Talai 3-20 Das Ende

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Das Ende

Talai erwacht zitternd vor Kälte. Mit der Hand tastet sie ihren schmerzenden Kopf ab, nicht überrascht, eine klebrige, warme Flüssigkeit zu spüren. Beim Versuch, sich aufzurichten, wird ihr schwindlig. Die besorgten Gedanken des Kae umfangen sie und überblenden ihre eigenen. Rings um sie herum liegen Steine. Einer davon muss die Laterne mit dem Brennstein zerschlagen haben. Benommen beobachtet Talai, wie dessen Licht schwächer wird.
Ein neues Zittern läuft durch die Felsen und das Kae strahlt Panik aus. Talai stemmt sich verzweifelt an der Stollenwand hoch. Sie muss diese Falle verlassen, bevor sie ganz zusammenbricht. Aber bereits nach zwei Schritten stolpert sie über einen Felsen und schlägt beim Sturz schmerzhaft die Knie auf. Darüber nimmt sie die neuen Gedankenbilder zunächst nur verschwommen wahr. Eines zeigt die typische Schärfe des Ijenkae, das andere erkennt sie nicht sofort. Kann das Luok sein? Sie versucht noch einmal, sich aufzurichten, als das dumpfe Grollen in den Felsen erneut einsetzt.
Diesmal gibt es keinen Knall. Tief im Fels beginnt ein Rollen, wird stärker und lässt den Boden unter Talais Fingern erzittern. Aus großer Ferne hallt das Krachen einstürzender Gänge unheilbringend durch den Stollen. Das Geräusch kommt rasch näher. Plötzlich spürt Talai eine Art Erleichterung. Nun wird sie endlich erfahren, wie ihr Traum ausgeht.

~ ~ ~

Luok spürt das Vibrieren, das wie ein Lauffeuer durch die Felsen läuft. Wenn sie es selbst nicht wüsste, würde die Anspannung des Ijenkae an ihrer Seite sie auf die Gefahr hinweisen. Dieses Bergwerk steht unmittelbar davor, einzustürzen. Endlich erreicht sie die Sohle des Einstiegs.
Das Kae weist ihr mit panischen Gedanken die Richtung.
Kurz darauf kauert Luok neben der zusammengesunkenen Gestalt Talais zwischen herumliegenden Felsbrocken. Die junge Frau sieht schlecht aus, das Gesicht blutüberströmt, die Augen aufgerissen.
«Talai? Wie geht es dir? Kannst du aufstehen?»
«Luok? Du solltest nicht hier sein, der Stollen stürzt ein. Mein Traum...»
Talais Stimme ist leise und klingt erschöpft. Luok weiss, dass sie die Mine nicht aus eigener Kraft verlassen kann. Entschlossen macht sie sich so körperhaft, wie es ihr in dem engen Stollen möglich ist. Talai zieht erschrocken die Luft ein.
«Luok? Ist das... sind das deine Augen?»
Die Hrankae entblößt scharfe Zähne in einem unsichtbaren Lächeln. Sie wird selten so körperhaft, dass ihre großen, goldenen Augen mit den schrägstehenden Pupillen sichtbar sind. Aber dies ist nicht die Zeit für Nichtigkeiten. Mit messerscharfen Klauen packt sie die junge Frau und zieht sie dicht an ihren schuppigen Körper.
«Halt dich fest, Talai, ich bringe dich hier raus.»
Die Frau versucht kraftlos, der Aufforderung zu folgen. Luok setzt sich in Bewegung. Zunächst ist der Stollen zu eng zum fliegen. Aber vorn, gegen den großen Schacht hin, kann sie abheben und schwingt sich in dem beengten Raum in die Luft. Sie muss sich beeilen und gleichzeitig aufpassen, nirgends gegen einen Felsen zu stossen. Endlich erreicht sie den Einstiegsschacht. Ihre Erleichterung wird aber gleich verdrängt: Über ihre Gedankenverbindung spürt sie He'shas Bedrängnis. Verzweifelt hallt der Aufschrei der Hrankae durch die Gänge der Mine.

~ ~ ~

He'sha weiß, dass er dem Schattenmagier nicht mehr lange die Stirn bieten kann. Seine Energie geht zur Neige, und er kann sie nicht so schnell ergänzen, wie er sie verbraucht. Sein Gegner hat seine Taktik durchschaut und macht nicht mehr den Fehler, ihm genügend Bewegungsfreiheit einzuräumen, den Angriffen auszuweichen. Seit geraumer Zeit steht er an der gleichen Stelle, mit dem Rücken zum großen Kamin, und überlegt fieberhaft, wie er diesen ungleichen Kampf gewinnen kann. Über ihm steht das Dach in Flammen. Brennende Schindeln stürzen wie Schmetterlinge aus Feuer ins Hausinnere. He'sha riskiert einen Blick nach oben, durch die größer werdenden Löcher hinaus in den Nachthimmel. Majestätisch stehen da die Sterne, unberührt von Geschehnissen in einem abgelegenen Tal in Nirah. Beinahe glaubt He'sha, ihren Ruf zu hören und er sehnt sich danach, mit Luok durch die Weiten dieses Himmels zu fliegen.
Ein neuer Angriff lässt ihn erzittern. Er hebt abwehrend die Hand, während er sich instinktiv in seine Schattenform stürzt. In diesem Moment wird ihm klar, was ihn von seinem Gegner unterscheidet. Jedesmal, wenn er sich in einen Schatten verwandelt, zehrt er nicht nur von der Schattenenergie, sondern auch von der ihm eigenen, kaum je benutzten Magie der Nacht.
Seine Mutter bemühte sich jahrelang, ihm den schwierige Umgang mit dieser Energiequelle beizubringen, ihm zu zeigen, wie er aus dem Wechsel von Tag und Nacht, aus der Bewegung von Mond und Sternen Energie beziehen kann. Erst jetzt erkennt er, wie einfach der Zugang zu dieser Quelle in Wahrheit ist. Er streckt seine Hand zum Dach aus, zu den Sternen und zur Nacht selbst. Ungeahnte Kraft durchströmt ihn, füllt ihn aus und entlädt sich in einen gewaltigen, vielfarbigen Blitz in der Hütte des Magiers.
He'sha blinzelt erschrocken in das Chaos, das sein magischer Angriff in dem beengten Raum auslöste. Das Feuer ist erloschen und in dem Raum ist es dunkel Dann lässt ihn ein lautes Knacken nach oben blicken, zu spät. Er stürzt zu Boden, von einem Balken des in sich zusammenfallenden Dachstuhls getroffen.

TalaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt