Kapitel 68 - Eine Konsequenz

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Der Weg war nicht weit. Wäre es in jeder anderen Nacht nicht gewesen. Aber jetzt reihte sich hinter jeder Verzweigung nur eine weitere leere Strasse mit verschlossenen Fensterläden und erlöschenden Fackeln. Jaz wurde erst langsamer, als sie keine zwei Häuser mehr von der Mietskaserne an der Kreuzung entfernt waren. Die Türe zum Treppenhaus stand halb offen.

Jaz zögerte keinen Herzschlag, keinen Blick zu den Dachkanten lang, sondern trat sie auf und lief die Treppe hoch, zwei Stufen auf einmal, ein halbes Stockwerk vor Falrey, der kaum noch etwas hörte ausser seinem eigenen Atem. Auf den Treppenabsatz vor Seniahs Wohnung fiel ein Streifen warne Lichts aus ihrer angelehnten Türe, floss die steinernen Stufen hinab.

Falrey begriff, dass er bis zu diesen Moment wirklich gehofft hatte, er hätte sich geirrt. Es wäre doch nur ein Zufall gewesen. Nur eine Farce, um sie dazu zu bringen, etwas zu verraten. Dass sie einfach nur eine neue Wohnung für Seniah suchen mussten, weil sie die Nerven verloren hatten. Aber in dem gelben Lichtkegel, auf dem hellen, staubigen Stein der Treppe, prangte ein blutroter Stiefelabdruck. Er traf Falrey wie ein Tritt in die Magengrube.

Jaz erreichte die Türe, riss sie weit auf. Für einen winzigen Moment erstarrte er. Dann schnellte er herum, die Augen aufgerissen, mit einer Angst, die Falrey noch nie an ihm gesehen hatte. „Nein!"

Er stiess Falrey vor die Brust, mit so viel Wucht, dass er rückwärts die Treppe hinuntergestürzt wäre, hätte er nicht im Reflex mit einer Hand das Geländer erwischt. „Nein!", wiederholte Jaz und seine Stimme brach fast. „Sieh dir das nicht an. Du willst das nicht sehen."

Falrey fand keine Worte, und Jaz wartete nicht darauf.

„Bleib... bleib hier!", brachte er hervor, dann war er durch die Tür und hatte sie hinter sich zugeschlagen.

Falrey blieb alleine zurück im pechschwarzen Treppenhaus. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, nahm ihm beinahe die Luft zum Atmen. Shak. Er konnte keinen geraden Gedanken fassen, zumindest nicht für länger als einen Augenblick.

Du willst das nicht sehen. Das konnte nur eines heissen, oder? Eigentlich wollte er nicht einmal eine Antwort auf diese Frage. Und er wusste, dass Jaz recht hatte. Aber er wusste auch, dass er ihn nicht alleine lassen konnte da drin. Andererseits – Jaz hatte ihm gesagt, er solle hier bleiben. War es nicht richtig, das zu respektieren? Er will dich nur schützen. Du kannst ihn nicht im Stich lassen. Nicht jetzt. Nicht, wenn Seniah... Aber was, wenn Jaz genau das wollte? Meine Anwesenheit macht nichts besser. Aber...

Seine Gedanken waren wie zwei Hunde, die sich gegenseitig in den Schwanz gebissen hatten und nicht losliessen. Ihm drehte sich alles und in der Dunkelheit sah er nicht einmal den Boden. Sie versteckte den Stiefelabdruck. Er wusste nur, dass er da war, nahe genug, dass er die Hand danach hätte ausstrecken können.

Was sollte er nicht sehen? Greif einfach nach dieser verdammten Klinke, und geh rein. Aber sein Körper weigerte sich. Vielleicht hätten seine Knie ohnehin nachgegeben, wenn er einen Schritt gemacht hätte. An das Geländer geklammert, biss er die Zähne zusammen. Verdammt, wie erbärmlich war er eigentlich gerade? Wie konnte er Jaz alleine lassen?!

Erst als er irgendwann das Geräusch des Riegels hörte, begriff er, dass es gar nicht seine Entscheidung gewesen war. Jaz hatte wie immer einen Schritt weiter gedacht und hinter sich abgeschlossen. Falrey hätte sich am liebsten geohrfeigt dafür, dass er es nicht einmal versucht hatte.

Die Tür schwang eine Handbreit auf. Jaz trat nicht in den Gang und kein Geräusch drang durch den offenen Spalt, nur ein Strahl von Licht sickerte heraus.

Falrey verstand. Jetzt kannst du reinkommen. Er holte Luft, biss die Zähne zusammen und stiess sich ab. Seine Schritte machten kein Geräusch auf dem steinernen Boden und für einen merkwürdigen Moment hatte er das Gefühl, barfuss zu sein. er spürte die Kante der hölzernen Tür unter seinen Fingern, als er sie aufzog.

Niramun III - Mit Faust und KlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt