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Namjoon

„Kannst du mir von dir erzählen?" Ein wenig überrascht hebe ich den Kopf und sehe auf den dunklen Haarschopf, dessen Besitzer mit dem Kopf auf meiner Brust liegt. „Was möchtest du denn hören?", frage ich nach einer Weile leise. Jin hebt den Kopf und sieht mich an. „Erzähl mir von deiner Kindheit", bittet er und ich sehe ihn an. Warum möchte er etwas über meine Kindheit erfahren? Unsicher schlucke ich und blinzle. Jin scheint zu ahnen, was ich denke, denn er hebt seine Hand und fährt mir sanft über die Wange. „Ich möchte dich kennen. Jede schwierige Situation, die du gemeistert hast, alles." „Wieso?", frage ich verwundert. Er lacht leise und richtet sich wieder auf meiner Brust ein. „Ist schon okay", meint er liebevoll und beginnt, mit dem Finger kleine Kreise auf meinen Bauch zu malen. „Nein, so meinte ich das nicht..", murmle ich bedröppelt. Leise seufze ich. „Ich erinnere mich nicht gerne an früher", nuschle ich geschlagen und beginne, an meiner Nagelhaut zu knibbeln. „Ich weiß, mein Schatz." Eine warme Hand umschließt meine selbstzerstörerischen Finger und verschränkt ihre mit meinen. Eine Weile bleiben wir so liegen. Dann beginnen meine Augen zu brennen. „Ich vermisse meine Schwester", flüstere ich und merke selbst, wie erstickt meine Stimme klingt. Langsam atme ich ein und aus, um das Zittern meines Brustkorbs abzuschwächen. Jin nickt leicht und fährt mit dem Daumen über die gerade so verheilte Haut an meinem Daumennagel. Ich atme erneut tief durch und lehne den Kopf an die Wand. Als ich die Augen schließe, tauchen vergessen geglaubte Erinnerungen in mir auf. Meine Kyungmin-Noona mit ihrem hübschen Gesicht und den langen, weichen Haaren kümmert sich um Hoseok, der vom Fahrrad gefallen ist. Noona, die auf mich zukommt und sanft lächelt, während Appa mal wieder betrunken durch die Haustür kommt. Noona, die mich im Arm hält als ich weine. Noona wie sie- „Namjoon." Seine Stimme holt mich zurück in die Gegenwart. Jin hat sich aufgesetzt und sieht mich besorgt an. Schnell wische ich mir über die nassen Wangen. Ich hab nicht einmal bemerkt, dass ich angefangen habe, zu weinen. „Sieh mich an", sagt mein Freund sanft und unter Tränen hebe ich den Kopf. Er nimmt mein Gesicht sanft in seine Hände und streicht mit dem Daumen meine Tränen weg. „Du wirst sie wiedersehen, ich verspreche es dir", flüstert er besorgt und seine Stirn legt sich in Falten. „Meinst du echt?", frage ich weinerlich und er nickt und beißt sich auf die Unterlippe, die ebenfalls zittert. „Es tut mir so leid, dass du das alles durchstehen musst. Ich würde dir am liebsten diese Last abnehmen, am Besten deinem jüngeren Ich", flüstert er nun ebenfalls erstickt und ich sehe ihn mit großen Augen an. Ihn scheint das Thema ebenfalls sehr mitzunehmen. „Ich habe als Kind erfahren, dass sich alles ganz schnell ändern kann. Sie ist gegangen und hat Hobi und mich mit unseren Eltern zurückgelassen. Jahrelang hatte ich Angst, dass alles, was mir wichtig ist, mich verlässt und habe deswegen außer Hobi nie richtige Freunde gefunden. Meine Angst war einfach zu groß", erzähle ich brüchig und sehe Jin die ganze Zeit über in die Augen. Neue Tränen lassen meine Sicht verschwimmen, doch ich wende den Blick nicht ab. „Ich hab sie geliebt, Jin. Sie war der wichtigste Mensch in meinem Leben. Sie war die einzige Person, der ich zu hundert Prozent vertrauen konnte", schluchze ich und mein Freund legt sich neben mich und zieht mich an sich. Er schlingt schützend die Arme um mich und ich vergrabe mein Gesicht tief in seinem Pulli. Ich weine lange und Jin streicht mir ebenso lange liebevoll über den Kopf, zeigt, dass er da ist und stützt mich.
Als ich mich endlich ein wenig beruhigt habe, legt er seine Lippen an mein Ohr. „Ich werde dich nicht verlassen, Namjoon. Niemals." Schniefend schließe ich die Augen und lehne mich an ihn. „Sag das nochmal", bitte ich ihn mit schwacher Stimme. „Du wirst nie wieder alleine sein. Ich werde bei dir bleiben."

𝕊𝕔𝕙𝕠𝕠𝕝 𝕃𝕦𝕧 ~ 𝔽𝕚𝕣𝕤𝕥 𝕃𝕦𝕧 ⁿᵃᵐʲⁱⁿ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt