Kapitel 24 - Für einen Freund

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Sie sassen im Hinterzimmer einer Schenke. Nicht im Roten Fuchs, sondern einige Strassen weiter, ein etwas schäbiges, kleines Lokal, besucht von wenigen versoffenen Gestalten. Jaz hatte dem Wirt einige Münzen auf den Tresen gelegt und er hatte sie in einen kleinen Raum an der Rückwand des Gebäudes geführt, mit einem einzelnen Tisch.

Falrey musterte Poss im Licht der einzigen Öllampe. Er sah abgehalftert aus, nicht nur ungekämmt und dreckig – was an sich ein genügend deutlicher Kontrast war zu seiner früher so unauffällig ordentlichen Erscheinung – sondern auch mager, müde, ausgelaugt. Sein Blick wich Falrey aus, heftete sich nur auf Jaz oder die Tischplatte, unstet.

Falrey wusste nicht, was ihn mehr entsetzte: die Tatsache, dass Poss noch lebte, oder was für eine heruntergekommene Hülle in der kurzen Zeit aus ihm geworden war. Als hätten die letzten Wochen und Monate auch so fertig gebracht, worauf offenbar Jaz verzichtet hatte: ihm sämtliches Leben ausgesaugt, bis auf das letzte Bisschen, dass ihn noch atmen liess. Nichts erinnerte mehr an die selbstbewusste Haltung eines Mannes, der wusste, was er wert war. Sogar das Gefühl, das er ausstrahlte, hatte sich verändert. Er schien kaum noch vorhanden. Was war passiert, seit Jaz... Warum hatte Jaz ihn überhaupt leben lassen?

Da waren mehr Fragen als klare Sätze in Falreys Kopf und irgendwo dazwischen tauchte all das auf, was er Poss hatte an den Kopf werfen wollen, bevor er davon ausgegangen war, dass er nie Gelegenheit dazu haben würde, weil er tot war. Wie viele Male er ihm die Nase hatte brechen wollen, als er in Wirjads Keller gesessen hatte, für seinen Verrat, seine scheinheiligen Sätze, bevor er ihn ausgeliefert hatte. Er spürte die Wut, vage irgendwo in seinen Innereien, aber er war viel zu perplex, um danach zu handeln.

Sie schwiegen, bis der Wirt zurückkam und ihnen drei Krüge Bier auf den Tisch stellte. Erst als die Tür wieder hinter dem Mann ins Schloss fiel, wiederholte Jaz: „Was willst du?"

Seine Stimme war kalt wie Eis, ohne Mitleid mit der Ruine eines Mannes, die vor ihm sass. Er griff nach seinem Bierkrug, trank, ohne anzustossen.

Poss rührte sein Getränk nicht an, sass zusammengesunken da, die Hände unter dem Tisch. „Ich... ich will dich um einen Gefallen bitten." Er schluckte leer.

Jaz Miene blieb starr. „Warum sollte ich."

„Weil... weil wir uns einmal gut verstanden haben", sagte Poss leise.

Jaz Schnauben darauf war ein einziges Das hast du dir verspielt.
Poss zögerte einen Moment, bevor er härter hinzufügte: „Und weil du mitverantwortlich bist für das, was..."

„Ich hab dich leben lassen", fiel Jaz ihm ins Wort und Falrey hörte das Knacken in seiner Stimme, die Risse in der Fassade, leise Vorwarnungen des Zorns, der dahinter lag. „Und das ist verdammt nochmal mehr, als ich..."

„Du hättest mich umbringen sollen!", unterbrach Poss ihn bitter, das Gesicht verzogen zu einem Ausdruck von Schmerz und Wut, der jenseits von allem lag, was Falrey Poss, der das Leben so auf die leichte Schulter nahm, jemals zugetraut hätte. „Du hättest mich einfach umbringen sollen! Aber stattdessen hast du mich dort gelassen. Gefesselt, angebunden. Ohne Möglichkeit, abzuhauen. Die haben mich gefunden, Jaz. Und sie wussten, dass ich geredet habe!"

Er schrie beinahe und in seinem Blick tat sich ein Abgrund auf, der Falrey einen kalten Schauer über den Rücken jagte, noch bevor seine Gedanken die Konsequenzen weiterspannen.

„Weisst du, was sie mir angetan haben?" Poss zog die Hände unter dem Tisch hervor. Erst jetzt fiel Falrey auf, dass sie einbandagiert waren, umwickelt mit fleckigen Stoffstreifen. Auf den zweiten Blick dämmerte ihm, dass etwas an der Form nicht stimmte. Etwas fehlte. Nicht nur etwas. „Sie haben mir die Finger genommen, Jaz. Alle."

Niramun III - Mit Faust und KlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt