51. Bange Stunden

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„Biggi, Luna.", flüsterte Thomas traurig und schaute durch das große Fenster in den Himmel. Die BK 117 kam immer näher und der Pilot bekam mit jedem Meter, mit jedem Zentimeter mehr Angst um seine Familie.
Dass ein ganz normaler Arbeitstag für Biggi und ihre Kollegen anstand, das hatte Thomas in dem Moment völlig verdrängt. Er wusste, dass seine geliebte Familie ihn jetzt brauchte.
Vorsichtig schlug er die Bettdecke, die auf ihm lag, zurück und wollte zum Fenster gehen. Doch daran wurde er von der Infusion gehindert.
Doch nicht nur von der Infusion, sondern auch von der sehr strengen Oberschwester, die gerade am Zimmer vorbei kam und Thomas bei seinem Aufstehversuch erwischt hatte.
„Herr Wächter! Sie bleiben liegen. Sind sie denn von allen guten Geistern verlassen? Sie können doch jetzt nicht einfach hier aufstehen. ... Bleiben sie liegen. Der Arzt schaut gleich noch mal nach ihnen. Wir haben gleich eine Einlieferung. Und da musste Prof. Renters sofort zur Notaufnahme."
„Ich... Meine Familie..."
„Mit ihrer Familie ist alles in Ordnung. Ihre Freundin Frau Schwerin fliegt den Hubschrauber, ihre Stieftochter ist als Sanitäterin dabei. Es handelt sich um eine junge Frau, die kurz vor der Geburt steht. Es handelt sich wohl um eine Kollegin von ihnen."
„Gina!", wusste Thomas sofort und sah nach oben in den Himmel, wo es sich gerade die BK 117 auf dem Dachlandeplatz der Klinik bequem machte.

Bange Minuten, Stunden, gefühlt sogar mehrere Tage standen dem frisch gebackenen Vater Mark nun bevor, als seine geliebte Gina im OP war und das Baby von ihm und seiner Liebsten von den Ärzten in der Klinik untersucht wurde.
Dank der schnellen Hilfe von Michael hatte es das Baby, das die Nabelschnur um den Hals hatte, in allerletzter Sekunde geschafft. Es war wohlauf und konnte von den Ärzten im Krankenhaus versorgt werden.
Ganz anders Gina, die war noch immer in allergrößter Lebensgefahr.
Sofort nach der Einlieferung in die Klinik musste die Pilotin erneut operiert werden; die innere Blutung war lebensbedrohlich.
„Mark, wir haben alles getan, was wir für Gina tun konnten. Du weißt doch, in einem Hubschrauber sind die Möglichkeiten einer Versorgung sehr eingeschränkt. ... Bitte, Mark. Vergiss doch jetzt erst mal die Sorge um deine Gina. Und... Konzentriere dich ganz auf deine kleine Tochter. Die braucht dich doch, Mark.", erklärte Luna dem vor Angst zitternden Mark und hoffte, dass er sich jetzt um sein Kind kümmerte, doch er blieb wie angewurzelt vor dem OP sitzen und schaute auf die Tür.
„Michael ist doch bei meinem Kind. Ich... Ich kann meine Gina doch nicht... Ich kann Gina jetzt nicht im Stich lassen. Das... Das geht doch nicht."
Für den Notarzt war es die schrecklichste Zeit, die ihm nun bevor stand. Er konnte und wollte sich nicht damit auseinander setzen, dass er vielleicht sein Baby behalten konnte, aber seine liebste Gina verlor.
„Ich... Ich will meine Gina nicht verlieren. Ich kann nicht... Ich kann einfach nicht meine Gina jetzt im Stich lassen. Sie braucht mich doch. Ich will meine..."
„Mark, bitte. Ich weiß, dass dir deine Gina sehr wichtig ist. Aber... Wir müssen jetzt erst mal sehen, dass wir... Wir können sowieso im Moment nichts für Gina tun. Wir müssen die Ärzte jetzt machen lassen. ... Komm, ich begleite dich zu deinem Kind. ... Mark, bitte.", versuchte Luna den Notarzt vom OP-Bereich zu trennen. Doch Mark ließ sich nicht einfach so wegziehen.
„Ich muss hier bleiben, Luna. Ich... Ich verstehe ja, dass du dir Sorgen machst. Aber... Ich bin in Ordnung. Geh doch wieder zu Thomas. Der freut sich sicher, wenn du ihn besuchst. Ich brauche dich jetzt hier nicht bei mir. Thomas ist ganz alleine in seinem Zimmer. Der freut sich sicher über einen Besuch von dir."
„Ich... Mark, bitte. Du hast ja Recht, ich könnte eigentlich zu Thomas gehen. Aber erstens ist Mama bei ihm und zweitens brauchst du jetzt jemanden, der dir beisteht. Ich kann dich hier nicht alleine lassen, Mark. Das ist viel zu gefährlich. Vor allem jetzt, wo es dir so schlecht geht. ... Bitte, lass uns doch zu deinem Baby gehen. Deine Tochter braucht dich doch auch im Moment. Sogar mehr, als Gina. Die wird jetzt... Notoperiert. Ich bin mir sicher, dass du bald wieder zu deiner Gina darfst. Du musst den Ärzten vertrauen. Die lassen Gina nicht sterben. OK? Gina wird es schaffen.", sprach Luna beruhigend auf Mark ein und zog den Notarzt vorsichtig vom OP-Bereich weg.
„Luna, lass mich endlich in Ruhe! Geh zu Thomas. Der braucht dich jetzt im Moment mehr, als ich. Ich komme hier schon alleine klar." „Mark... Ich will nicht, dass du hier alleine bist. Entweder ich bleibe jetzt hier bei dir und leiste dir Gesellschaft oder du kommst mit zu Thomas. Alleine lasse ich dich hier nicht sitzen. Das kannst du vergessen, Mark."
„Ich... Luna, ich will einfach nur hier alleine sein. Lass mich endlich in Ruhe.", fauchte Mark die 14 Jährige an, die erschrocken einen Schritt zurück ging.
„Mark, du fauchst Luna nicht so an."; kam nun Michael ebenfalls zu den beiden und stellte sich schützend vor die Stieftochter seines besten Freundes.
„Luna hat dir nichts getan. Sie wollte dir einfach nur beistehen. Du brauchst jemanden, der dir in den Stunden jetzt beisteht. In den nächsten Stunden wird deine Gina sowieso nicht ansprechbar sein. Das weißt du so gut, wie ich."
„Ich... Aber ich muss hier bei meiner Gina bleiben. Sie braucht mich doch. Sie ist... Sie ist doch mein Leben. Mein Engel.", flüsterte Mark und ließ sich auf der unbequemen Sitzbank vor dem OP-Bereich nieder. Luna setzte sich neben den Notarzt und strich ihm vorsichtig über den Rücken.
„Mark. Ich kann ja verstehen, wie du dich jetzt im Moment fühlst. Du hast große Angst um Gina. Du willst deine Gina nicht verlieren. Aber... Genauso, wie du für mich da warst, als es mir schlecht ging, da... Als ich meinen Skiunfall hatte. .... Aber ich bin jetzt für dich da. Du bist ein Freund der Familie, Thomas und Biggi fliegen gerne mit dir im Hubschrauber. Wenn Michael nicht da wäre. Und... Wenn du jetzt... Komm, wir gehen jetzt auf die Intensivstation und besuchen unseren lieben Thomas zusammen. Die Ärzte hier werden uns schon sofort Bescheid sagen, wenn wir zu unserer Gina können."
„Es tut mir leid. Aber ich kann Gina jetzt nicht im Stich lassen, Luna. Es ist ja klar, dass du dir Sorgen um mich machst. Aber... Ich kann meine Gina... Sie braucht mich im Moment mehr, als dein Stiefvater. Thomas geht es doch wieder viel besser. Anders, als meine Gina. Die... Ich... Ich kann sie einfach nicht alleine lassen."
„Mark, du kommst jetzt auf der Stelle mit zu Thomas ins Zimmer. Ich kann dich hier nicht alleine lassen. Du tust dir irgendwas an, wenn mit deiner Gina... Wenn du... Ich kann es einfach gerade nicht verantworten, Mark. Und ich werde das auch nicht."
„Luna, es ist sehr schön, wenn du dir Sorgen machst, aber... Was ist mit Gina?" Mark sprang sofort auf, als der behandelnde Arzt seiner Freundin aus dem OP kam.
„Herr Dr. Harland. Ich... Ich kann ihnen im Moment leider nicht sagen, ob ihre Freundin wirklich durchkommen wird. Frau Aigner hat sehr viel Blut verloren. Wir konnten sie soweit wieder stabilisieren. Allerdings... Der Allgemeinzustand ihrer Freundin gefällt uns nicht. Wir werden sie sehr engmaschig überwachen, sie wird jetzt auf die Intensivstation verlegt. Wir können sie gerne hinbringen, wenn sie zu ihr wollen. Allerdings sollten sie ihrer Freundin jetzt noch ein wenig Ruhe gönnen. Sie können sie gerne in eineinhalb bis zwei Stunden besuchen. Dann wird Frau Aigner auch bestimmt wieder zu Bewusstsein gekommen sein."
„Ich... Ich will meine Freundin aber jetzt sofort sehen.", erklärte Mark, doch Ginas behandelnder Arzt ließ den frisch gebackenen Vater nicht zu der Patientin.

Liebe liegt in der LuftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt