Talai 3-16 Die Mine

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Die Mine

In einer lichtlosen Höhle tief unter dem Frostgebirge erwacht ein Keresh von einem dumpfen Dröhnen und bewegt sich unbehaglich. Sein Unmut lässt die Felsen in der Umgebung vibrieren. Kereshí ruhen oft sehr lange reglos ihn einer versteckten Höhle während oben, auf der Oberfläche der Erde, sich die Jahreszeiten folgen. In ihrer Abgeschiedenheit kennen sie keine Eile und kein Drängen. Sie bleiben gerne ungestört und wenn eines von ihnen, so wie heute, durch einen äußeren Einfluss geweckt wird, ist sein Unwille groß.
Das Keresh schüttelt sich und verharrt dann, um auf das seltsame Geräusch zu lauschen, das immer noch die Ruhe stört. Ein entferntes Klopfen hallt in einem regelmäßigen Rhythmus durch den Felsen. Das ist nicht zu vergleichen mit dem sanften Tropfen eines Rinnsals in einer Felsenkammer. Dieser Ton hat eine metallische, aggressives Eigenschaft. Das Keresh schüttelt sich und lässt die Felsen noch einmal erzittern. Das Klopfen hört auf. Zufrieden rollt sich der Bergbewohner wieder an seinem Ruheplatz zusammen. Aber kaum hat sich das uralte Wesen entspannt, setzt das unangenehme Geräusch wieder ein.

~ ~ ~

Von ihrem hochgelegenen Versteck aus kann Talai das Tal von Hilak überblicken. Sie drückt sich flach auf den Boden und späht zwischen zwei Felsbrocken hindurch auf das Minengelände. Im Moment ist dort unten alles ruhig. Nur wenige Menschen sind zu sehen, wohl Aufseher, die bei den Schächten herumlungern. Anders sieht es drüben bei den großen Schmelzöfen aus, die Talai am unteren Ende des Geländes erkennen kann. Dichter schwarzer Rauch quillt aus zwei mächtigen Kaminen, und Fuhrwerke bringen immer neue Holzkohle von talabwärts liegenden Köhlerplätzen heran, um die hungrigen Öfen zu füttern. Gerade wird ein Wagen mit schweren, verschlossenen Kisten beladen. Talai vermutet, dass sie Silber enthalten, das zum Verkauf ins Tal gebracht werden soll. Ihre Annahme wird bestätigt, als sich eine bewaffnete Eskorte formiert, um das Fuhrwerk zu begleiten. Bald rumpelt es die steile Straße hinunter und verschwindet hinter einer Kurve.
Talai hat für den Moment genug gesehen. Umsichtig kriecht sie aus ihrem hochgelegenen Versteck hinunter in eine kleine Senke, wo He'sha auf sie wartet. Grinsend stellt sie fest, dass der junge Magier im Gras eingeschlafen ist. Sie ist immer noch erleichtert, dass er am Tag nach ihrem Zerwürfnis wieder auftauchte und sie um Verzeihung für sein Davonstürmen bat. Das ist bereits einen halben Mond her. Sachte stupst sie ihn mit dem Fuß an.
«Du bist ja ein schöner Kundschafter. Wie willst du mir den Rücken freihalten, wenn du schläfst?»
He'shas verwirrter Blick bringt sie zum Lachen. Er reibt sich verschlafen die Augen und gähnt ausgiebig.
«Ich habe seit Tagen nicht so gut geschlafen. Hör auf zu lachen, was ist los?»
«Nicht so laut, wir befinden uns in der Nähe der Mine. Hast du das schon vergessen, Schlafmütze?»
«Das sagt gerade die Richtige! Wer hat die ganze letzte Nacht verschlafen, während ich mit Luok unterwegs war?»
Talai zuckt die Schultern. Ihr ist klar, dass He'sha mit einem Bruchteil der Erholung auskommen muss, die sie selbst benötigt. Deshalb war es ihr nicht recht, ihn wecken zu müssen.
«Wir sollten zu den anderen hinuntergehen, bevor sie sich Sorgen machen. Sonst stellt Sorim plötzlich eine Dummheit an.»
«Ja, natürlich. Hast du noch etwas beobachtet?»
«Nur einen schwer beladenen Wagen, der die Werkstätten verließ, wohl mit einer Silberladung. Und in der Hütte des Magiers wird eifrig gearbeitet, vermutlich laden sie dort die Brennsteine auf. Sonst ist es ruhig. Aber von hier oben lässt sich nicht viel erkennen.»
He'sha rappelt sich auf und fährt sich mit den Händen durch sein zerzaustes langes Haar. Mit geübten Fingern flicht er es zu einem Zopf. Talai sieht ihm fasziniert zu.
«Starr mich nicht so an, als hättest du noch nie jemanden die Haare flechten sehen. Ich werde heute Nacht noch einmal zur Hütte dieses Magiers gehen. Die Sache mit den Steinen beschäftigt mich. Denkst du, dass sie das Wasser vergiften?»
Talai überlegt sich noch einmal, wie die Mine angelegt ist. Möglich ist es schon, das Haus des Magiers liegt direkt am Bach. Wenn durch den Prozess des Aufladens der Steine ein Gift freigesetzt wird, könnte das in den Fluss gelangen.
«Vielleicht hast du recht, He'sha. Wir sollten uns die Hütte genauer ansehen.»
«Nein, ‹wir› ganz bestimmt nicht. Ich gehe allein, du kannst dich nicht in einen Schatten verwandeln.»
Talai seufzt und hebt ihren Bogen auf. Die Laute ließ sie für einmal im Lager zurück. He'sha hat natürlich recht. Aber es widerstrebt ihr zutiefst, ihn alleine losziehen zu lassen.
Die beiden Kundschafter folgen einem Bach ein Stück aufwärts und überqueren dann einen Sattel, um in ein anderes Nebental zu gelangen. Hier haben sie beim Eingang einer Höhle ein Lager eingerichtet. Es war die Hrankae, die dieses Versteck und damit auch gleich einen Schlafplätze für sich selbst ausfindig machte. Dánirah sitzt an der Feuerstelle und zeigt Laiàn, wie sie einen Riss in ihrer Jacke flicken kann. Sorim schnitzt an seinem Holzlöffel. Er blickt auf, als sich unter He'shas Schuh ein kleiner Stein löst.
«Da seid ihr ja endlich. Ich wollte euch suchen, aber Danirah hat es mir verboten.»
«Und damit hat sie recht. Wenn dich jemand aus der Mine erkennt, können wir uns viel Ärger einhandeln. Sind Liha und Ushin schon zurück?»
Dánirah schüttelt den Kopf. Talai wirft He'sha einen besorgten Blick zu. Liha wollte sich die Schmelzanlage aus der Nähe ansehen, vielleicht sogar dort vorbeigehen, um sich als möglicher Kunde auszugeben. Von ihrer ganzen Gruppe ist er der einzige, dem es gelingen könnte, diese Rolle zu spielen. Aber Talai hat trotzdem ein schlechtes Gefühl bei diesem Unterfangen. Deshalb ist sie froh, dass Ushin den Krieger aus der Ferne beobachtet.
He'sha setzt sich zu Dánirah ans Feuer und inspiziert Laiàns Näharbeit. Das Mädchen, das endlich Vertrauen gefasst hat, zeigt ihm stolz die Flickstelle. Talai hebt den Topf auf, der beim Feuer steht, um am Bach Wasser zu holen. Als sie zurückkommt, betrachtet He'sha konzentriert etwas, das vor ihm auf einem flachen Stein liegt. Im Herankommen erkennt Talai den Splitter des Brennsteins, den er aus der Mine mitbrachte. Neugierig tritt sie näher.
«Hast du herausgefunden, was es mit den Steinen auf sich hat?»
«Einiges wissen wir schon. Sie sind mit Schattenmagie geladen, etwas was nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Mir ist vor einigen Tagen eine Idee gekommen, die ich überprüfen möchte. Sorim meint, der Magier der Mine stecke sie dazu in einen Topf. Vielleicht schüttet der Magier die Flüssigkeit, wenn sie nicht mehr gebraucht wird, in den Bach.»
Dánirah legt die Nadel beiseite, um den grauen Stein näher zu betrachten
«Gibt es einen Weg, das zu überprüfen?»
«Vielleicht. Zuerst muss ich herausfinden, wie der Stein funktioniert. Ich habe keinen aktivierten Brennstein, um diesen hier auszulösen. Gibt es einen anderen Weg, als denjenigen, ihn an einen bereits brennenden Stein zu halten, Sorim?»
Der Junge runzelt nachdenklich die Stirn. Mit dem Zeigefinger berührt er vorsichtig den grauen Steinsplitter. He'sha packt seine Hand und hält ihn zurück.
«Vorsicht, der Stein ist voller Magie und wir wissen nicht, was genau die Krankheit auslöst.»
«Berühren schadet bestimmt nicht. Es war meine Aufgabe, die Steine auszuwechseln. Ich habe sie ständig berührt und bin nie krank geworden. Aber ich weiß keinen anderen Weg, ihn anzuzünden.»
Talai mustert den Stein, seine unscheinbare Farbe und poröse Oberfläche.
«Ist es möglich, dass die Magie nicht im Stein steckt, sondern in den Hohlräumen? Vielleicht befindet sich in dem Kessel des Magiers der eigentliche Leuchtstoff.»
«Das ist eine Möglichkeit. Der Stein ist dann nur der Behälter für die Magie, mit der er vollgesaut ist. Wenn die Steine leuchten, Sorim, werden sie heiß?»
«Ja, solange sie hell brennen schon. Gegen Ende sind sie dann nur noch warm und geben ein schwaches Licht.»
Talai nimmt den Steinsplitter auf und betrachtet ihn im Sonnenlicht. Die neue Bruchfläche unterscheidet sich deutlich von der übrigen Oberfläche. Sie ist dunkler und scharfkantiger. Aber besonders fällt auf, dass viele der Poren mit einer beinahe schwarzen, leicht klebrigen Masse verstopft sind. Sie riecht an dem Stein und verzeiht das Gesicht, als ihr ein beißender Geruch in die Nase steigt. He'sha blickt sie alarmiert an.
«Was hast du?»
«Ist dir schon aufgefallen, wie das Zeug in den Löchern stinkt?»
«Welches Zeug meinst du?»
«Diese schwarze Masse, die innen in den Poren klebt, sieh her!»
He'sha blinzelt und dreht den Stein verwirrt in der Hand. Dánirahs Lachen lässt die beiden jungen Menschen aufblicken.
«He'sha, du bist ein Kind der Nacht. Deine Augen sind vom Tageslicht überfordert, dafür kannst du in der Nacht mehr sehen als wir. Talai und du, ihr ergänzt euch prächtig.»

TalaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt