52. Verantwortung

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„Thomas, ich liebe dich.", sagte Biggi gerade in dem Moment zu ihrem Freund, als ihre Tochter Luna das Zimmer ihres Stiefvaters betrat.
„Und, wie geht es Gina?", wollte Biggi wissen, als sie ihre Tochter in den Arm schloss.
„Sie ist aus dem OP raus. Der Arzt meint, Mark könnte in eineinhalb, zwei Stunden zu ihr. Aber er wollte ja natürlich sofort zu seiner Gina. Da hat er den Arzt so lange bekniet, bis er zu Gina durfte. ... Na, Papa. Wie geht's dir?", wandte sich Luna an ihren Vater, der sich sehr über den Besuch der 14 Jährigen freute.
„Ich... Mir geht es super, meine Kleine. Schön, dass du mich besuchen kommst. Ich hab schon auf dich gewartet. ... Was hat mir Biggi da erzählt? Du hast Michael assistiert?"
„Ja, hab ich. Aber... Das war doch nur... Ich hab ja nur Gina die Hand gehalten. Und Michael dann später... Naja... Ich bin ja auch keine ausgebildete Sanitäterin. Dann hätte das natürlich alles ganz anders ausgesehen."
„Aber du hast trotzdem alles ganz toll gemacht, Luna. Du hast wirklich ein sehr großes Talent dafür.", erklärte Michael, der Luna gefolgt war. „Ich freue mich schon sehr, wenn du bei uns auf dem Medicopter als Sanitäterin mitfliegst."
„Ja, danke. Aber... Ich muss doch erst mal meine Schule fertig machen. Und dann komme ich aber gerne bei euch auf dem Medicopter mit. Ich... Ich kann mir aber noch nicht vorstellen, dass ich... Dass ich eines Tages einmal vielleicht... Als Sanitäterin... Ich meine, ich bin ja... erst 14 Jahre alt. Das dauert also noch eine ganze Weile, bis ich bei euch auf dem Medicopter mitfliege. Ich will ja erst mal das Abitur machen. Und dann... Vielleicht... Vielleicht will ich... studieren. Ich weiß es doch noch nicht, was ich später einmal machen will. Ich meine, es gibt so viele Berufe. Und so viele Möglichkeiten, wenn... Wenn man studiert hat. Ich..."
„Luna, Thomas und ich werden dich in allem, was du eines Tages einmal machen willst, voll und ganz unterstutzen.", versprach Biggi ihrer Tochter und Thomas nahm die Hand von Luna in seine. „Und ich denke, Michael und Karin werden auch immer für dich da sein, oder Michael?"
„Ja, natürlich. Karin und ich sind immer für die liebe Luna da. Wir sind doch eine Familie. Ihr beide seid die Eltern von Luna und Karin und ich... Tante und Onkel?", schlug Michael vor, doch Luna widersprach: „Naja, ihr beide seid wohl eher Mama 2 und Papa 2. Eine Tante hätte ich ja eigentlich durch Mama..."
Biggi schaute traurig auf ihre Tochter. Luna war ihrer Tante so verdammt ähnlich. In so vielen Sachen.
„Luna, ich denke, meine Schwester wäre sehr stolz auf dich, wenn sie wüsste, dass... Dass du so ein tolles Mädchen geworden bist. Sie hat sich damals... Als ich ihr erzählte, dass ich schwanger bin, so sehr auf dich gefreut. Weißt du, den Strampler, den du auf dem Foto hier..." Biggi zog ihr Portmonee aus ihrer Tasche und zeigte Luna ein Foto von einem Baby. „Den Strampler hier, den hat meine Schwester damals von ihrem Taschengeld gekauft. Und jede Woche, die verging, kam sie immer wieder mit kleinen Geschenken für dich nach Hause. Bis... Luna dann geboren wurde. Jennifer, meine Schwester, die hat Luna nicht aus den Augen gelassen. Ich... Ich durfte kaum an mein eigenes Kind. So hat Jennifer die Kleine geliebt."
„Sie... Sie hat... Sie hat dir den Zutritt zu deinem Kind verwehrt?", wollte Michael wissen und Biggi nickte. „Naja, das kann man so sagen. Ich hab mich ja auch gefreut, dass sie sich so um das Baby gekümmert hat. Aber... Manchmal wurde ich auch ziemlich eifersüchtig. Ich meine, sie hat sich häufiger um das Baby gekümmert, als ich. Dabei war ich doch die Mutter. Aber vielleicht... Durch den Tod unserer Mutter... und unseres Vaters... Ich hab mich wahrscheinlich dann durch meine Schwangerschaft mit Luna kaum noch um meine Schwester gekümmert. Obwohl sie mich doch so sehr brauchte. Vielleicht wollte sie diese Liebe... zwischen ihr und mir... mit meinem Kind... Sie brauchte vielleicht auch einen Menschen, für den sie Verantwortung tragen durfte."
„Aber... Das gibt ihr noch lange nicht das Recht, dir das Baby wegzunehmen.", meinte Thomas, bei dem die 14 Jährige auf dem Bett saß.
„Ja, ich weiß, Thomas. Aber... Ich war... Ich meine, ich brauchte auch Zeit für mich. Da kam mir das auch ganz gelegen, dass... Dass sich meine Schwester viel um die Kleine gekümmert hat. Ich meine, sie hat mir wirklich nach dem Tod unserer Eltern sehr viel Arbeit abgenommen. Mehr, als sie eigentlich in ihrem Alter sollte. Sie... Sie war damals gerade mal 16 Jahre alt, hatte noch so viel für die Schule zu tun. Und dann hatte sie sich auch noch um die Tochter ihrer großen Schwester gekümmert. Das... Das war manchmal... Manchmal war das wirklich alles für Jennifer zu viel. Ich mache mir heute ziemlich viele Vorwürfe. Ich hätte mehr auf meine kleine Schwester aufpassen sollen. Und ich hätte mich damals auch mehr um mein Kind kümmern müssen. Stattdessen... hab ich mich wieder um meine Karriere gekümmert."
„Biggi, das... Mama, das ist Vergangenheit. Das... Das ist damals gewesen. Heute... bist du älter geworden und... Naja... Ich bin froh, bei dir zu sein. ... Wisst ihr eigentlich, was morgen für ein Tag ist?", grinste Luna und schaute schmunzelnd auf den Freund ihres Stiefvaters. „Jemand aus diesem Raum wird morgen ein Jahr älter. Und ich bin es unter Garantie nicht."
„Ja, ich weiß. Aber... Vorher... sollte einer vielleicht mal... nach Mark schauen. Der Arme ist ganz alleine bei seiner Gina. Was ist denn, wenn sie... Wenn sie vielleicht doch noch stirbt?", meinte Michael und Biggi verließ sogleich zusammen mit ihrer Tochter das Zimmer ihres Lieblingskollegen, der es nicht leiden zu können schien, wenn seine Familie ihn verließ.
„Biggi, Luna... Bleibt doch hier.", rief er traurig hinterher und schaute seiner Familie mit einem sehr leidenden Dackelblick hinterher.
„Papa, ich komme gleich wieder. Ich möchte nur mal kurz schauen, wie es unserer Patientin und deren Angehörigen geht. ... Und dann möchte ich auch mal das Baby von Mark und Gina kennen lernen. ... Michael, kommst du mit?"
„Ja, ich bin schon auf dem Weg. ... Och, Thomas. Wir werden dann bestimmt auch gleich wieder zu unserem schwer kranken Kollegen zurückkommen und uns um ihn kümmern.", mobbte Michael seinen Freund und verließ dann mit Thomas' Familie zusammen schmunzelnd das Zimmer des Piloten.

Auf dem Weg zu Gina vermutete Michael: „Wir können Thomas vielleicht langsam sagen, dass... Dass unser Peter tot ist. Wir... Er sollte die Chance haben, sich anständig von seinem Freund zu verabschieden. Auch, wenn er ihn am ersten Tag ziemlich gemaßregelt hatte. Unser Thomas. Es war nämlich damals so..."
Michael erzählte Luna die Geschichte von Peters erstem Einsatz auf dem Medicopter 117, von dem ganzen ersten Tag des Sanitäters.
Er war schon ein toller Kollege, das wusste nicht nur Michael, der sich immer auf seinen Sanitäter hatte verlassen können.
Auch Luna, die in der Zeit, in der sie tagtäglich auf der Medicopterbasis ein- und ausging, mit dem Sanitäter eine sehr gute und innige Freundschaft geschlossen hatte, fiel der Abschied von dem lieben Kollegen schwer.
„Ich vermisse ihn schon ganz schön.", seufzte Luna und dachte an die schönen Zeiten, die sie mit Peter auf der Basis hatte. An die vielen lustigen Momente, an die Gespräche, wenn in der Schule mal etwas ganz gehörig schief lief und Luna sich nicht zu Thomas und Biggi traute.
Von der Sechs in der letzten Mathearbeit hatte Luna ihrer Mutter und ihrem Stiefvater ja noch gar nichts erzählt, fiel ihr ein und so sagte sie leise: „Mama, ich... Ich muss dir noch was beichten. Du... Du weißt doch, wir haben eine Mathearbeit... geschrieben. Und... Ich... Ich hab zwar Dirk gebeten, dir... etwas zu sagen..."
„Dirk hat es mir auch schon erzählt, was passiert ist, Luna. Wir kriegen das schon hin. Pass auf, wenn wir zu Hause sind, dann setze ich mich mit dir hin und dann schauen wir uns die Aufgaben noch mal Genauer an."
„Du... Du bist nicht... enttäuscht?" „Nein, wieso sollte ich denn? Soll ich dir mal ein Geheimnis verraten, meine Kleine? Ich war in Mathe auch kein Ass. Ich kann dir gerne zu Hause mal mein Zeugnis zeigen.", gab Biggi kleinlaut zu, bevor Michael, Luna und sie an der Tür zu Ginas Zimmer waren, wo Mark davor stand und wie erstarrt durch die Fensterscheibe schaute.
Er flüsterte immer nur: „Gina... Gina ist..."

Liebe liegt in der LuftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt