Kapitel 53 - Ein Angebot

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Falrey schlich durch einen steinernen Korridor. Von irgendwoher hallten Stimmen wider, der Boden unter seinen nackten Füssen war wasserbedeckt, er setzte jeden Schritt so langsam wie möglich auf, um nicht zu platschen. Das Mädchen, das er in den Armen trug, schluchzte erstickt.

„Shh", wisperte er, fasste sie fester, drückte sich gegen die Wand, als ein Lichtschein aus einer der Türöffnungen weiter vorne auf den Korridor fiel. Sie durften nicht entdeckt werden. Er hatte keine Waffe. Keine Stiefel. Er konnte sie nicht verteidigen. Sie mussten hier rauskommen. Doch der Korridor zog sich endlos, das Wasser wurde immer tiefer, die Stimmen unberechenbar, kamen von allen Seiten, überall.

Schliesslich war da eine Türöffnung. Er trat hindurch, schloss die Tür hinter sich. Das Mädchen klammerte sich an ihm fest, als er sie zu Boden lassen wollte. „Shh", flüsterte er erneut. Leere Kohlensäcke lagen am Boden. „Kletter da rein", wisperte er. „Damit sie dich nicht sehen."

Das Mädchen weinte vor Angst. Aber schliesslich folgte sie seinem Befehl. Vertraute ihm. Er umarmte sie, ihre blonden Haare kitzelten an seiner Nase. „Ich bring dich hier raus", flüsterte er, und in dem Moment wusste er, dass er log.

Sie zog selbst die Öffnung des Sackes zu, er machte einen Knoten. Dann griff er nach dem Vorschlaghammer, der an der Wand lehnte. Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Aber es gibt keinen Weg hinaus. Es gibt keinen. Er holte aus und schlug zu.

Alles in ihm heulte. Er brach in die Knie, in die dunkle Lache, die sich um den Sack ausbreitete. Es tut mir leid.

Im Dunkeln an der Wand sass ein anderes Kind, kaum älter als das Mädchen, schwarze Haare, ein blasses Gesicht, das ihn anstarrte. Falrey erwartete Angst zu sehen, Entsetzen, Abscheu über das, was er getan hatte, aber da war nichts. Nur der dunkle, kalte Blick von jemandem, der längst Schlimmeres gesehen hatte. Der verstand, dass es manchmal besser war, schnell zu sterben.

Er erwachte keuchend, schoss reflexartig auf. Einige völlig bezugslose Augenblicke lang starrte er seine eigenen Hände an, als erwartete er, Blut daran kleben zu sehen, dann sortierten sich Wirklichkeit und Traum in seinem Kopf. Es war längst Hell, musste gegen Mittag zugehen, aber er fühlte sich immer noch betrunken. Ihm war klar, wer das Mädchen gewesen war, das er getötet hatte, wer das andere Kind – auch wenn er im Traum seltsamerweise keins von beidem kapiert hatte.

Wieso träume ich so einen Scheiss? Er hatte keine Antwort darauf, doch die Bilder klebten an ihm wie Strassenschlamm an den Schuhen. Lille war selber in den Sack geklettert, weil sie ihm vertraut hatte, und bei Yainil, er wusste, dass es nur ein Traum gewesen war, aber das Schuldgefühl schnürte ihm die Luft ab.

Er befreite sich aus der Decke, stand schwankend auf. Sein Blick fiel auf Jaz Bett. Es war leer. Er rieb sich übers Gesicht, versuchte seinen Atem zu beruhigen, die vergangene Nacht in seinen Gedanken passieren zu lassen, und stellte fest, dass er nicht nüchtern genug dazu war. Verdammter Martenbrand. Das Zeug gehört verboten. Aber nichts war verboten in Niramun. Und vielleicht... war das gut so?

Er stolperte hinunter in die Küche, fand Jaz am Tisch und setzte sich zu ihm. Jaz sprach ihn nicht an und sie sassen sich ziemlich lange einfach nur schweigend gegenüber, Falrey damit beschäftigt, auszunüchtern, und Jaz... worüber auch immer Jaz nachdachte. Das Gesicht des Kindes aus dem Traum, das ihn einfach nur angestarrt hatte, zugesehen, während er Lille erschlug, ohne schockiert zu sein oder um sein eigenes Leben zu fürchten, schob sich in Falreys Gedanken über das von Jaz, verschmolz mit ihm zu einem, und irgendetwas daran war unpassend und stimmte doch. Falrey wollte etwas sagen, ohne wirklich zu wissen, was, nur, dass es ohnehin bescheuert gewesen wäre.

Niramun III - Mit Faust und KlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt