Verbündete
Im Reiten tastet Numesh nach dem Brief in seiner Tasche. Er hat ihn bestimmt schon ein Dutzend mal gelesen, aber immer noch beschäftigt ihn sein seltsamer Inhalt. Der Text ist kurz, und inzwischen kennt er ihn auswendig.
Numesh
Die Entscheidung liegt bei deinen Männern und dir. Sprich mit dem Strahlenden, wenn sie ausfällt, wie ich vermute. Die Spur der Träumerin führt nach Süden. Der Zeichner kennt ein Gasthaus am Tor.
Ewig und einen Tag, Hran-isha-KelènSo geheimnisvoll sich die knappe Botschaft anhört, so klar ist der größte Teil ihres Inhalts für Numesh. Vermutlich wollte der Verfasser sichergehen, dass sie nicht in falsche Hände geriet. Oder dass sie harmlos wirkte, falls doch. Liha ist das Oberhaupt eines Netzes von Informanten, das von Nirah bis ans Nordmeer und Atara bis Eshekir reicht. Geheimnisvolle Botschaften passen zu ihm.
Numesh gönnte seinen Männern eine ungestörte Nacht, bevor er sie am nächsten Morgen zusammenrief. Es dauerte nicht lange, ihnen den Brief vorzulesen. In den Augen von Raill und Silish blitzte Verstehen auf, während Marish und Steim ihn verständnislos musterten. Das wiederum erklärte für Numesh einiges. Silish war als Fährtenleser dabei, als Liha den Feuermagier Hajtash bis ans Nordmeer verfolgte. Er kennt den Drachen von Kelèn und die Wahrträumerin Dánirah von dieser Reise. Raill dagegen verbarg bisher erfolgreich, Lihas Netz von Informanten anzugehören. Nun begriff Numesh, wer mit dem ‹Zeichner› gemeint war. Für Marish und Steim erläuterte er, wie er den Brief interpretierte.
Silish zögerte trotz seiner immer noch sichtbaren Erschöpfung keinen Augenblick, sich als Fährtenleser für diese verschleierte Mission zu melden. Raill, der sonst immer einen fröhlichen Spruch auf Lager hatte, nickte wortlos. Die beiden anderen Männer schlossen sich seiner Entscheidung mit einem Schulterzucken an.
Numesh blieb es überlassen, um eine Audienz beim Strahlenden, nämlich dem König zu bitten. Das war der schwierigste Teil. Aber Liha musste den Sonnenkönig bereits vorgewarnt haben, denn Pentim ließ ihn nicht lange warten. Als Numesh den Thronsaal betrat und zum ersten Mal allein vor dem Herrscher des Reiches Kelèn stand, versagte beinahe seine Stimme. Der König schien genau zu wissen, wie es ihm ging. Mit einen angedeuteten Lächeln nahm er das Wort.
«Numesh. Ich höre, dass du mit einigen wenigen Männern die Spur meiner verlorenen Tochter wiedergefunden hast?»
«Ja, mein König. Aber ich war es auch, der sie in Inoira nicht zu beschützen vermochte.»
«Ich erinnere mich. Eine schlimme Sache, aber nicht allein dein Fehler. Ich hätte sie niemals mit einer so kleinen Eskorte losschicken dürfen. Liha hat mir das mehr als deutlich gesagt. Was führt dich zu mir, Krieger?»
«Ich fand in meinem Zimmer diesen Brief, mein König.»
Er reichte dem Sonnenkönig das gefaltete Pergament. Pentim las es mit gerunzelter Stirn.
«Ich kenne die Schrift. Allerdings habe ich noch nie gesehen, dass er mit diesem Namen unterschrieb, obwohl er ihn zweifellos zu Recht trägt. Eine seltsame Art, dich und deine Männer vor die Entscheidung zu stellen. Nun, wie ist sie ausgefallen?»
«Wenn mein König es erlaubt, werden wir dem Drachen nach Nirah folgen. Wenn er und Dánirah glauben, dass wir helfen können, werden wir alles tun, was in unserer Macht steht, sie zu unterstützen.»
Unter dem direkten Blick von Pentims blauen Augen begann sich Numesh ausgesprochen unwohl zu fühlen. Hatte er den Brief etwa doch falsch verstanden? Endlich entließ ihn der König aus seinem Blick und nickte nachdenklich.
«Gut. Wenn Liha glaubt, du und deine Männer könnten Talai irgendwie helfen, hat das bestimmt einen Grund. Du hast freie Hand in dieser Sache. Geht mit meinem Segen.»
Noch vor dem Mittag waren Numesh und seine Männer aufbruchsbereit. Der König bot ihnen tatsächlich jede Unterstützung. Das bedeutet, dass jeder nun zwei Pferde besitzt, so dass sie die Tiere unterwegs weniger belasten müssen und trotzdem größere Etappen zurücklegen können. Schweren Herzens ließ Silish seine lahmende Stute in Penira zurück. Geschwindigkeit ist ein wichtiger Faktor, wenn sie Liha einholen wollen.
Numesh wirft einen Blick zur Sonne, die bereits tief über dem Horizont steht. Sie brauchen bald eine Unterkunft. Es hat keinen Sinn, die Männer, die sich kaum vom letzten Gewaltritt erholt haben, gleich zu Beginn dieser Reise wieder an ihre Grenzen zu treiben. Er wendet sich an Marish, der neben ihm reitet.
«Lass uns im nächsten Dorf eine Unterkunft suchen. Silish sieht aus, als würde er nächstens aus dem Sattel kippen.»
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Talai
FantasyNach einem Überfall findet sich die rebellische Tochter des Sonnenkönigs allein in einem fremden Land - einem Land, dessen Kinder von einer tödlichen Krankheit heimgesucht werden. Auf dem langen Weg nach Hause findet Talai überraschend Hilfe und Fre...