Er verbrachte die nächsten zwei Tage tatsächlich grösstenteils liegend. So oft er konnte, versuchte er zu schlafen, weil er dann nichts spürte, aber irgendwann war auch damit fertig, weil er schlicht ausgeruht war und der Schmerz zu penetrant, um einfach vor sich hin zu dämmern. Er versuchte zu lesen, aber er konnte sich kaum konzentrieren, weil jeder Atemzug stach. Am Abend kontrollierte Emila die Naht, wechselte den Verband. Sie meinte, es sehe alles gut aus. Wenn sich gut so anfühlte, wollte Falrey nie nicht gut erleben.
Er fragte sich, ob es wirklich mehr wehtat als die Tage, nachdem Jaz ihn aus Wirjads Keller geholt hatte. Eigentlich nicht. Aber es war anders. Bei Wirjad hatte er blaue Flecken und Platzwunden davongetragen. Sie waren weit übler gewesen, als alles, was Jaz ihm jemals verpasst hatte, aber doch etwas, was er kannte, einschätzen konnte. Das einzige wirklich schlimme waren die Kopfschmerzen gewesen, und davon hatte er das meiste nicht wirklich mitbekommen oder konnte sich zumindest nicht daran erinnern, weil er so weggetreten gewesen war.
Dieser Schmerz war anders. Er fühlte sich falsch an, machte ihm Angst, weil man ihm anspürte, dass etwas weit unter der Haut offen verletzt war, getrennt, was zusammengehörte. Beinahe, als wäre das Messer, der Fremdkörper, der in sein Fleisch eingedrungen war, noch immer da, oder hätte etwas zurückgelassen.
Er fragte sich, ob die Klinge wirklich an den Rippen entlang geschrammt war. Ob er die Knochen aufblitzen sehen hätte, hätte er wirklich hingesehen. Verletzungen am Knochen zogen mehr Komplikationen nach sich, hatte Mira gesagt. Vielleicht hätte er Emila fragen können, sie hatte die Wunde inspiziert. Andererseits – was spielte es für eine Rolle? Es konnte eh keiner von ihnen etwas tun als zu warten und darauf zu hoffen, dass es gut kam. Aber es machte ihn nervös. Und dass er zeitenlang nichts anderes zu tun hatte als auf dem Rücken zu liegen und darüber nachzudenken, machte es nicht besser.
Noch schlimmer als tagsüber war es nachts. Er sah nichts mehr, womit er sich wenigstens ansatzweise hätte beschäftigen können, konnte kein Licht machen, weil Emila schlief, und da waren auch keine Geräusche von draussen mehr, die ihn abgelenkt hätten. Seine Gedanken trieben dahin, kreisten um den Moment, in dem er sich auf den Mann gestürzt hatte. Er fragte sich, was er falsch gemacht hatte, was er hätte tun müssen, um nicht verletzt zu werden. Vielleicht hätte er die Hand des Mannes packen können, bevor sie gefallen waren. Vielleicht hätte er treten sollen, anstatt zu springen, aber er hatte das Gefühl, dann wäre er zu langsam gewesen.
Vielleicht war die bittere Tatsache aber auch, dass er überhaupt nichts falsch gemacht hatte. Wenn ein Messer im Spiel war, lief man immer Gefahr, es abzubekommen. Jaz war ein so verdammt guter Kämpfer und selbst er wurde verletzt, immer wieder. Egal wie gut man war, man war nie sicher davor. Selbst wenn man alles richtig machte.
Die Erkenntnis war beängstigend. Weil sie bedeutete, dass, ob man starb oder nicht, letzten Endes keine Frage des Könnens war, sondern nur der Zeit. Man mochte hundert Kämpfe länger überleben, als jemand, der keine Ahnung hatte, aber wenn man immer wieder antrat, kam eines Tages einer, bei dem man zu viel einsteckte. Falrey begriff, dass es das war, was Jaz von Anfang an gesagt hatte. Jäger werden nicht alt. Er kannte das Risiko. Er machte trotzdem weiter. Er wusste, dass es ihn eines Tages erwischen würde.
Falrey dachte auch an Ezali. Sie war kaum wiederzuerkennen gewesen, als sie vom Bett gekrochen war. Ein Teil davon mochte an den fehlenden Haaren liegen, an der verwischten Schminke an den rotblauen Flecken auf ihrer sonst so makellosen, hellen Haut, aber es war nicht nur das. Ezali war, trotz ihrer kleinen, zierlichen Statur, jemand der stark wirkte. Sie hatte die Situation und ihr Leben im allgemeinen immer unter Kontrolle, selbst wenn sie einen Kunden umschmeichelte, war immer spürbar, dass sie es war, die den Ton angab.
In dem Moment war all das von ihr abgefallen. Sie war nicht mehr die selbstbewusste Person gewesen, sondern ein Opfer, blutbeschmiert, verletzlich in ihrer Nacktheit. Jemand, den Falrey eher in Jaz Erzählungen vom Sur oder in den Ketten der Sklavenhändler verortet hätte als im Liliths. Und dann hatte sie ein Messer genommen und den Mann umgebracht. Ohne zu zögern.
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Niramun III - Mit Faust und Klinge
FantasiaEmila wird bald zu Bodir ziehen. Jaz sucht nach Umairat, obwohl ihm jeder mit Verstand davon abrät. Seniah träumt von einem besseren Leben. Falrey versucht irgendwo zwischen Hochöfen, Lilith's und Puppenspielern er selbst zu bleiben. Aber was bedeut...