Emilas Weckdienst war wesentlich sanfter als der von Jaz. Sie schüttelte ihn leicht an der Schulter und als er den Kopf hob, formte sie ein lautloses „Guten Morgen" mit den Lippen, bevor sie nach unten ging. Er rappelte sich auf und zog sich an, leise, um Jaz nicht zu wecken, der erst heimgekommen war, als der Morgen bereits gedämmert hatte, dann folgte er ihr.
In der Küche erwartete ihn bereits eine dampfende Schüssel Brei und Emila stellte ihm einen Becher Tee dazu, bevor sie fortfuhr, ihren Korb für den Tag zu packen. Es musste früh sein, denn die Geräusche von draussen wirkten noch leiser und gedämpfter, als es am späteren Vormittag der Fall war. Obwohl Falrey genug geschlafen haben musste, gähnte er und ein Teil von ihm wäre am liebsten zurück ins Bett gekrochen, aber er riss sich zusammen, ass sein Frühstück und machte sich auf den Weg zu Mira.
Den Tag verbrachte er dort, am Abend vertiefte er sich erneut in das Buch. Es war sehr grundlegend geschrieben, erklärte Begriffe und wiederholte vieles von dem, was Mira ihm erzählte, noch einmal ausführlicher, aber Falrey kam zum Schluss, dass das vielleicht gar nicht schlecht war, denn auch wenn er ein schneller Lerner war: Mira schlug ein ganz anderes Tempo an, als er sich von der Schule in den Wäldern gewohnt war, wiederholte sich kaum und packte so viel Inhalt in jede Lektion, dass er teilweise richtig froh war, wenn zwischendurch ein Kunde den Laden betrat und er eine Pause erhielt, um überhaupt einmal darüber nachzudenken, was sie gerade erzählt hatte.
Zwei oder drei Mal kam auch jemand zur Behandlung vorbei, aber es war nichts Spektakuläres, ein Husten, der nicht wegging, ein Schnitt an der Hand von einem Küchenmesser, der nicht richtig verheilte. Bei letzterem forderte Mira Falrey auf zuzusehen, während sie die Verletzung sorgfältig mit Wasser und Martenbrand reinigte und Salbe auftrug. Sie gab der Frau ein Töpfchen davon mit, mit der Anweisung, sie regelmässig anzuwenden, um die Haut geschmeidig zu halten, damit der Schnitt nicht immer wieder einriss, bevor sie einen leichten Verband darum wickelte.
„Es ist immer wichtig, eine Verletzung innerhalb der ersten fünf Zeiten zusammenzufügen", sagte sie, als die Kundin gegangen war. „Ansonsten bildet sich bereits eine neue Schicht an der Oberfläche, die verhindern kann, dass die Teile jemals wieder ganz zusammenwachsen. Ich hatte schon Fälle, bei denen ich gezwungen war, die Wunde wieder aufzuschneiden, damit überhaupt noch eine Chance dazu bestand. Und das ist etwas, was du vermeiden willst."
Falrey nickte und sie kehrten zurück zu den Organen.
Nach drei Tagen hatte er das Buch durch und er erwog, es noch einmal zu lesen, um sich den Inhalt wirklich einzuprägen, gönnte sich aber einen Abend Pause. Jaz war einmal mehr bereits weg, als er nach Hause kam, und so machte er sich allein auf den Weg, schlenderte durch die Quartiere und bog erst nördlich vom Runden Platz auf die Min-Speiche ein, um in der Nebenecke vorbeizusehen, bevor er zum Hopfentopf gehen würde. Er stiess die Tür zu der kleinen Kneipe auf, tauchte ein in die Geräuschkulisse aus Gesprächen und klirrenden Krügen, den Geruch von Bier und Rauch. Während er auf die Theke zutrat, fiel ihm einmal mehr auf, wie zuhause er sich mittlerweile fühlte in diesem Gemisch, diesen Schenken und Saufhäusern Niramuns, die zwar alle unterschiedlich und doch in etwas Grundlegendem gleich waren. Er wusste, wie alles funktionierte, wie er sich verhalten musste, er gehörte dazu. Er war hier jemand. Vielleicht mehr, als er es in den Wäldern jemals gewesen war.
Der Wirt bemerkte ihn, als er sich mit den Unterarmten auf dem Tresen abstützte, und nach einigen Atemzügen, in denen er nachzudenken schien, wo er ihn schon einmal gesehen hatte, erkannte er ihn. „Fal, richtig?", fragte er, während er Falrey ein Bier hinstellte.
Falrey nickte.
„Dein Kollege war hier, vor einigen Tagen, meinte, ob du dich bei ihm melden kannst."
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Niramun III - Mit Faust und Klinge
FantasyEmila wird bald zu Bodir ziehen. Jaz sucht nach Umairat, obwohl ihm jeder mit Verstand davon abrät. Seniah träumt von einem besseren Leben. Falrey versucht irgendwo zwischen Hochöfen, Lilith's und Puppenspielern er selbst zu bleiben. Aber was bedeut...