Kapitel 2 - Wissen

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Er erwachte auf dem rot-beigen Teppich von Seniahs Zimmer. Benommen hob er den Kopf und fragte sich, ob er wieder etwas Dummes angestellt hatte, dass sie es nicht nach Hause geschafft hatten. Dann sah er die Tassen neben sich am Boden und verschwommene Erinnerungen kehrten zurück. Jaz hatte ihn nicht getragen, er war selber gelaufen, immerhin.

Sie hatten Seniah in einer Schenke getroffen, irgendwann weit nach Mitternacht, hatten geredet und getrunken, und dann hatte Seniah sie zu sich eingeladen, oder etwas in der Art. Falrey erinnerte sich daran, dass er Jaz auf dem Weg gefragt hatte, ob er sich verpissen sollte, damit sie alleine waren – Mann, wie blau war er eigentlich gewesen? Er hörte sich sogar selber lallen in der Erinnerung. Jaz hatte ihm als Antwort darauf ordentlich eine verpasst. Vermutlich tat ihm deshalb der Kiefer weh.

Danach hatten sie noch lange hier auf dem Boden gesessen, Karten gespielt, Tee mit Brand getrunken. Alles gut, murmelte er sich selbst zu. Alles in Ordnung. Du hast nichts Dummes gemacht. Zumindest nichts allzu Dummes.

Er setzte sich auf. Die Geräusche eines Vormittags drangen durch den halb geschlossenen Fensterladen in den Raum, und im Dämmerlicht sah er Jaz auf der anderen Seite der Becher zusammengerollt am Boden liegen, eine Hand in den Mantel an seiner Schulter gekrallt, die andere irgendwo unter dem schweren Stoff verborgen. Hinter ihm lag Seniah im Bett. Sie war nur halb zugedeckt, ihr rechter Arm hing über den Rand und sie schnarchte leise.

Falrey zog die Beine an, legte den Kopf darauf ab und musterte sie beide. Er wusste nicht warum, aber es war schön, sie zu sehen. Ruhig, schlafend, in einem Raum, fast als wären sie drei eine Familie. Und dabei kam er sich nicht einmal aussen vor, obwohl ein Teil von ihm immer noch nicht hundertprozentig davon überzeugt war, dass da nichts in der Luft hing zwischen Seniah und Jaz. Aber vielleicht hatte er auch einfach nicht verstanden, was es war. Vielleicht war Seniah für Jaz mehr eine Schwester. Die Schwester, die er gebraucht hätte, die Emila ihm nicht sein konnte, weil sie zu verzweifelt versuchte, alles hinter sich zu lassen, um wirklich bei ihm zu sein.

Vielleicht hatte Familie am Ende nichts mit Blutverwandtschaft zu tun, Heimat nichts damit, wo man geboren war. Der Gedanke weckte in Falrey den seltsamen Impuls, hinüber zu krabbeln und Jaz in die Arme zu nehmen. Er fragte sich, ob er jetzt komplett übergeschnappt war, rollte sich wieder am Boden zusammen und schloss die Augen.

Vor sich hindämmernd hörte er, wie Seniah irgendwann aufstand, Wasser aufsetzte und die Türe zum Balkon öffnete. Einige Zeit später kam sie wieder herein und goss mit einem leisen Plätschern Tee auf. Als Falrey sich aufsetzte und streckte, hob auch Jaz den Kopf. Sie quetschten sich zu dritt, auf den Balkon, Falrey und Seniah tunkten altes Brot in Tee, während Jaz ans Geländer gelehnt ein Schilf rauchte.

Keiner von ihnen sagte viel und Falrey beobachtete die Leute, die unten in der Gasse vorübergingen. Die meisten schienen beschäftigt auf dem Weg von einem Punkt zum anderen, aber hin und wieder grüsste sich jemand, hielt an, um ein paar Worte zu wechseln. Er versuchte sich zu erinnern, worüber sie letzte Nacht gesprochen hatten, aber die Erinnerung war verschwommen und lückenhaft, kleine Fetzen, die keinen Sinn mehr ergaben. Ein Stück weit bedauerte er es, denn er hatte das Gefühl, dass es wichtige Dinge gewesen waren. Vielleicht hätte er nicht so viel trinken sollen. Allerdings hätten sie dann vielleicht auch überhaupt nie darüber gesprochen.

Jaz brach das Schweigen, als er leise fragte: „Hast du wirklich genug für die Miete diesen Monat?"

Die Worte galten Seniah, die schnell nickte. „Ich hab sogar etwas über. Ich kann dir einen Teil zurück..."

„Vergiss es", sagte Jaz, bevor sie den Satz beendet hatte.

„Aber du...", begann sie.

„Ich hab genug", fiel Jaz ihr ins Wort.

Niramun III - Mit Faust und KlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt