Talai 2-13 Kreuzweg

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Kreuzweg

He'sha genießt Dánans honiggesüssten Tee und die Tatsache, dass die Schattenwandlerin für ihn immer frisches Gebäck bereitstehen hat. Als er sie fragt, wie sie das schafft, lacht sie nur.
«Einige Geheimnisse musst du einer alten Magierin schon lassen. Sonst verliere ich noch meinen Ruf. Darf ich dir noch Tee nachgießen?»
He'sha hält ihr bereitwillig den Becher hin. Seit er mit Luok unterwegs ist, kommt er nur noch selten in den Genuss solcher Leckereien. Trotzdem würde er seine Freiheit dafür nicht eintauschen.
«Ich habe keine Spur deiner Schülerin gefunden, leider. Die Wesen der Nacht haben sie nicht beobachtet. Vielleicht hat sie die Nächte auch in den menschlichen Dörfern verbracht, dorthin begeben sich weder Nsilí noch Kaedin freiwillig.»
«Miràn reist mit dem Kronprinzen von Kelèn, ich bin sicher, dass er es vorzieht, in Gasthäusern zu übernachten. Deshalb erstaunt es mich nicht, dass die Wesen der Nacht nichts über hin und seine Eskorte wissen. Vermutlich muss ich mich in Geduld üben, bis Miràn mir eine Botschaft zukommen lässt.»
«Mein Vater hat versprochen, bald seine Freunde in Penira zu besuchen. Ich bin sicher, dass er dir danach eine Nachricht schickt oder bringt. Der König hat ihm und meiner Mutter erlaubt, mit Noak und Ranoz direkt auf der Terrasse des Schlosses zu landen. Luok und ich können uns das nicht erlauben. Die Palastwachen würden jeden außer Silàn und A'shei angreifen.»
«Nimm das nicht persönlich. Es ist ungewöhnlich, dass die Königin der Nacht auf der Burg des Sonnenkönigs willkommen ist. Das war nicht immer so.»
«Ich weiß, aber das ändert nichts daran, dass Wesen der Nacht wie Luok und ich bei den Keleni nicht gern gesehen sind. Die meisten fürchten sich vor uns, obwohl wir noch nie jemandem etwas getan haben.»
«Das ist eine alte Feindschaft, He'sha. Die Kinder der Sonne fürchten Dunkelheiten, seien es nun Hrankaedí, Kaedin oder auch Tannarí. Sie würden sich nie freiwillig mit ihnen einlassen.»
«Hmm, vielleicht gibt es doch welche, die das tun. Wir haben gestern am Brunnen von Sié eine sehr seltsame Kelen getroffen. Sie reiste mit einem Kae.»
Dánan mustert ihren Besucher skeptisch. He'sha ist etwas beleidigt, dass sie an seinen Worten zweifelt. Er setzt seinen Becher hart auf den Tisch.
«Ich lüge nicht. Ich habe das Kae nicht gesehen, aber Luok hat mit ihm gesprochen. Nur kurz, weil gerade die Sonne aufging, aber es war da.»
«Ich habe außer Silàn noch nie jemanden kennengelernt, der näheren Kontakt mit Kaedin hat. Bist du sicher, dass die beiden nicht zufällig gleichzeitig beim Brunnen waren?»
«Frag Luok. Sie meint, die junge Frau spräche die Sprache der Kaedin, sie haben sich so unterhalten. Ich bin immer noch nicht gut mit diesen Gedankenbildern, aber erkennen, wenn sie benutzt werden, das kann ich. Luok sagt, das Kae wohne in der Laute der Kelen. Aber vielleicht ist es gar keine Kelen, trotz dem Haar und den Augen. Sie trug einen Tanna-Schal, so einen wie deinen.»
Nachdenklich lehnt Dánan sich auf ihrem Stuhl zurück. Sie scheint tief in Gedanken und ihre Augen blicken leer. Erst nach einer Weile, als es He'sha schon unbehaglich wird, nimmt sie noch einmal das Wort.
«Seltsam. Ich müsste von einer blonden Tochter des Morgensterns gehört haben. Das ist eine Ehre, die nur selten jemandem zu Teil wird, in dessen Adern kein Tannarí-Blut fließt. Bist du sicher, dass es sich nicht um einen Mischling handelt?»
«Ich habe sie nicht gefragt. Aber sie war so hellhäutig und grauäugig wie ich es bisher nur bei Keleni gesehen habe. Sie hatte keine Angst vor Luok, obwohl sie in voller Größe vor ihr stand. Und sie hat mit dem Kae zusammen den Brunnen vom Sand befreit, er führt jetzt wieder Wasser.»
«Nun, das klingt nach einer bemerkenswerten jungen Frau. Kennst du ihren Namen?»
He'sha schüttelt den Kopf. Es ärgert ihn immer noch, dass er nur so wenig über die Fremde in Erfahrung brachte. Wenn es nach Luok gegangen wäre, hätte er sie verfolgt. Aber er hatte Dánan versprochen, bei ihr vorbeizukommen. Langsam fragt er sich, ob das die richtige Entscheidung war.

~ ~ ~

Silish erreicht Penira nach einem langen Nachtritt in den frühen Morgenstunden. Das Nordtor ist noch geschlossen, und der Fährtenleser flucht leise vor sich hin. Ihm bleibt wohl nichts anderes übrig als zu warten, bis die Wachen bei Sonnenaufgang die schweren Tore öffnen. Er blickt zum Himmel hoch, aber die dichte Wolkendecke macht es ihm unmöglich, die genaue Zeit zu schätzen. Beinahe bedauert Silish, die Nacht durchgeritten zu sein. Wenn er lange hier warten muss, erkältet sich bestimmt sein verschwitztes Pferd und ihm selbst wird es nicht viel besser ergehen. Kurzentschlossen gleitet er aus dem Sattel und beginnt, das Tier sorgfältig trockenzureiben. Dann leert er seine Wasserflasche in seinen Helm und lässt die erschöpfte Stute trinken. Es ist wirklich zu kalt, um herumzustehen. Sobald er mit seiner Arbeit fertig ist, nimmt er das Tier beim Zügel. Er wird es um die Stadt herumführen bis zum Osttor. So bleiben sie beide in Bewegung und können sich warm halten. Außerdem ist das Osttor traditionell das erste der vier Tore Peniras, das am Morgen geöffnet wird. Silish hofft, dass es bis dahin nicht mehr zu lange dauert.

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