Kapitel 86

140 8 6
                                    

Stille. Pure Stille, bis das klirren vom Messer, welches ins Waschbecken fällt den Moment verändert. Sie dreht sich langsam um. Ich weiß nicht wie ich ihr Gesicht beschreiben soll. ein langsames Kopfschütteln und wimmerndes „Nein." flüstert sie. „Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein!" Ihre Stimme war noch nie so laut, wie jetzt gerade. Sie fällt weinend zu Boden. Ich halte sie sofort zu mir und wir fallen beide zu Boden. Ihr Weinen, so schmerzhaft, dass ich angst habe, dass sie mir davon geht. „Shh.."

Stunden vergehen, während ich sie nicht von meinen Schultern nehme und wir in unserer totalen Stille verweilen. Sie für die Verarbeitung, ich für ihren Trost.

(Eine Woche später)

Wir mussten in die Türkei fliegen, weil die Beerdigung dort stattfindet. Der Shex spricht gerade ein Qewl aus, während alle in schwarzen Klamotten stehen. Ich suche meine Frau, und finde sie auf der anderen Seite, etwas versteckt, mit glasigen Augen, während Arin und Helin schmerzhaft weinen und schreien, da Tante Hazals Grab nun in die Erde gelegt wird. Und das wars. So schnell gehen Menschen von uns. Sie landen unter der Erde. Was danach passiert weiß keiner.
Ich habe angst um Siya und mache mir Sorgen.
Sie versucht, nicht so viel zu sprechen. Sie formuliert ihre Sätze kalt und kurz, versucht lieber garnicht zu antworten, weil sie gerade überfordert ist. Auf Arin und Helin ist sie sauer, da sie immer dachte, dass sie wie Schwestern seien. Doch es scheint so, als wäre dies nie so gewesen. Sonst hätten Helin und Arin sie bei ihren Unternehmungen immer gerufen. Wenn Siya irgendwann mal was vorgeschlagen hat, war das Kind Arins Ausrede und Helins indem sie Arin immer hinterher folgt. Tante Hazal wäre enttäuscht. Ich möchte auf die andere Seite und gehe deshalb um den kreis herum, zwischen all den Menschen, die mich ansehen, weil ich der Mann von Siya bin. Ich bin hinter ihr und weiß, dass sie das spürt. Ihre Hand zu nehmen wäre untersagt, deshalb lasse ich es. Stattdessen tue ich ihre herausgefallene Locke, am Nacken reinstecken und bedecke es.

-

(Ein Monat später)

Sie spricht seit einem Monat nicht mehr, was ich versucht habe zu ändern, doch meinte sie, dass sie etwas Freiraum braucht. Was unsere Verluste angehen, sind wir gleich. Wir wollen uns nicht öffnen und wenn einer es versucht, bekommen wir keine Luft.

Die Markler Besichtigung lief inordnung, beim Umzug haben uns Männer geholfen, die ich dann bezahlt habe, Da die Wohnung schon möbliert ist, musste ich etwas mehr bezahlen, was uns zwar nicht ärmer macht, aber ich weiß dass Siya die Möbel und das haus gerne selbst eingerichtet hätte, mit Dilan.

Ich versuche ihr die Zuneigung und Aufmerksamkeit zu geben, die sie braucht und erwarte nichts zurück. Es ist gerade schwierig für Siya, mit all dem Mitleid, welches sie bekommt. Sie sitzt gerade auf dem Teppich Boden im Wohnzimmer, eingeengt vor dem Kamin, welcher nicht einmal an ist und schaut einsam in die Leere. In solchen Situationen setze ich mich immer zu ihr, damit sie dann ihren Kopf auf meine Schultern legt, wie jetzt gerade.
„Ich habe mich so sehr entfernt von der Person, die ich mal war.." „Nach schlechte Zeiten folgen die guten, mein Herz."
„An manchen Tagen erinnere ich mich nicht einmal mehr an das Mädchen, das es mal gab."
„Es wird vergehen und dann strahlst du wieder mit deinen schönen Locken."
Ich küsse ihre Stirn und lege meinen Kopf über ihren. „Ich bin so ein Opfer."
„Das stimmt nicht. Du trauerst, und zu trauern ist nichts verwerfliches."

„Sie hätte mir doch gesagt, dass sie Krank ist.."

„Sie wollte dir keine Sorgen bereiten.Du darfst dich nicht wegwerfen. Du entscheidest, wie du nun sein wirst. Willst du alles verarbeiten und damit leben, oder willst du dich von diesen tragischen Umständen, Gedanken und Emotionen überzeugen und für immer so leben?" „Eine Villa sollte einen glücklich machen. Wieso spüre ich nichts Azman?" „Weil gerade traurige Zeiten kommen." Es freut mich, dass sie redet. Ich habe ihre Stimme vermisst. „Dein Handy klingelt seit Stunden." „Ignorier es. Sind nur Arin und Helin." Ich höre auf sie. „Verletzt es dich?" Sie sagt nichts. Nur ein langsames nicken beantwortet meine Frage. „Ich will darüber nicht sprechen." Ich habe Verständnis. „Worauf immer du bereit bist zu sprechen." „Danke, dass ich bei dir so gut aufgehoben bin. Ich frage mich, wie ich die Jahre bevor ich dich kennengelernt habe überlebt habe." Ich lächele und tatsächlich schmunzelt sie kurz. „Azra und Raman wollen seit einer Woche kommen. Kannst du Raman anrufen, indem du sie fragst ob sie Lust hätten vorbei zu kommen? Sie machen sich sorgen." Stimmt, wir sind ja jetzt Nachbarn. Ich nicke und  sage ihr, dass ich gleich komme. Im Schlafzimmer rufe ich Raman an. „Hey, Azman." „Hey, Raman." „Wie geht es Siya?" „Sie verarbeitet gerade alles. Ich versuche für sie da zu sein. Sie möchte, dass ihr zu uns kommt." „Wir kommen." „Bis gleich." „Bis gleich." Ich lege auf und stöhne genervt, weil Siyas Handy auf dem Bett nicht aufhört zu sprechen. Ich sehe mir die Nachrichten an und atme tief ein.

Winter in BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt