Kapitel 21 - Früher

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Falrey war so verschwitzt nach dem Training, dass er beschloss, zum Brunnen zu gehen, um sich zu waschen, anstatt Eimer und Lappen zu bemühen. Er tauchte den Oberkörper unter Wasser, rieb sich den Schweiss von den Armen, fuhr sich durch die Haare und liess sie einige Atemzüge lang tropfen, bevor er sich die mitgebrachte Tunika überzog und sich auf den Rückweg machte. Er versuchte dabei den Gedanken, dass Nemi auftauchen könnte, zu ignorieren, weigerte sich, sich umzusehen oder schneller zu gehen, aber es kostete ihn mehr Überwindung, als er erwartet hätte, denn die Angst sass die ganze Zeit über in seinem Hinterkopf.

Du hast keinen Grund, dich zu fürchten, versuchte er sich einzureden. Sie kann dir nichts vorwerfen, wenn ihr euch begegnet. Du hast nichts getan, wofür dich irgendjemand verurteilen könnte. Vermutlich nicht. Wobei, wer wusste schon, woraus sie ihm diesmal einen Strick drehen würden. Und genau genommen war das Problem ohnehin eher, was er vielleicht noch tun würde. Seine Selbstkontrolle war echt ziemlich minimal im Moment. Er hatte im Verlauf des Nachmittags sogar Jaz einmal ernsthaft versucht die Nase zu brechen, weil der ihm einen üblen Hieb in den Magen verpasst hatte und dann auch noch irgendeinen blöden Spruch hinterherschickte.

Er sah Misty an seinem üblichen Platz sitzen und steuerte auf ihn zu, um sich abzulenken. Für einmal unterhielt sich Misty mit niemandem und rauchte auch keine Pfeife, stattdessen sass er vornübergebeugt auf seinem Stuhl und schnitzte mit einem handlichen Arbeitsmesser – recht ähnlich dem, mit dem Falrey nach Niramun gekommen war, ganz anders als der Dolch, den er nun trug – an einem etwa einen Schritt langen Stock. Der Strassenstaub vor ihm war bereits übersät mit Holzschnipseln. „Was wird das?", fragte Falrey neugierig.

Misty hob den Blick, blinzelte gegen das Licht und grinste. „Siehst du, wenn es fertig ist. Hallo übrigens."

Falrey musterte den Stock. Er war keine drei Fingerbreit dick, von zwei Seiten abgeflacht und viel zu lang, trotzdem mutmasste er: „Ein neues Holzbein?"

Misty hob eine Augenbraue und den Stock. „Sieht das für dich aus wie ein Holzbein?"

„Nicht wirklich", gab Falrey zu.

„Gut. Sonst hätte ich an deinem Sehvermögen gezweifelt. Und jetzt lass mich arbeiten."

Etwas perplex setzte Falrey seinen Weg fort. Zurück in der Küche überlegte er, ob er direkt zu Mira gehen sollte oder zuerst etwas essen. Eigentlich hatte er keinen Hunger. Aber irgendwie auch schon. Gedankenverloren fuhr er sich übers Kinn und zupfte an den Barthärchen. Stimmt, er hatte sich ja rasieren wollen. Lohnte es sich überhaupt wirklich?

In Ermangelung eines Spiegels – er war sich ziemlich sicher, dass weder Jaz noch Emila so etwas besassen – hielt er Ausschau nach irgendetwas, was genügend reflektierte. Das einzige, was er fand, war der Wassereimer, aber darin konnte er gerade Mal seinen Umriss ausmachen. Etwas Metallisches. Er nahm eines der Küchenmesser, aber dessen Oberfläche war vom Schleifen zerkratzt. Der Flachmann fiel ihm ein. Er holte ihn aus dem Schrank und tatsächlich war das Blech glatt genug, dass er sich nach einigem Drüberreiben mit dem Ärmel darin spiegelte. Völlig verzerrt zwar und etwas verschwommen, aber immerhin erkannte er sein Gesicht.

Vermutlich brauchte er ein scharfes Messer. Er liess die Küchenwerkzeuge mal aus dem Schneider, zog stattdessen sein altes Stiefelmesser. Es war definitiv scharf und als er es am Unterarm ausprobierte, erwischte die Klinge zumindest einige Härchen. Er positionierte den Flachmann auf dem Tisch, setzte sich auf die Bank, sodass er hineinsah und versuchte die Klinge vorsichtig seinem Kinn zu nähern.

„Was genau machst du da?"

Viel hätte nicht gefehlt und Falrey hätte sich geschnitten, weil er zusammenzuckte. „Alter, erschrick mich nicht so!", fuhr er Jaz an, der im Durchgang zum Flur stand und ihn anstarrte. Dann zuckte er mit den Schultern. „Ich dachte, ich versuche mal, mich zu rasieren."

Niramun III - Mit Faust und KlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt