Talai 2-19 Fieber

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Fieber

Silish erreicht das Dorf am späten Abend nach einem weiteren langen Tagesritt. Sowohl er als auch sein Pferd sind erschöpft und benötigen dringend eine Unterkunft. Aber zuerst sieht er sich in der Siedlung um. Er will auf keinen Fall seine Kollegen verpassen. Wenn seine Berechnungen stimmen, könnten sie sich inzwischen in dieser Gegend befinden. Vorausgesetzt natürlich, dass sie auf der Suche nach Prinzessin Talai nicht von der Hauptstraße abgewichen sind.
Es gibt drei Gaststätten. Das bedeutet, dass er in allen drei nachfragen muss, ob die Krieger der königlichen Garde hier untergekommen sind. Immerhin ist dies eine Auskunft, welche die meisten Wirtsleute bereitwillig erteilen. Er beginnt mit einem kleinen Gasthof am Dorfende. Der Wirt ist bereits dabei, aufzuräumen und gibt nur mürrisch Auskunft. Erst als Silish ein Glas Wein bestellt, taut er etwas auf. Nein, unter seinen Gästen gibt es keine Krieger der Königsgarde. Silish bedankt sich, bezahlt und bricht wieder auf. Der Wein steigt ihm rasch zu Kopf und lässt ihn seine Erschöpfung noch deutlicher spüren. Auch im nächsten Haus, einem großen Bau am zentralen Dorfplatz, hat er kein Glück. Immerhin bekommt er die Auskunft diesmal ohne weitere Umstände. Das dritte Gasthaus liegt in einer Seitenstraße. Die Fenster sind noch erleuchtet, also ist noch jemand wach. Silish bindet sein Pferd auf dem Vorplatz an und betritt die Gaststube. Hier herrscht noch reger Betrieb. Er sieht sich nach jemandem um, der ihm Auskunft geben könnte. Eine füllige Frau betritt mit einem Tablett den Raum. Silish wartet, bis sie die Getränke ihren Kunden serviert hat und sich ihm zuwendet.
«Du siehst müde aus, Krieger. Was kann ich für dich tun? Wir haben in der Küche noch einen Rest Getreidesuppe und ich kann dir dazu Brot und Käse anbieten.»
«Das klingt verlockend. Aber zuerst eine Frage. Sind in letzter Zeit Krieger der königlichen Garde hier abgestiegen?»
Etwas skeptisch mustert ihn die Frau.
«Warum? Hast du etwas zu verbergen?»
Silish lächelt. Er mag die direkte Art der Wirtin und beschließt, so oder so hier etwas zu essen und ein Zimmer zu nehmen. Unauffällig schlägt er seinen Reisemantel zurück, damit die Frau die Brustplatte mit dem goldenen Sonnensymbol sehen kann. Sie lächelt.
«Nun, du hast Pech, Krieger. Die Männer, die du suchst, haben hier gegessen und sich vor einer Weile zurückgezogen.»
Silish sieht den Schalk in ihren Augen aufblitzen als sie ihn am Arm nimmt und zu einem Tisch führt.
«Setz dich Krieger. Ich bringe dir etwas zu essen und hole anschließend deinen Kommandanten her. Das ist der blonde mit der Narbe über dem linken Auge, nicht wahr?»
Silish nickt. Bevor die Wirtin gehen kann, berührt er sie am Arm.
«Mein Pferd, kann ich es in einen Stall bringen?»
«Ja, natürlich. Ich schicke jemanden hinaus, der dir hilft und sich um das Tier kümmert. Beeil dich, ich stelle unterdessen deine Mahlzeit bereit.»
Als Silish kurz darauf die Gaststube wieder betritt, steht wie versprochen ein Teller Suppe, ein Laib Brot und ein großes Stück Käse bereit. Dankbar setzt er sich und streckt seine Beine aus. Schmerzhaft kehrt Gefühl in seine kalten Füße und Hände zurück. Wenn die Wirtin recht hat und Numesh, Marish, Raill und Steim tatsächlich hier übernachten, kann er sich und seinem Tier endlich eine Nacht der ungestörten Ruhe gönnen. Er taucht hungrig seinen Löffel in die dampfende Suppe, als Numesh die Stube betritt.

~ ~ ~

Mitternacht ist nahe, als das Kae zum Unterstand zurückkehrt. Vor Freude darüber, endlich einen Artgenossen gefunden zu haben, ist es aufgeregt und strahlt unkontrolliert begeisterte Gedankenbilder aus. Die fremde Dunkelheit lebt zurückgezogen in einem Seitental, ein Stück flussaufwärts von ihrem Versteck. Sie war nicht besonders freundlich, aber bestätigte, dass unten im Tal des Dioàr inzwischen keine Kaedin mehr leben. Ob sie einfach weggezogen sind oder ob alle der Krankheit zum Opfer fielen, wusste sie nicht. Sie berichtete aber von einigen weiteren kleinen Dunkelheiten, die sich tiefer in die Bergtäler zurückgezogen hätten und denen es anscheinend gut ging. Diese freudigen Neuigkeiten will das Kae so schnell wie möglich mit Talai teilen.
Als die kleine Dunkelheit am Ende der vorigen Nacht von einer erfolglosen Suche heimkehrte, schlief die junge Frau tief und ließ sich nicht wecken. Erst als das Kae abends wieder erwachte, stellte es fest, dass sie den ganzen Tag in ihrem behelfsmäßigen Versteck verbracht hatte. Sie erklärte ihm, sie sei immer noch müde und werde sich eine weitere Nacht ausruhen, bevor sie weiterziehen wolle. Zunächst war das Kae beunruhigt, aber dann ließ es sich überreden, weiter nach Artgenossen zu suchen. Talai hatte während des Tages Holz gesammelt und in der Feuerstelle brannte ein behagliches Feuer. Das Kae trank wie immer einen Becher Wasser, bevor es sich auf den Weg machte.
Nun gleitet es wie ein windzerzauster Fetzen dunklen Nebels über die Schneefelder und durch den Eingang des Unterschlupfs. Dabei sendet es bereits ein dringendes Gedankenbild an die schlafende Frau. Sobald es sich zu einer Kugel verfestigt, merkt es, dass etwas nicht stimmt. Talai reagiert nicht auf seinen Anruf. Stattdessen strahlt sie wirre Bilder aus, die keinen Zusammenhang ergeben. Einige erinnern das Kae an ihren Alptraum der Nacht in Tenar. Dazwischen mischen sich immer wieder Erinnerungsfetzen, die wohl weit zurückliegen. Besorgt nähert sich das Kae seiner Freundin. Diese zittert am ganzen Körper, während ihr Gesicht Hitze ausstrahlt. Die junge Frau ist krank.
Verzweifelt versucht das Kae, Talai aus ihren Fieberträumen zu reißen. Einen kurzen Moment lang schlägt sie tatsächlich die Augen auf, aber nur, um gleich wieder in ihren Phantasien zu versinken und ohne ein einziges klar verständliches Gedankenbild zu projizieren. Dem Kae ist klar, dass es keine Zeit verlieren darf. Es muss Hilfe holen, und zwar schnell.

TalaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt