig, wir warten hier auf dich." Mit schnellen Schritten ging sie zu Tom, der sofort begriff und Hannah hinter die Bühne lotste. Zuerst traf sie Kathy und Patricia, die sie anerkennend umarmte. „Es war so ein tolles Konzert.", schwärmte Hannah und beglückwünschte die beiden, die selbst noch unter Adrenalin standen. „Wo ist Paddy?", fragte sie und sah über Patricia und Kathy hinweg. „Ich glaube, er ist da drüben bei den Getränken." Hannah bahnte sich ihren Weg und sah Paddy, wie er sich etwas zu trinken nahm und sich mit einem Musiker unterhielt. „Paddy!" Sie ging auf ihn zu, ohne auf die anderen zu achten, und umarmte ihn überschwänglich. „Das war...ich bin echt überwältigt. Das war so, so, so schön." Paddy umarmte Hannah ebenfalls liebevoll und ließ ihren Lobgesang über sich ergehen. Hannah löste ihre Umarmung und ging einen Schritt zurück, um Paddy direkt ins Gesicht zu schauen. Seine Augen strahlten. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. „Du gehörst sowas von auf die Bühne! Ich bin so glücklich, dass du das gemacht hast." Wieder schlang Hannah ihre Arme um Paddy, dessen Augen ebenfalls feucht wurden. „Warst du die ganze Zeit hier hinter der Bühne?", fragte Paddy, als Hannah sich wieder von ihm abwendete. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich saß in der dritten Reihe. Tom hat mich nach hinten gelassen." „Ach der gute, alte Tom." „Paddy kommst du? Wir wollen noch zusammen anstoßen." Paddy sah Hannah fragend an. „Willst du noch mitkommen?" Doch Hannah schüttelte den Kopf. „Das würde ich gerne, aber Sandra und Sascha warten draußen auf mich." Wieder nahm Hannah Paddy in die Arme. „Ich bin so stolz auf dich. Vergiss bitte nie wieder, dass du auf die Bühne gehörst, hörst du?" Sie drückte ihn fest an sich und spürte, wie sich Paddys Mundwinkel zu einem Lächeln verformten. „Sehen wir uns bei Maite?", fragte sie, ehe sie wieder zu den anderen gehen wollte. „Ich gebe mein bestes.", antwortete Paddy und sah Hannah hinterher, die mit einem breiten Grinsen den Backstagebereich verließ.

Geistesabwesend nahm Paddy ein Glas Sekt entgegen. Er wusste nicht, wem er alles zuprostete. Zu sehr war er in seinen Gedanken vertieft und war von Hannahs Reaktion gleichzeitig überrumpelt und gerührt zugleich. Er musste sich selbst eingestehen, dass er das Gefühl auf der Bühne zu stehen vermisste und jetzt mit der Chance diese Weihnachtstour zu machen eine weitere große Lücke in seinem Leben wieder füllen konnte. Es machte ihn glücklich, dass er die Menschen, die bei dem Konzert waren, zu Tränen rührte und ihnen eine gute Zeit bescherte. Noch wichtiger war ihm jedoch, was Hannah dachte. Sein Herz überschlug sich förmlich, als er sie so glücklich sah, dass er am liebsten stundenlang nur für sie auf der Bühne stehen würde. Paddy fasste einen Entschluss: Er musste mit Hannah Klartext reden und alles auf eine Karte setzen – Alles oder Nichts, rien ne vas plus.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt