Talai 2-16 Aufbruch

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Aufbruch

Die Königin mustert die Wahrträumerin der Tannarí mit reglosem Gesicht. Dann streicht sie müde eine lose Strähne ihres weißblonden Haars aus den Augen und starrt auf ihre Hände. Dánirah war sich von Anfang an bewusst, dass dies kein einfaches Gespräch werden würde. Es war Lihas Idee, dass sie allein mit der Königin sprechen solle, von Frau zu Frau. Aber die Tanna kann nur ahnen, was in Fanlaita gerade vorgeht. In der Stimme der Königin von Kelèn klingt ein Vorwurf mit.
«Du behauptest, dass es meiner Tochter gut geht. Aber du hast sie schon über einen Mond nicht mehr gesehen.»
«Das ist wahr. Trotzdem weiß ich, dass es ihr gut geht. Ich habe von ihr geträumt und ich werde sie bald wieder treffen.»
Die Königin mustert ihre Besucherin skeptisch. Dánirah glaubt ihre unausgesprochen Zweifel förmlich zu spüren. Sie gibt sich einen Ruck. Obwohl die Tannarí offiziell die Herrschaft des Hauses Diun nicht anerkennen, verwendet sie die höfliche Anrede.
«Meine Königin, wenn deine Tochter gewünscht hätte, nach Penira zurückzukehren, hätte ich sie hierher begleitet. Aber das Schicksal sieht für sie etwas anderes vor. Es tut mir leid, dass ich keine bessere Nachricht bringen kann.»
Die Königin seufzt und steht auf, um ans Fenster zu treten. Sie sagt lange Zeit nichts. Dann spricht sie weiter, ohne sich Dánirah zuzuwenden.
«Dánan hat mich schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass Talai etwas besonderes sei. Ich glaubte damals, sie meine damit ihre Wildheit. Das Mädchen war kaum zu bändigen im Vergleich zu ihrem Bruder. Ich habe mich redlich bemüht, sie zu einer würdigen jungen Dame zu erziehen, aber erfolglos. Deshalb überrascht mich nicht, dass sie dieses Abenteuer genießt. Aber sie vernachlässigt ihre Pflichten gegenüber dem Reich. Ich hoffte, zumindest das habe sie begriffen.»
«Du urteilst hart über deine Tochter, Königin von Kelèn. Talai hat den Weg gewählt, der Hoffnung für zahllose kranke Kinder im Haontal bietet. Die Prinzessin und ich, wir haben gesehen wie sie leiden. Du solltest froh sein, Königin, dass Penira bis jetzt von dieser Seuche verschont blieb.»
«Ich habe davon gehört. Ich weiß, dass die Krankheit schrecklich sein muss. Aber Talai... Was kann sie dagegen ausrichten? Sie ist keine Heilerin. Eine begabte Harfenspielerin, das ist sie gewiss, eine ausgezeichnete Reiterin und Bogenschützin. Aber was kann das gegen eine tödliche Krankheit helfen?»
«Mehr als du denkst, meine Königin, habe Vertrauen. Deine Tochter ist stark. Aber es gibt noch etwas anderes, was wir besprechen sollten. Du erinnerst dich an deinen Besuch bei Dánan, vor vielen Jahren?»
Fanlaita dreht sich um und setzt sich mit gerunzelter Stirn wieder in ihren Sessel. Dánirah zögert und sucht einen Moment nach Worten. Was sie jetzt zu sagen hat, ist noch viel schwieriger, als der Königin von ihrer Tochter zu berichten. Sie holt tief Luft, bevor sie fortfährt.
«Kurz bevor du Mirim und Talai zu Dánan brachtest, um sie vor dem Einfluss des Feuermagiers zu schützen, begleitete ich ebenfalls ein Kind in das Bergtal in Atara. Die kleine Miràn war von ihren Verwandten verstoßen worden, weil sie magisch begabt war. Wie du weißt, nahm Dánan sie als Schülerin auf und bildete sie zur Schattenwandlerin aus.»
Fanlaita nickt und nimmt mit gerunzelter Stirn das Wort.
«Aus dem stillen Kind ist eine selbstbewusste Frau geworden. Mirim hat ein Auge auf sie geworfen. Ich fürchte, dass es im Reich Aufruhr geben wird, wenn der Kronprinz aus all den jungen Frauen, die ihn bewundern, eine Halb-Tanna wählt. Aber ich kannte Miràn als Kind und sehe, wie sie sich entwickelt hat. Mein Herz lässt nicht zu, mich gegen diese Verbindung zu stellen.»
Dánirah ist überrascht. Soviel Offenheit hätte sie der Königin nicht zugetraut. Aber was Mirim und Miràn planen, spielt für die Wahrträumerin keine Rolle. Deshalb nimmt sie einen weiteren Anlauf.
«Es freut mich, von deiner Haltung zu hören, meine Königin. Aber ich wollte nicht von Miràn sprechen. Es gibt ein anderes Kind, das die Hilfe von Dánan nötig hat.»
Fanlaitas Augen weiten sich, deutlich ist in ihnen der Schock zu lesen. Es bleibt Dánirah erspart, weiter zu erläutern.
«Kerim? Weshalb? Es gibt weder in meiner noch in Pentims Familie Magier.»
«Das spielt keine Rolle. Dass du sofort wusstest, wen ich meine, beweist, dass du die Zeichen siehst wie alle anderen, die deinen Sohn kennen. Frag Berim, seinen Waffenmeister, oder Liha und Miràn. Ich glaube, es ist Berim zu verdanken, dass der Prinz noch nicht ernsthaft an seiner Magie erkrankte. Dein Sohn hat mir erzählt, er könne einen Pfeil um eine Ecke herum ins Ziel schießen. Berim bestätigt das. Er schaffte es, den Prinzen unauffällig seine Magie üben zu lassen, ohne dass er bisher zu viel auf einmal einsetzte. Das ist eine gewaltige Leistung. Aber irgendwann wird Kerim sich übernehmen, und dann kann nur ein ausgebildeter Schattenwandler helfen.»
«Dánan...»
«Dánan, oder Onish, Jakrim, Sanesh, vielleicht auch Miràn, obwohl sie noch sehr jung ist.»
«Aber du schlägst Dánan vor?»
«Ja, meine Königin.»
Fanlaita steht auf und geht mit eiligen Schritten im Zimmer auf und ab. Ihr langes, purpurrotes Kleid mit den goldenen Stickereien raschelt leise. Schließlich bleibt die Königin entschlossen stehen.
«Nun, so sei es. Ich versprach Dánan damals, als ich ihr Tal verließ, sie eines Tages wieder zu besuchen. Bitte sag Berim, er solle eine Eskorte zusammenrufen. Es ist Zeit, dass ich mein Versprechen einlöse.»

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