Kapitel 2.1: Im Alleingang

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Mera

Wir kommen, Damian. Mit jedem Meter, den uns das Schiff übers Meer trug, klopfte mein Herz schneller. Wir kommen.

Ich stand am Bug, unter mir die schwarzen Wellen, neben mir Veronika, mit Blick auf Thisbe, dessen Lichter sich allmählich vor uns aus dem Dunst schälten. Die Sonne war gerade am Horizont versunken und hatte das Wasser vom glühenden Flammenmeer zum blinden Spiegel verdunkelt. Thalia war irgendwo unter Deck verschwunden, vermutlich, um der Mannschaft einige letzte Anweisungen zu geben.

Es war ihr zu verdanken, dass wir schon heute hatten aufbrechen können.

Das ändert alles, hatte sie gesagt, als ich ihr die neu belebte Spina-Blüte zeigte, Wisst ihr, was das heißt? Ananke hat unsere Theorie bestätigt. Die Spina kann Damian retten. Den Einfluss von Thanatos brechen. Ihm zeigen, wer er wirklich ist. Vielleicht muss er sie berühren oder nur sehen. Anankes Kraft wird schon wissen, was zu tun ist.  Wir brechen sofort auf, bevor sie wieder welk wird. Gebt mir einen Tag. Ich kenne eine Mannschaft aus Dienern Anankes, die uns hin und wieder ihr Schiff für Missionen leiht. Die können uns nach Thisbe bringen. Natürlich sagen wir nicht warum. Kein Wort zu niemandem.

Und genau das hatten wir befolgt. 

Es war einer der längsten Tage meines Lebens geworden. Die Wartezeit hatte sich gezogen wie ein überspanntes Lederband und genauso hatten sich meine Nerven angefühlt. Am liebsten wäre ich ständig in meinem Zimmer auf und abgelaufen. Dazu das schlechte Gewissen, gegen den Willen der anderen Magierinnen zu handeln. Vor allem gegen den der Akolytin und Hypatia. Ein Teil von mir empfand noch immer diese trotzige Art von Freude, etwas zu tun, von dem ich wusste, dass Kore es missbilligte. Aber der größere Teil von mir hatte nach dem Gespräch mit Veronika ein noch schlechteres Gewissen dabei. 

Heute Morgen hatte sich mein Vater von uns verabschiedet, um zurück zur Waldwacht zu gehen. Die Monster im Arbor wurden immer unruhiger und man brauchte seine Verstärkung.

Ich werde dir nie verzeihen, dass du mich allein mit diesen Leuten lässt, hatte ich scherzhaft geflüstert, als er mich umarmte.

Mein Vater hatte nur gelächelt. Das sind jetzt deine Leute. Mein Leben kennst du. Es wird Zeit, dass du das deiner Mutter kennenlernst. Dann hatte er die Stirn gerunzelt, war ernst geworden. Mera. Lass nicht zu, dass verletzter Stolz dich um die Gemeinschaft bringt, die du immer haben wolltest.

Ich hatte genickt, mit zugeschnürter Kehle.

Er hatte ja keine Ahnung, dass ich gerade dabei war, eben diese neue Gemeinschaft wieder zu hintergehen.

Andererseits...was blieb uns für eine Wahl? Wenn wir warteten, bis die Verantwortlichen eine Entscheidung trafen, war die Blüte vielleicht wieder verwelkt. Und Damian...

„Es geht los." Thalia kam an Deck, riss mich aus meinen Gedanken. „Macht euch bereit." Wie ich trug sie versteckte Messer am ganzen Körper. Wir warfen dunkle Umhänge über, die ich aus der Wäscherei besorgt hatte, und zogen uns die Kapuzen ins Gesicht. 

„Letzte Chance hier zu bleiben", raunte Thalia Veronika zu. Sie war die älteste unter uns und als Nicht-Magierin auch die verwundbarste. Trotzdem hatte sie gegen unseren Rat darauf bestanden, uns zu begleiten. 

Veronika schüttelte den Kopf. „Ich helfe, ihn da rauszuholen. Und wenn es nicht gelingt, dann will ich ihn wenigstens nochmal sehen."

Dann wurde der Anker ins Wasser geworfen und wir kletterten nach unten in eine Nussschale von Ruderboot. Auf diese Weise konnten wir vermeiden, in den Hafen einlaufen und uns anmelden zu müssen. Das Schiff würde hier, ein gutes Stück von der Stadt entfernt, auf uns warten. Wir schlugen uns mit dem Boot zu einem befreundeten Haus durch. Es hatte einen unterirdischen Anlegeplatz in einer Felsgrotte und war schon öfter von den Magierinnen benutzt worden.

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt