Downtown (überarbeitet)

438 30 5
                                    

•60•
"Oh.", sagte sie ernüchtert. Dann atmete sie einige Male tief durch und sprach ihre Vermutung aus:
"Es ist wegen Luca. Er will mich nicht sehen oder?"
Mit dem Gedanken an die verhuschte Gestalt, die sie aus Luca gemacht hatte, antwortete ich ihr ruhig:
"Ja. Er ist noch nicht so weit. Noch lange nicht."

Olivias POV:
Die ganzen Erinnerungen und Fragen, die ich in mir verschlossen hatte, kochten nun in Sekundenschnelle in mir hoch und sprudelten schließlich nur so aus mir raus:
"Was ist im Wald eigentlich passiert? Ich verstehe es nicht! Ich verstehe nichts mehr! Und wieso gibt Steve mir einfach ein Gewehr und wieso verlangt Luca, dass ich ihn erschieße. Wie konnte es überhaupt dazu kommen?! Und wieso um alles in der Welt habe ich es getan?! Was ist nur falsch mit mir? Ich hätte ihn in diesem Moment fast getötet! -Wäre es nicht nur eine Platzpatrone gewesen. Was mache ich hier überhaupt und wieso erinnere ich mich an alles nur noch verschwommen?"
Verzweifelt und nach Antworten flehend, schaute ich Ben an.
Seine, in Stein gemeißelte, Mimik erlaubte -wie immer- keine Vermutung auf seinen Gemütszustand.

"Okay Olivia, bitte beruhig dich etwas. Wir sollten uns jetzt erstmal hinsetzen und etwas essen. Dann werde ich dir in aller Ruhe deine Fragen beantworten."
Das letzte, was ich in dem Moment wollte, war mich zu beruhigen. Ich wollte nur Antworten. Seit dem ersten Tag wollte ich Antworten und langsam war ich es leid, auf sie zu warten. Heute sollte der Tag sein, an dem ich sie endlich bekam. Heute sollte sich alles ändern.
"Ok", willigte ich, etwas enttäuscht, seinem Vorschlag ein.
Kläglich langsam holte Ben Aufschnitt, Marmeladen und Milch aus dem Kühlschrank.
Danach holte er Teller und Besteck und brachte zuletzt das Graubrot auf den Tisch.
"Setz dich", bat er mich mit einem angestrengtem Lächeln.
In den nächsten Minuten gelang es ihm nicht, seine Mauer der steinernen Mimik und Gestik aufrecht zu erhalten. Zwischendurch trommelte er nervös mit den Fingern auf dem Tisch oder biss sich auf die Unterlippe. Nur mühsam gelang es ihm, mir hin und wieder in die Augen zu sehen.
"Komm mit.", forderte er mich knapp auf, als ich noch an meinem Marmeladenbrot kaute und stand vom Tisch auf.
Offenbar war ihm ein plötzlicher Einfall gekommen, den er sofort in die Tat umsetzen wollte.
Schweigend folgte ich seinem Befehl und wartete gespannt auf die nächste Einweisung.
Nicht weniger wortkarg als zuvor, verlangte er von mir, meine Sachen zu packen und holte dafür aus einem der Zimmer eine große Sporttasche.
Da er offenbar sehr nervös war, hielt ich es für die beste Entscheidung nicht nachzufragen, was er vorhatte und nur so schnell wie möglich meine Klamotten in die Tasche zu schmeißen.

Als wir kurze Zeit später bei einer Bushaltestelle auf den nächsten Bus nach Downtown warteten, hielt ich die Stille und Ungewissheit nicht mehr aus:
"Wohin bringst du mich?", platzte es aus mir heraus, aber Ben ignorierte diese Frage einfach.
Er starrte einfach weiter auf den Busfahrplan und ich musste einsehen, dass erneutes Fragen die Situation nicht besser machen würde.
Nach einer stressigen Fahrt, die dank dem vielen Umsteigen fast eine Stunde gedauert hatte und mir gehörige Kopfschmerzen beschert hatte, gingen Ben und ich zu einem, hoch über die anderen Häuser in der Gegend ragendem Hochhaus, was sich bei näherer Betrachtung als Hotel entpuppte.
Die Lobby und die Fassade des Hotels verrieten, dass es bestimmt früher einmal ein sehr angesagtes und edles Heim für so manchen A-Promi gewesen war. Allerdings mit der Betonung auf "früher" und "war".
Der Glanz des prunkvollen Kronenleuchters wurde vom Staub versteckt und Risse zierten die, nur noch Teilweise vorhandene, Fassade mit aufgemalten Blumenranken.

Trotz alledem war ich überwältigt und sah vor meinem inneren Auge, wie das Leben in diesem Hotel früher wohl gewesen war.
Bei meinem Staunen hatte ich Ben aus den Augen verloren und sah mich nun nach ihm um.
Mit erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen sah er mich durch den Raum an und signalisierte mir, als ich ihn erblickte, ihm zu den Fahrstühlen zu folgen.
Gerade wollte ich zu einem älteren Paar in den Fahrstuhl einsteigen, da hielt Ben mich unauffällig, aber bestimmt zurück.
"Wir brauchen einen eigenen.-Alleine.", gab er, mit gedämpfter Stimme, zu verstehen.
Schweigend warteten wir, bis sich die Fahrstuhltüren wieder öffneten und einen leeren Innenraum offenbarten.
Gespannt wartete ich darauf, dass Ben eine Etagennummer eintippte- jedoch vergeblich.
Das einzige was er tat war, auf das "Tür schließen"- Symbol, mehrmals und in einer Art Takt, zu klicken.

Ich beobachtete gespannt diesen Vorgang und stellte vollkommen verblüfft fest, dass der Fahrstuhl sich nun in Bewegung setzte.

Dark Destiny?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt