Kapitel 1.2: Drei Frauen

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Gedankenverloren drehte ich mein Weinglas zwischen den Fingern, während ich den Wellen zusah, wie sie an den flachen Strand brandeten.  Es war kunstvoll gearbeitet, mit feinen Sternengravuren, teurer als ich jemals eines in der Hand hatte. Nicht nur das Geschirr hier zeugte vom Einfluss und Reichtum, den die Magierinnen und somit auch ihr Heiligtum einst gehabt haben mussten. 

Um mich herum brannten Fackeln und im Wechsel zwischen Schatten und Flamme sah ich die jüngeren Magierinnen ums Feuer springen, wo die Musiker einen schnellen Tanz spielten. Vor ihnen spiegelte sich der Halbmond, mittlerweile wieder am Abnehmen, im ruhigen Meer. 

Ich saß ein wenig abseits auf den letzten Stufen der Treppe, die durch den kleinen Obsthain vom Strand hinauf zum Heiligtum führte. Wenn ich den Kopf drehte, konnte ich hinter mir das erleuchtete palastartige Hauptquartier de Magierinnen sehen. Es war über und neben den Fluss gebaut, der das Tal durchschnitt und von mehreren Wasserfällen im Osten des Tals gespeist wurde. Große Bogenfenster, kleine Brücken, die Wasserläufe überspannten, begrünte Innenhöfe und private Terrassen durchbrachen die Fassade aus weißem Stein und gaben dem Gebäude den Anschein eines zusammengewürfelten  Dorfes. Das Tal selbst war geformt wie ein Hufeisen, mit der offenen Seite zum Meer und umrahmt von zerklüfteten weißen Bergen, an deren Hänge sich Korkeichen und Pinien klammerten. Es war eine kleine, versteckte Welt. Eine, in der sich offensichtlich auch von der Verfolgung gezeichnete Magierinnen ausgelassen freuen und feiern konnten. 

Meine Augen fokussierten den Ast einer Zypresse neben mir. Er hing mir leicht ins Sichtfeld und störte meinen Blick auf den Stand. In einer kleinen, kaum sichtbaren Bewegung krümmte ich meinen Zeigefinger, schlang meinen magischen Sinn um den Ast wie ein unsichtbares Band und gab im Geist den Befehl. Mit einem Schnappen knackste das Holz und der Ast fiel sauber abgetrennt zu Boden. Noch immer erstaunte es mich, wie einfach es wahr. Meine Magie glich keiner schwierigen Technik, die man erst mühsam erlernen musste. Sie war eher wie ein neuer Sinn, der einfach funktionierte, ganz natürlich, sobald man ihn einmal entdeckt hatte. Selbstverständlich gab es noch einiges, was ich lernen musste, spezielle Verteidigungstechniken mit der Waffenmeisterin oder welche Pflanzen man für verschiedene Heilverfahren benötigte. Aber der Großteil beruhte auf Naturtalent.

„Magie ist nicht zu deinem Vergnügen da", sagte eine Stimme in meinem Nacken. Eine Frau setzte sich neben mich auf die Stufen. Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie sie die Treppe vom Heiligtum heruntergekommen war. „Verhalte dich nicht wie ein dreijähriges Kind, das Dinge zerstört, nur um zu sehen, dass es das kann."

Es war Hypatia, die stellvertretende Akolytin. Thalias Mutter. Sie sah ihrer Tochter so ähnlich, dass es beinahe erschreckend war. Die gleichen krausen schwarzen Haar, die sie immer zurückgebunden trug, die gleiche dunkle Haut und die gleichen schelmisch blitzenden Augen. Als sie die Arme verschränkte sah ich dort, wo ihre blutrote Tunika Haut freigab, Muskeln spielen. Sie war eine Kriegerin, genau wie Thalia, auch wenn sich über ihr kantiges Gesicht schon erste Falten zogen. Die letzten siebzehn Jahre hatte die Verantwortung für Anankes Heiligtum und mit ihm für die verbliebenen Magierinnen auf ihren Schultern gelegen. Es waren dunkle Jahre gewesen, wahrscheinlich die dunkelsten ihres Lebens. Wenn eine Grund hatte, Kore gegenüber wütend zu sein, dann sie.

Hypatia seufzte und nahm den Gesprächsfaden wieder auf. „Wobei...in gewisser Weise bist du ja aus magischer Sicht noch ein Kind. Es ist selten, dass in einer unserer Schwestern erst so spät ihre Fähigkeiten erwachen. Aber die anderen haben ja auch nicht deine Gesichte...Offensichtlich bist du in jeder Hinsicht etwas besonderes."

„Und deswegen hasst du mich", sagte ich leise und sah ihr direkt in die Augen. Es war keine Frage. Im Laufe meines Lebens hatte ich gelernt, ungesagte Dinge besser sofort anzusprechen, bevor sie irgendwann wie ein unsichtbarer Riese im Raum standen, an dem keiner mehr vorbeikam, um den anderen wirklich zu sehen. Angriff war in nicht wenigen Fällen die bessere Form der Verteidigung, vor allem, wenn er unerwartet kam. Überraschung bewirkte oft genug mehr oder weniger freiwillige Geständnisse. Mit Hypatias hätte ich so allerdings nicht gerechnet.

Die Dornen der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt