Kapitel 6 - Pegs Verwandtschaft

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Falrey stellte fest, dass er es dank der Prügelei mit Jaz natürlich prompt geschafft hatte, seine neuen Kleider voller Strassenstaub zu kriegen, aber immerhin war der Dreck trocken genug, dass er sich ausklopfen liess. Als er vom Dach in die Kühle des Hauses zurückkletterte, hatte Jaz sich ebenfalls etwas Frisches übergezogen, sass barfuss auf seinem Bett und kämmte sich die Haare. Der Anblick war surreal, Falrey hatte nicht einmal gewusst, dass Jaz einen Kamm besass, geschweige denn ihn benutzte, aber natürlich musste er, ansonsten wären seine Haare vermutlich der reinste Filz gewesen, nicht nur wirr und ausgefranst.

Falrey zupfte an seinen eigenen Locken, versuchte sie mit den Fingern zu entwirren, gab schliesslich auf und liess sich von Jaz den Kamm zuwerfen. Während er mit den Knoten kämpfte, murmelte er: „Ich sollte die echt mal wieder schneiden."

„Wieso?", fragte Jaz. Er hatte sich an die Wand gelehnt und musterte ihn.

„Weil sie zu lang sind", meinte Falrey.

„Meine sind länger."

Falrey hob eine Augenbraue. „Ja, aber ich bin nicht Vasser, also brauch ich auch nicht aussehen wie du."

Jaz lachte.

Falrey betrachtete eine der Strähnen. Nemi hatte gesagt, dass sie seine Haare mochte, gerade weil sie wild und etwas länger waren. Ein Grund mehr, sie abzuschneiden, dachte er bitter.

Er reichte Jaz den Kamm zurück und liess sich auf die Matratze fallen.

„Training?", fragte Jaz.

„Nein, sonst bin ich nachher völlig verschwitzt", sagte Falrey.

„Hm", meinte Jaz nur. Eine Weile lang sagte keiner etwas, dann brach Jaz die Stille. „Fal? Weisst du, wie man ein Buch flickt?"

Falrey hob den Kopf. „Was? Wieso?"

Anstatt einer Antwort richtete sich Jaz auf, klappte den Deckel seiner Truhe hoch und kramte in den Tiefen unter den Kleidern, bis er ein klobiges Etwas hervorzog. „Tut mir leid", murmelte er, während er es Falrey hinstreckte.

Falrey erkannte den Einband sofort. Es war der Halisbat, den Jaz gekauft hatte und dessen Seiten Falrey später lose verstreut am Boden gefunden hatte. Das Buch selber sah nicht besser aus. Das Leder war zerkratzt, der Rücken gebrochen und die Hälfte der Seiten hing zerfleddert heraus, wie die Eingeweide eines Tieres beim Schlachten. „Was zur Hölle", entfuhr es Falrey. „Wie ist das passiert?"

Jaz sah ihm nicht in die Augen. „War wütend."

„Auf ein Buch?"

„Ja. Nein.", murmelte Jaz.

Falrey erinnerte sich daran, wie er bei Jelerik die Matratze aufgeschlitzt hatte, und gestand sich ein, dass er, was das Thema betraf, wohl gar nichts zu sagen hatte. Im Endeffekt waren sie die selben Idioten.

Er rappelte sich auf, nahm Jaz den Band ab und blätterte hindurch. Es sah wirklich beschissen aus, die Seiten waren nicht nur heraus- sondern teilweise auch entzwei gerissen, mitten durch den Text. „Keine Ahnung, was man da tun kann", meinte er ratlos, dann fiel ihm etwas ein. „Aber ich denke, ich weiss, wer es weiss: Bodir."

Jaz verzog das Gesicht, aber Falrey hob beschwichtigend die Hand. „Ich werde ihn fragen. Du brauchst nur zuzuhören."

Jaz zögerte einen Moment, dann nickte er.

Wenig später kam Emila nach Hause und scheuchte sie beide hinunter in die Küche, um sich selbst umzuziehen. Als sie die Treppe herunterkam, trug sie ein Kleid in verwaschenem Dunkelblau, in dem Falrey sie noch nie gesehen hatte. Ihre blonden Haare waren zu einem gleichmässigen Zopf geflochten und Falrey stellte verblüfft fest, wie lange sie waren. So hochgesteckt, wie sie sonst trug, fiel das überhaupt nicht auf. Ein leichtes Grinsen stahl sich auf ihre Lippen, als sie Falrey sah, der sich eben ein Cuff-Brötchen in den Mund schob. „Es gibt dort auch was zu essen, weisst du?"

Niramun III - Mit Faust und KlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt