Kapitel 73

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Ich verlasse gerade den Prüfungssaal und gehe in die Bibliothek, als ich das Mädchen sehe, die mich am Tag des Amoklaufs unter den Tisch gezerrt hat. Alina. Ihr Ozean blaue Augen sehen mich an und sie schmunzelt. Sie winkt zu mir rüber, zumindest glaube ich das sie mich meint, denn hinter mir ist niemand. Ich gehe also in ihre Richtung. „Hey, ich möchte mich nochmal dafür bedanken das du mich gerettet hast", fange ich an. „Hallo! Dafür musst du dich nicht bedanken. Geht es dir gut?"
Nein.
„Ja, alles bestens."
Du hast wirklich schöne Locken, sind das deine Natur Locken?" Ich schaue auf meine Brust um mein Haar zu erkennen und nicke schmunzelnd. „Ja das sind meine Natur Locken." „Darf ich mal anfassen..Bitte..?" Eigentlich mag ich es nicht wenn man durch meine Haare geht, aber ich nicke. „Ich weiß ihr mögt es nicht, wenn man euch durch die Haare geht, aber ich musste es tun." Ich lache leise. „Alles gut." „Bist du auch Medizinstudentin?" „Ja, du?" „Nein, ich habe Biologie studiert." „Wow. Darf ich fragen wieso keine Medizin?" „Die Biologie des Menschen hat mich interessiert, genauso wie die unserer Umwelt. Und da ich mich für beides interessiert habe, habe ich mich dafür entschieden. Aber ich hätte auch fast Medizin studiert. Ob ich durchgehalten hätte.." Ich lege meinen Kopf schief. Alina lacht. Ihre lache ist wirklich niedlich, finde ich. „Ich mag dich, du bist wirklich sympathisch." „Danke." „Bedankst du dich immer für Komplimente?", fragt sie mich dann. „Ich glaube schon..?", sage ich schmunzelnd. „Möchtest du dich zu mir setzen? Meine Freund ist gerade in der Mensa." „Du hast ein Freund?" Sie nickt stolz. „Seid ihr denn verheiratet?" Sie zeigt mir stolz ihren Ring. „Oh, wie süß", sage ich lächelnd. Sie schaut auf meine Hand und keucht. „Hast du etwa auch einen Ehemann?", fragt sie mich. „Ja, ja das habe ich." „Kein wunder, du bist wirklich hübsch." „Das sagt mir eine Blondine zum ersten Mal." „Wirklich?", fragt sie mich mit geweitetem Mund. Ich nicke lachend. „Woher Stammst du? Wenn ich fragen darf?" „Ich bin Kurdin." „Oh wirklich? Wie cool!"
„Ja, haha. Du?" „Ich bin halb deutsch halb Polin." „Ein Mischling also." „Richtig." „Wie schön." „Heute findet eine Party bei einer Freundin von mir statt, magst du heute abend mitkommen?"

„Oh das gehe leider nicht, mein Mann-"

„Nimm ihn doch mit."

„Ich kann ihn fragen, aber ich glaube er wollte heute was zu zweit unternehmen" „Sag einfach Bescheid wenn du nicht kommst, meine Nummer hast du ja schon durch die Gruppenchats." „Mache ich. Hey.. ich frage normalerweise nie nach hilfe..aber, könntest du mir dann kurz bei diesen Zetteln hier helfen? Es geht um die Annahme von Mitteln die unser Körper einnimmt." „Natürlich, zeig mal her."

-

Ich rauche auf dem Uni Parkplatz und steige ins Auto ein. Auf dem Weg zum Krankenhaus sehe ich, wie zwei Polizisten einen Mann zu Boden legen und ihn mit Handschellen befestigen. Da der andere Polizist eine weiße Tüte in der Hand hat, werden mir meine Fragen wieso dies passiert beantwortet.

Ich lerne gerade auf dem Stuhl von Azmans Krankenzimmer, während er noch im Bett liegt. Ich habe meine Freizeit und meinen Alltag damit verbracht mich an den Geruch des Krankenhauses zu gewöhnen. Ich schreibe Alina lügend, dass ich nicht kann weil Azman was mit mir unternimmt."

>Hey Alina, hat leider nicht funktioniert.<

> Heyy :) Ach alles gut. Viel Spaß euch! <

> Danke :) <

Als ich meine Sachen zusammenpacke, gehe ich zu Azmans Bett und lege meinen Kopf auf seine Bettdecke.

Ich fange an schmerzhaft zu weinen.
„Wach bitte auf Azman."
„Ich will nicht alleine sein. Ich will nicht ohne dich. Wie soll ich das alles hinbekommen? Wir hatten doch so viele Wünsche. So viele Kleine Wünsche, so viele große. So viele Pläne." Ich schlafe ein, als man mich nach Stunden bittet nachhause zu gehen, um morgen wieder zu kommen.

Eine Woche später,

Zwei Wochen später,

Zwei einhalb Wochen später,

...
Meine Augen sehen in die großen Wolken, während Samira mich anmeckert, weil ich nicht aus meiner Wohnung rauskomme. Ja die Wohnung ist zu meiner Komfortzone geworden, und die Uni zu einer Art Zwang, wo ich mich nun hinzwingen muss zu gehen. „Guck dir dein Aschenbecher an, was soll das Siya?" Ich erhebe mich und sehe sie nur an. Sie zeigt mir Azmans Aschenbecher. Viele Zigaretten stümmel befinden sich in ihr. Es ist still während wir uns in die Augen sehen. Meine Lippen zittern, aber ich habe keine Lust mehr zu weinen. „Siya.." Ich schüttele meinen Kopf. „Lass uns was schönes unternehmen." Ich schüttele wieder meinen Kopf. „Ich verstehe nicht wieso du so fröhlich sein kannst. Er ist doch dein Bruder, wie kannst du das alles so locker nehmen." „Wenn ich mit dir weinen würde, würde es die Situation verbessern?", fragt sie mich. „Nein." „Wenn ich dir sage wie kapputt mich das macht, würdest du nicht noch mehr leiden?" „Doch."
„Verstehst du jetzt?" Ich nicke. „Er wacht seit 2 Monaten nicht mehr auf. Ich kann nicht mehr hoffen das er aufwacht." „Er wird aufwachen." „Was wenn nicht?" „Dann sollte es so kommen." „Aber wieso." „Cünkü dîst destê Xwedê de yê." „Ich weiß das alles in Gottes Händen liegt, aber ich frage mich trotzdem wieso es dann so kommen muss. Unsere Zeit ist zu kurz gewesen.." „Du musst hier raus, du hikikomori." „Was ist ein Hikikomori?" Samira schmunzelt, und irgendwie steckt sie mich an.

-

„Wohin fährst du uns?"

Ich habe ich geduscht und eine baggy Hose mit einem Blazer an.
„Auf ein Date."
„Wie läuft es eigentlich mit Aras?" „Sehr gut. Ich bin froh ihn kennengelernt zu haben." „Ich freue mich für dich." „Ich weiß, und das weiß ich zuschätzen."

Samira und ich essen Nudeln, aber ich kriege es nicht runter. Samira erzählt mir von ihren Prüfungen und wie anstrengend es ist Freizeit zu finden, während ich ihr zuhöre und mich danach dann frage ob ich satt bin.

Als Samira und ich uns streiten wer zahlt und sie gewinnt, setzen wir uns ins Auto und fahren an einem See, wo ich mit Azman Picknicken wollte, es aber nicht geschafft haben, da wir beide keine Freie Zeit mehr füreinander hatten. Auf einer Bank setzen wir uns, während der Kalte Wind uns durch unsere Haare weht. „Ich sehne mich nach ihn." „Ich will, dass er noch vor Silvester aufwacht." „Silvester ist in 3 Monaten." „Glaubst du er wacht auf?", frage ich sie. „Ich glaube er weiß, wie sehr er dich und die Familie liebt. Ich glaube, er hat kein Grund von uns fortzugehen. Ich bin mir sicher, dass der Grund für sein langer Schlaf seine Träume sind." Ich lächele etwas. Azman träumt nie und wenn er träumen sollte, dann kann dieser Traum nur ein langer sein.

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Winter in BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt