Kapitel 4 - Eine Einladung

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Jaz ging am nächsten Tag alleine zu Pliss, um seinen Lohn abzuholen, aber Falrey traf sich anschliessend mit ihm in einer Schenke. Sie tranken ein Bier, Jaz zündete sich ein Schilf an und meinte: „Sie sagte, sie hat noch einen Auftrag für mich. Erst in ein paar Tagen. Weil ich dabei nicht allein sein werde."

Die Art, wie er es aussprach, liess Falrey nachfragen: „Wer noch?"

„Kreon", sagte Jaz.

Falrey hob die Augenbrauen. „Was hat sie vor? Einen anderen Spieler ausschalten?"

„Wollte sie noch nicht sagen", antwortete Jaz. „Aber ja, wahrscheinlich was in der Art." Er zog an seinem Schilf, dann meinte er: „Sie hat auch gefragt, ob du mit von der Partie bist."

„Was hast du gesagt?", fragte Falrey.

„Nein", sagte Jaz.

Falrey nickte. Er wollte nicht für einen Puppenspieler arbeiten. Obwohl es im Endeffekt auf das selbe rauskam, wenn er Jaz bei seinen Aufträgen half und gleichzeitig von seinem Einkommen lebte, wie eine zynische kleine Stimme in seinem Kopf bemerkte.

Sie zogen durch einige Saufhäuser, ohne sich dabei wirklich zu betrinken, Jaz liess sich seinen Flachmann auffüllen, dann kletterten sie die Kraterwand empor vis hoch auf Ebene 23. Im Schneidersitz auf der Plattform sitzend, neben Jaz, der die Beine über dem Abgrund baumeln liess, mit Blick über die funkenübersäte Kratersenke, begriff Falrey das erste Mal, dass er in diesem Moloch, diesem Hexenkessel so vieler Leben, in dem so viel Gutes und so viel Schreckliches brodelte, diesem Chaos, das niemand wirklich verstand, und wenn, dann nur mit dem Instinkt, nicht mit dem Verstand, vielleicht doch so etwas wie Heimat wiedergefunden hatte. Dass er, wenn er lange genug blieb, sich hier eines Tages wirklich zuhause fühlen könnte. Sich in der Stadt bewegen, anstatt nur dazwischen. Dass er vielleicht trotz allem hergekommen war, nicht nur weil er keine andere Idee gehabt hatte, vorübergehend, bis sich eine andere Möglichkeit öffnete, sondern um zu bleiben. Zumindest für einige Jahre.

Auf der einen Seite war das nur ein leerer Gedanke, einer, der keinen Einfluss auf sein Leben hatte, solange er ohnehin nicht wusste, was er wollte, sollte, konnte. Und trotzdem änderte er etwas. Wenn Niramun nicht nur irgendeine Stadt war, sondern seine Stadt, dann war auch er nicht mehr nur ein Besucher, sondern ein Bestandteil davon. Nicht nur Beobachter, der versuchte etwas zu verstehen, worauf er keinen Einfluss hatte, sondern sein Handeln wurde zu einem Teil dessen, was ausmachte, was diese Stadt war.

Das war ein faszinierender Gedanke. Dass er quasi ohne wirklich zu wissen, wie man sich in Niramun richtig verhielt, anfing mitzubestimmen, was dieses richtig war. Was wenn das im Grunde jeder macht?, fragte er sich. Eigentlich war die Idee einer Gesellschaft, dass Kinder richtiges Verhalten von ihren Eltern lernten, um es dann, wenn sie Erwachsen waren, selber vorleben zu können. Aber was, wenn eigentlich nie jemand wirklich begriff, worum es dabei ging, und sie fingen nur irgendwann einfach an so zu tun, als wüssten sie es?

Das hätte zumindest erklärt, warum sich in dieses Weitergegebene oft so viel dummer Mist schlich, der gar keinen Sinn ergab. Weil jeder versuchte weiterzuführen, was er gesehen hatte, ohne dabei verstanden zu haben, was davon wirklich relevant war und was nur bedeutungsloser Zufall. Und dann verkauften sie ihren Kindern als heilige Wahrheit, was zwei Generationen vorher irgendeinem Besoffenen herausgerutscht war, einfach weil sie es nicht besser wussten. Vielleicht wäre es besser, wenn nicht jeder immer glauben würde, er müsste wirken, als wisse er alles, dachte Falrey. Wenn sie einfach zugeben könnten, dass sie keine Ahnung haben.

Sie verbrachten die ganze Nacht auf der Plattform, und als die Sonne aufging, zogen sie in die verlassenen Räume um, um noch einige Zeiten weiterzuschlafen. Bis sie sich auf den Heimweg machten, war Mittag längst vorbei. Falrey holte sich unterwegs etwas zu essen, zwang Jaz zu einigen Bissen und fragte sich, ob er heute wieder in die Hochöfen gehen sollte. Er fühlte sich zwar etwas zerschlagen von der Nacht auf dem Steinboden, aber eigentlich hiess das nur, dass er eine Mimose war. Als er nach Niramun gelaufen war, hatte er ständig draussen übernachtet und sich nie darüber beschwert. Andererseits – bei wem denn auch.

Niramun III - Mit Faust und KlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt