Kapitel 68

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Am Sonntagnachmittag hieß es kurz durchatmen, bevor es morgen weiterging. Ich nutzte die Zeit, um bei meiner Familie zu sein. Ich wäre gerne bei den Jungs geblieben, die Zeit mit ihnen war begrenzt und ich wollte so viel mehr von ihnen wissen und mit ihnen sein. Aber in Köln zu sein und sich nicht bei meiner Familie zu melden ging eben auch nicht. Es war schön, wieder Zuhause zu sein, keine Frage. Mama machte Waffeln, wir saßen gemeinsam mit meinem Onkel und meiner Oma am Tisch. Ich hatte so viel zu erzählen, aber in Anbetracht dessen, dass Oma sich über schlechte Neuigkeiten immer sehr aufregte, ließ ich das Drama mit Bob hinten anstehen. Es war sowieso geklärt. Es war abgehakt. Vielmehr erzählte ich von meinem Leben in Berlin, fernab der Arbeit. Meine neuen Freunde, mein neues Leben und natürlich Mathias. Bisher hatten wir unsere Familien noch nicht kennengelernt. Die Freizeit rund um Weihnachten war sehr begrenzt und so entschieden wir, jeweils zu unseren Familien zu fahren. Die Bundesliga ließ einfach nicht mehr zu. Aber wir riefen ihn per Video-Schalte an. Es saß gerade auf seinem Hotelzimmer an sein Bett gelehnt und lächelte, so wie er immer lächelte. Ich vermisste ihn so sehr!
„Wie geht's dir?", fragte ich.
„Ja, es läuft ganz gut für uns, so es ist anstrengend, aber es macht Spaß!", erklärte er, „und du?"
„Die Jungs sind großartig, wir haben richtig viel Spaß!"
„Ich freue mich, wenn wir uns sehen am Donnerstag!"
Donnerstag war der Tag der Anreise zum Halbfinale. Und ganz ehrlich: Mit den Kader und als dreifacher Weltmeister durfte man schon von einer Halbfinalteilnahme ausgehen.
„Hoffentlich nicht gegen uns! Danach sieht es gerade aus..."
„Nein, besser gegen Deutschland erst in Finale!", stimmte er zu, „so das ist noch besser Stimmung! Es werden viel dänische Fans nach Köln reisen! Hier in Hamburg ist alles voll Dänen!"
„Das klingt nach guter Stimmung!", lachte ich. Die Dänen waren laut und patriotisch. Der Hexenkessel Deutschland würde zumindest nicht im Ganzen aufgehen. Aber das musste man Andi ja nicht erzählen! Nach geraumer Zeit mogelte sich auch Emil mit ins Bild. Er und Mathias teilten sich ein Zimmer. Lächelnd wie man ihn kannte wank er in die Kamera von Mathias' Handy.
„Es sind alle Spielerfrauen hier, nur du fehlst!", berichtete er.
„Sorry, ich muss arbeiten!"
„Wir besorgen ein Trikot und ein Platz in Familienblock für Halbfinale! Du kannst sitzen mit mein neue Freundin!"
„Naja, Freundin...", seufzte Mathias und sah Emil an.
„Ja oder so ähnlich...egal...", korrigierte Emil.
„Ich würde gerne nachfragen, aber meine Familie hört zu, also...", wechselte ich das Thema. Ich wusste von Paul ja schon, dass Emil nicht ganz ohne war. Und mich interessierte sehr, was er sich nun da angelacht hatte. Aber nicht hier und nicht jetzt. Es wurde langsam Abend, ich verabschiedete mich wieder und machte mich auf den Weg ins Hotel. Anna und Nadine warteten bereits davor. Natürlich musste ich auch sie sehen, wenn ich schonmal in der Heimat war. In unserem Hotel gab es ein gutes Restaurant, in das ich sie eingeladen hatte. Wir fielen uns zur Begrüßung in die Arme, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Naja - es war so viel passiert, es hätten wirklich Jahre sein können! Wir hielten uns auf dem Laufenden, aber es war nicht das Selbe. Alleine von den letzten Tagen hatte ich so viel zu erzählen.
„Und? Was gefällt dir besser? Nationalmannschaft oder Füchse?", fragte Anna.
„Es ist so unterschiedlich, jetzt gerade reizt mich die Arbeit beim DHB, weil es eben mal was Neues ist!"
„Wie sind die Spieler?", fragte Nadine.
„Es herrscht so eine gute Stimmung! Es macht so viel Spaß! Unser Torwart Andi ist der absolute Wahnsinn! Immer gut gelaunt, immer am Reden...er hält die Mannschaft auf Trapp! Naja - bis auf Samstag - nach dem Unentschieden war die Stimmung im Keller!"
„Ach, das wird schon noch! Ihr seid doch nicht ausgeschieden, oder?", fragte Anna.
„Nein. Aber wenn wir es ins Halbfinale schaffen, spielen wir wahrscheinlich gegen Mathias..."
„Besorgst du uns zwei Trikots von ihm? Dann kommen wir zum Spiel!"
„Hallo?! Seid ihr bitte für mein Team?!", lachte ich.
„Spielt da jemand, der gut aussieht?", fragte Nadine und ich verdrehte die Augen.
„Ähh...", stammelte ich, „ich denke das ist typenabhängig..."
„Lass uns mal googeln!", beschloss Nadine. So kam es, dass ich den beiden minutenlang dabei zusah, wie die das Mannschaftsfoto praktisch inhaltierten. Ich grinste und schüttelte den Kopf. Die beiden konnten manchmal anstrengend sein. Nichtsdestotrotz war ich froh, sie wiederzusehen.
„Nicht schlecht, aber die Dänen haben definitiv optische Vorteile!", stelle Anna fest. Sie hatte parallel zu Nadines Handy auf ihrem Handy den dänischen Kader gegoogelt.
„Der da ist heiß!", lächelte sie und zoomte das Foto heran.
„Das ist Emil, Mathias' bester Freund", antwortete ich.
„Warum hat Mathias so viele heiße Freunde?", seufzte Nadine.
„Kennst du ihn?", fragte Anna und ich nickte, „und geht da was?"
„Nein! Finger weg von Emil!", lachte ich und dachte daran, dass sie beide es auch mal auf Lasse abgesehen hatten.
„Du bist ein Spielverderber!", stöhnte Nadine.
„Ja, da sagst du was", begann ich, „Emil ist sehr nett, aber wenn man Paul Glauben schenken kann, ist er ein Player!"
„Stört mich nicht, ich spiele gerne mit!"
„Anna!", rief ich entsetzt.
„Was ist schon dabei?"
„Er ist Mathias' bester Freund!", wiederholte ich, „und wenn ihr euch in die Haare kriegt, ist die ganze Harmonie dahin! Und außerdem...außerdem hat er jetzt eine Freundin!" oder so ähnlich...
„Ich dachte er ist ein Player?!", sagte Nadine.
„Er weiß, dass er gut aussieht! Er wickelt dich um den Finger und dann bricht er dir das Herz!", sprudelte es nur so aus mir heraus. Ich merkte gar nicht, dass all diese Informationen in meinem Kopf entstanden waren. Emil hatte mir nie etwas getan und doch redete ich schlecht über ihn. Ich hörte ein Räuspern am Nebentisch und es verleitete mich dazu, rüber zu schauen. Und ein Schauer lief mir über den Rücken. Wie laut hatte ich gerade gesprochen? Am Nebentisch hatte sich während unserer Diskussion Johannes Golla - Mannschaftskamerad von unserem Beschuldigten - mit seiner Familie niedergelassen. Ich seufzte. Verflixt! Was dachte er wohl nun von mir? Am liebsten hätte ich mich sofort entschuldigt, aber irgendwie passte es nicht.
„Mali? Hallo?!", schnipste Anna vor meiner Nase herum. Ich war wohl in Gedanken versunken.
„Hm? Sorry, mir ist gerade nichtmehr nach reden...", murmelte ich. Ich spürte Johs Blick auf mir. Ich konnte nicht sagen, ob ich mir das einbildete oder es tatsächlich so war, aber ich fühlte mich unwohl.
„Was ist los?", flüsterte Nadine und wir steckten die Köpfe zusammen.
„Der Typ am Nebentisch ist Emils Kapitän in der Bundesliga - und Kapitän unserer Nationalmannschaft...Ich bin geliefert!" Anna und Nadine hoben den Kopf und sahen Johannes unauffällig an. Sie versuchten, mit diversen positiven Themen abzulenken. Mich - aber auch ihn. Ich hörte nur mit einem Ohr hin, ich ärgerte mich so! Emil war so nett zu mir, er hat mich vor Bob beschützt und mich als neue Freundin seines besten Freundes sofort akzeptiert. Und ich? Ramme ihm ein Messer in den Rücken...
Der Abend zog sich und ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, wenn ich mit den Mädels unterwegs war. Auch wenn Johannes bald darauf das Restaurant verließ, so änderte das nichts an meiner Stimmung. Anna und Nadine akzeptierten, dass ich nach dem Essen lieber in meinem Hotelzimmer verschwinden und morgen ausgeschlafen in den nächsten Turniertag starten wollte, so trennten sich unsere Wege. In der Hotellobby kamen mir ein paar Spieler entgegen: Renars, Justus, David, Juri und Nils. Ich lächelte müde und ging an ihnen vorbei.
„Hey Malia, wir gehen in die Stadt, kommst du mit?", fragte Nils im Vorbeigehen.
„Nein danke, bin nicht in Stimmung!", lehnte ich lächelnd ab. Nils runzelte die Stirn und stoppte die Truppe.
„Alles okay?", fragte er und ich nickte.
„Jungs...geht schonmal vor!", sagte er dann.
„Nein! Nein! Geh nur!"
„Du warst bei deiner Familie, ist was passiert?", fragte er und ignorierte meine Worte.
„Nein...ich ärgere mich nur über mich selbst!", lächelte ich gezwungen.
„Willst du reden?"
Ehrlich gesagt ja. Ja, das wollte ich. Aber andererseits kannten Nils und ich uns kaum. Klar, wir kamen aus einem Verein, aber erst hier bei der Nationalmannschaft rückten wir enger zusammen. Er war nett, aber vielmehr wusste ich gar nicht von ihm.
„Komm mit!", sagte er und ging an der Rezeption vorbei in die Lobby. Dort waren Sofas und Sessel aufgebaut und es war ziemlich leer. Die Mannschaft war größtenteils sicher im Gemeinschaftsraum - eigentlich Seminarraum - der extra für sie geblockt war. Wir setzten uns in eine ruhige Ecke.
„Ich hab sche*ße gebaut!", seufzte ich und wieder runzelte Nils die Stirn.
„Was ist passiert?", fragte er wieder und ich hatte sofort ein warmes, vertrautes Gefühl bei ihm. Ich konnte es nicht erklären, aber ein Blick in seine Augen reichte.
„Kann ich dir vertrauen?", fragte ich trotzdem nochmal.
„Klar!"
Und so kam es, dass ich Nils mit vergleichsweise wenigen Worten erklärte, was im Restaurant passiert war. Dann sah ich wieder in seine Augen, zuvor hatte ich Blickkontakt vermieden. Ich atmete aus und erwartete eine Reaktion. Er sah mich schweigend an.
„Und?", fragte er dann, „was dann?"
„Das war's!"
„Ehrlich? Das ist alles?", fragte er und seine Mundwinkel gingen leicht nach oben, „jeder weiß, dass Jakobsen viele Frauengeschichten mit sich rumträgt..."
„Aber zu mir war er immer so nett und ich..."
„Wenn du mich fragst, hat er in Berlin versucht, dir den Kopf zu verdrehen...bis er dann herausgefunden hat, dass du schon mit seinem besten Freund schläfst..."
Ich verdrehte kurz die Augen und Nils lachte.
„Er war einfach nur höflich und freundlich, als Bob mich angegangen ist!"
„Ach komm schon, du weißt selbst, dass er mit dir geflirtet hat!"
„Nein!"
„Na gut...jedenfalls...Johannes weiß, was du meintest. Wir alle kennen die GOG-Geschichten nur zu gut!"
„Was genau ist bei GOG passiert?"
„Sorry", Nils begann zu lachen, „Mathias hat uns verboten, dich einzuweihen!"
„Was?!"
„Schon vor Saisonbeginn. Er hatte Angst, du würdest ihm nen Korb geben!"
„Nils, sprich mit mir!"
„Er und Emil hatten ein Ranking. Quasi eine Torschützenliste - aber äh...eben nicht für Handball..." Mein Herz klopfte etwas schneller. Ich wusste, dass Mathias eine - sagen wir - Sturm und Drang Phase hatte, aber ein Ranking? Mit Emil?
„Mathias ist ausgestiegen, als er zu uns nach Berlin kam. Er hatte eine Freundin, die ihn aber nicht nach Deutschland begleiten wollte. Sie hat ihm das Herz gebrochen und seit er weiß wie scheiße sich das anfühlt, lässt er die Spielchen. Tja und ein Jahr später kamst du. Aber Emil...der spielt weiter...also ist das, was du gesagt hast, überhaupt keine große Sache!"
Dafür, dass Mathias so viele Frauengeschichten hinter sich hatte und auch wusste, wie gut er ankam, war er aber sehr geduldig mit mir und meinen Launen. Tat es weh, solche Geschichten von ihm zu hören? Ja. Tat es weh, dass er Gefühle und körperliche Nähe voneinander trennen konnte? Ja. Und tat es weh, dass ich mich wiederum fragte, ob er bei unserem ersten Date ernste Absichten hatte? Ja, sehr sogar. Ich wollte nicht an ihm zweifeln. Er hat sich geändert, das hatte Nils selbst gesagt. Aber trotzdem war ich traurig. Ich wollte das Gespräch mit Paul verdrängen. Aber die Story nun nochmal von Nils bestätigt zu bekommen, war eine ganz andere Nummer. Ich hatte zu viel Hoffnung in den Gedanken gesteckt, dass Paul Flensburg einfach nicht abkonnte. Aber Paul schien recht zu behalten.
Ich musste gestehen, ich war montags nicht ganz bei der Sache. Ich hatte den ganzen Tag Zeit, um die negativen Gefühle von mir abzuschütteln. Es fiel mir schwer. Der Tag begann mit dem Spiel Kroatien gegen Island. Das ließ sich Alfred natürlich nicht nehmen und so beschloss ich, mich in freien Minuten, die wirklich rar waren, zu ihm zu setzen. Er war ein stiller Beobachter, er dachte sich seinen Teil. Aber Stille tat mir gut. Wenn man in einer vollen Handballhalle von Stille sprechen konnte. Heute Abend würde es anders sein. Heute Abend mussten wir gewinnen oder wir waren so gut wie raus aus dem Turnier. Heute Abend würde das Hallendach wegfliegen. Und neben all dem Chaos in meinem Kopf und der Tatsache, dass ich Johannes früher oder später über den Weg laufen würde, freute ich mich darauf.
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Ihr Lieben! Ich hoffe euch gefällt das neue Kapitel! Ich werde mich jetzt für ca 1,5 Wochen in den Urlaub verabschieden, für mich geht's nach Kiel zum Nordderby🤩 Ich freue mich sehr auf eure Rückmeldungen!! Bis bald!

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Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt