1. Kapitel

8.3K 170 49
                                    


Ich starre aus dem Fenster und lausche der Stille. Draußen regnet es ununterbrochen stark und nichts - mit Ausnahme der Wolken - ist sonst zu sehen.

Die Wolken liegen schwarz, schwer und breit auf dem Nachthimmel, der ohne all die Wolken eine entsprechende Wirkung auf mich hat, denn ich weiß, dass es zwischen all den Planeten, Sternen, der Sonne und den Monden einen Platz für meine Familie und mich gibt.

Hämmernde Regentropfen klopfen an die Fenster und ich mache weiterhin Ausschau nach einem zu kommendem Auto, das schon längst in unserer Einfahrt stehen sollte.

Nun gehe ich ungeduldig auf und ab und ziehe das Handy aus der Hosentasche. Mein Blick fällt auf die Uhrzeit. 21:43.

Ich wähle erneut die Nummer von Kara, meiner Adoptivmutter, doch nichts geschieht. Sie hebt nicht ab und nur die Mailbox meldet sich. Sofort verspüre ich ein mulmiges Gefühl und eine bittere Unsicherheit in mir aufsteigen.

Wütend stelle ich mich erneut vor das Fenster, puste dagegen, male mit den Fingerkuppen feine Muster und wische sie dann wieder weg. Das kann doch unmöglich sein, dass Kara und Nolan schon seit vier Stunden überfällig sind!

Ich weiß selbst, dass es meinerseits total unsinnig ist auszuflippen, aber so bin ich nun mal seit dem Tod meiner leiblichen Eltern. Nolan - mein Zwillingsbruder - und ich wurden mit vier Jahren zu Waisen, da unsere Eltern in einem Autounfall, bei dem wir beide ebenfalls beinahe ums Leben gekommen wären, gestorben sind.

An die Zeit vor dem Unfall kann ich mich kaum noch erinnern, aber ich denke es ist auch gut so, denn ich würde es nicht verkraften so viele Erinnerungen an meine toten Eltern zu haben, ohne dabei zusammenzubrechen.

Ich empfinde Gefühle - wirklich alle Gefühle-, tausendmal stärker, als ich es tun sollte, lasse mir aber nichts anmerken und versuche stets alles in meinem Inneren zu verbergen.

Nur mein - um drei Minuten - älterer Bruder kann mich manchmal, sogar mehr als nur manchmal, durchschauen.

Ich bin äußerlich sehr stark, was die Gefühle angeht aber innerlich schaffe ich es nicht so, wie ich es für mich selber wünsche. Na ja, aber mit den Gefühlen gehe ich auch deshalb sehr sparsam um. Weinen tue ich nicht, etwas ernstes mit Jungs anfangen tue ich ebenfalls nicht, weil ich Angst habe zu sehr verletzt zu werden, was ich wirklich gar nicht will.

Ich zeige meine Gefühle nicht gerne, weil sie mich schwächer machen. Sie lassen mich in den Augen anderer schwach wirken, aber das bin ich nicht. Ich bin nicht schwach, sondern stark.

Als wir nun beide - und da können Nolan und ich von Glück sprechen, dass ausgerechnet Kara so ein gutes Herz hatte und uns beide Adoptiert hat, da wir es ohne einander wahrscheinlich nicht geschafft hätten - von einer super netten Frau nach Hause gebracht worden sind, bestand für mich nicht einmal der geringste Zweifel daran, dass wir bei Kara glücklich werden würden.

Sie hatte uns immer als ihr eigenes Fleisch und Blut gesehen, was Nolan mit vierzehn Jahren nicht mehr nachvollziehen konnte, aus welchem Grund auch immer.

Mir wiederum war es ganz egal, dass wir nicht dasselbe Fleisch und Blut hatten, was mir bis jetzt auch ziemlich wurscht ist, denn Liebe geht über Gene hinaus. Ich liebe Kara. Zwar wollte sie schon immer eigene Kinder haben, aber das konnte sie leider nicht und es tat ihr immer weh darüber sprechen zu müssen, zum Glück hat sie mich und Nolan.

Wir sind ihre Kinder und das nur ihre.

Sie war immer für mich und für Nolan da gewesen, als wir mit aufgerissenen Knien nach Hause kamen.

Sie war diejenige die Nolan geholfen hatte, seinen ersten Herzbruch zu lindern, was sie bisher nie bei mir getan hat, denn ich habe meine erste große Liebe noch nicht erlebt und das beste ist, dass es für mich gar nicht tragisch ist.

Finding FaithWo Geschichten leben. Entdecke jetzt