Dunkle Tunnel

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London, England 1808

Es riecht modrig, feucht und nach tierischen Exkrementen. Sehr wahrscheinlich auch menschlichen, was mich ein wenig zum Würgen bringt, doch ich versuche mich zusammenzureissen. Ich raffe das Kleid, so weit ich kann, damit es nicht dreckig wird und folge dann dem seichten Fackelschimmern durch die Nacht.

Da Fionn und ich uns beinahe die ganze Nacht über die Begebenheiten vor rund zwei Jahrhunderten gestritten haben, ist es bereits stockfinster, als wir entscheiden, dass es Zeit für einen Sprung in die Vergangenheit ist. Beziehungsweise entscheidet er das, als er genug davon hat, mich mit Fakten anzuschreien, die ich ohne Beweise ohnehin nicht glauben kann. Und Beweise sind immer besser, wenn man sie direkt mit seinen eigenen Augen sehen kann, nicht wahr?

Also haben wir uns im grossen Anwesen seiner Verwandten ins Ankleidezimmer geschlichen, welches noch um einiges grösser ist, als das unsere und um einiges reicher bestückt noch dazu.

Dann haben wir uns relativ festliche Garderobe für das Jahr 1808 ausgesucht. Es war das Jahr als Freya und Levi sich kennenlernten, erzählte Fionn mir, und gerade in die ganze Sache verwickelt wurden. Der Abend, an dem wir sie besuchen würden, kannten sie ihn bereits und würden auch wissen, wer ich bin. Woher auch immer. Ich hatte nicht auch noch Lust, mich mit ihm darüber zu streiten.

Wir schleichen uns gerade so leise wie es nur geht durch die Strassen. Es gehört sich nicht, als junges unverheiratetes Pärchen sich um diese Uhrzeit noch draussen alleine rumzutreiben. Deshalb versuchen wir uns angestrengt von niemandem blicken zu lassen.

Als wir endlich bei dem Haus ankommen, indem das Fest angeblich stattfinden soll, bin ich bereits so genervt davon, mich wie eine Idiotin zu verstecken, dass ich am liebsten gleich umgekehrt wäre. Die bleierne Müdigkeit schlägt langsam auf mein Gemüht, was sicherlich auch der Grund dafür ist, dass ich so verdammt reizbar bin.

Tatsächlich hört es sich auch hinter geschlossenen Türen nach einem fröhlichen Treiben an, als wir bei dem Haus innehalten. Die Türsteher öffnen uns die breiten Flügeltüren und wir treten dankend ein.

»Lass uns versuchen, möglichst wenig Aufsehen zu erregen«, flüstert Fionn mir ins Ohr, legt ganz unauffällig eine Hand auf meinen Rücken und schiebt mich durch die Massen. »Wir suchen Freya und Levi, reden mit ihnen und dann verschwinden wir wieder.«

»Aye, aye, Sir«, sage ich mit strenger Stimme, beinahe hätte ich vor ihm salutiert. Dann sehe ich ihn an, als ob er mich verarschen will, laufe an ihm vorbei und sehe mich im grossen Haus um. Inzwischen sollte er doch bemerkt haben, dass ich mich nicht einfach so herumkommandieren lasse. Insbesondere nicht von Männern.

Es ist ein wirklich großzügiges, schönes Herrenhaus. Ich schnappe mir ein Glas von einem Tablett und nippe daran, dann steht Fionn schon wieder neben mir und nimmt mein Handgelenk ganz sanft in seine grosse Hand, umschliesst es völlig mit seinen Fingern.

»Emma, bitte...«, es klingt beinahe wie ein Flehen.

»Herrgott, jetzt entspann dich doch mal«, sage ich zu ihm und hebe erwartungsvoll die Augenbrauen, »wir sind keine zwei Minuten hier und du spielst schon wieder den Langweiler.« 

Tatsächlich ist er nur in unserer eigenen Zeit einigermassen entspannt und eigentlich habe ich ihn da auch nur so erlebt, wenn er in seinem Haus auf einem Stuhl mit hochgelegten Füssen sitzen kann... Was ist wohl mit ihm, dass er immer so nervös ist? Beinahe wie unter ständigem Strom.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt