Leith, Scotland 1561
Nicht nur Francis II, König von Frankreich. Sondern mein Vater. Mein richtiger, einziger Vater.
Ich starre ihn an. Er starrt mich an. Eine energiegeladene, dennoch schweigsame Blase umgibt uns beide und sperrt uns für einen endlos wirkenden Moment aus der Realität aus.
Ich kann sehen, dass er kaum merklich nach Luft schnappt als er mich von oben bis unten genaustens mustert. Es ist kein abfälliger Blick, oder einer jenen Blicke, die betrunkene Idioten einem zuwerfen. Viel mehr scheint es, als ob er verzweifelt versucht zu begreifen, wie ich hier so wahrhaftig und lebendig vor ihm zu stehen vermag.
Was mich betrifft, ich kann kein Wort sagen. Ich sehe ihm bloss dabei zu, wie er mich forschend betrachtet. Wenn meine Augen jedoch das Sprechen erlernen, würden tausend Fragen aus ihnen sprudeln.
Und eines ist ganz gewiss, keine dieser Fragen wären geschichtlichem Interesse entsprungen.
»Ich kann nicht glauben, dass du es bist«, seine gemurmelten Worte sind kaum verständlich, doch ich höre sie ganz deutlich.
»Eure Majestät«, mischt sich Fionn in den Moment ein, indem er neben mich tritt, sich tief verneigt und sich schliesslich erhebt.
Der König schüttelt den Kopf, als ob er aus tiefen Gedanken zurückkehrt. »Lord Mckenzie. Schön Euch wohlauf zu sehen. Und erfreulich, wie gewissenhaft Ihr Eure Befehle ausführt. In den heutigen Zeiten ist dem nicht immer so.«
Fionn wirkt geschmeichelt und nickt ehrfürchtig. »Ich stehe Euch treu zur Seite, mein König. Ich nehme an, die König ist nicht zu gegen?«
»Nun, sie weilt derweilen ebenfalls im Schloss. Habt Ihr Interesse daran, sie persönlich zu sprechen?«
»Ich will jeglich sicher gehen, dass meine Königin über die letzteren Vorkommen bescheid erlangt«, versichert Fionn dem König.
Er ist ein Arschkriecher, denke ich innerlich Augenverdrehend bei mir.
Dem König tritt ein ganz entzückendes Lächeln auf die Lippen. »Oh, wenn dem so ist... Ihr solltet Euch von einer Wache ankündigen lassen. Ich denke, sie versteckt sich in der Bibliothek.«
Fionn verneigt sich erneut, bevor er den Raum verlässt. Nicht, ohne vorher mein stummes Einverständnis einzuholen.
Sobald er weg ist und das klickende Geräusch des Türknaufs ohrenbetäubend laut durch den strumpfenden Raum hallt, fühle ich mich ohne Fionn's sichere Anwesenheit vollkommen verloren und allein.
Francis schnauft angestrengt aus, und da sehe ich erst, wie müde und erschöpft er tatsächlich ist. Er lässt sich auf einen weich aussehenden Sessel fallen, dann sieht er zu mir auf.
»Ich bin erleichtert mit eigenen Augen zu erleben, dass du in sicheren Händen bist bei diesem jungen Soldaten«, sagt er dann und es klingt weniger ungezwungen, als sein Blick auszusagen versucht.
Ich öffne langsam den Mund, nicke zögernd. »Ich vertraue ihm.«
»Wunderbar. Mary beteuerte mir hunderte Male, wie loyal und vertrauenswürdig ihr Landsmann ist. Dennoch, manchmal fällt es mir ungemein schwer dem Wort eines anderen zu trauen«, gibt er verkniffen zu.
Das kann ich besser verstehen, als sonst jemand. Ich beobachte ihn dabei, wie er sich aus der noch immer vor sich hin dampfenden Kanne Tee eine Tasse einschenkt. Er bietet mir ebenfalls davon an, doch ich schüttle schnell den Kopf.
Etwas anderes als Magensäure verträgt mein Magen gewiss nicht, ansonsten muss ich mich übergeben.
Ich erkunde sein junges Gesicht, nur um mir klar zu werden, dass er nur wenige Jahre älter als ich selbst ist. Eine merkwürdig verstörende Vorstellung, dass er mein Vater sein soll.
Langsam bewege ich mich auf den Sessel ihm direkt gegenüber zu, und setze mich dann zitternd. »Eine einsame Welt, wenn Ihr nicht einmal dem Wort Eurer Ehegattin trauen könnt, oder etwa nicht?«
Als ich spreche, sieht er überrascht vom Klang meiner Stimme auf. Er sieht mich direkt an und einige schweigsame Sekunden verstreichen. Dann lächelt er. »Denkst du? Ich weiss nicht, das Leben eines Herrschers ist seit jeher eines der einsamen Art«, erwidert er.
Ich komme mir blöd vor, mit meinem leiblichen Vater, einem waschechten König wie man sie aus Filmen, Serien und Büchern kennt, zu plaudern und dabei ganz friedlich Tee zu schlürfen. Das ist absolut unwirklich und auch ein bisschen lächerlich.
»Jedoch ist sie doch ebenso eine Herrscherin, nicht wahr?«, stelle ich die Gegenfrage.
»Da hast du Recht«, gibt er erneut zu. Sieht mich dabei leicht amüsiert an. Mir kommt der Gedanke, dass eine solche Antwort sich möglicherweise nicht gehört, wenn man sich mit einem König unterhält.
»Reist Ihr ebenfalls in der Zeit?«, frage ich neugierig nach einer Weile des Schweigens.
Wenn ich ehrlich sein soll, weiss ich nicht allzu viel über ihn. Frankreich's Geschichte hat mich sehr interessiert, jedoch war seine Frau das was mich an dieser Vereinigung fesselte. Schottland's Geschichte war schon immer elementar für mich.
»Gewiss. Alle des Hauses der Valois haben diese Gabe«, versichert er mir nickend.
»Interessant.«
»Wie auch das Haus der Stuarts. Du stammst also von einer mächtigen Reihe Zeitreisender ab«, fährt er fort.
Ich weiss nicht, was ich darauf erwidern soll. Die Tatsache, dass er über unsere Verbindung spricht als wäre ich nicht Jahrhunderte von seinem Leben entfernt und als ob wir uns kennen, macht mich ganz irre. Möglicherweise ist das einfach zu viel für meine schwachen Nerven und mein kümmerliches Vorstellungsvermögen.
»Wie... ergeht es dir in deiner Zeit?«, fragt er dann. Offenbar scheint er bemerkt zu haben, wie unangenehm mir seine Worte sind.
»Gut. Jedoch hat sich einiges geändert, seit ich die Wahrheit kenne«, gebe ich zu. »Ich wohne nun in der Mckenzie Residenz in den Highlands, da ich England kurzerhand verlassen musste.«
»Sei gewiss, wir haben deine Unwissenheit schweren Herzens entschieden. Und es war niemals unsere Absicht, dich zu gefährden oder zu verletzten... Dennoch ist es besser für dich, in deinem eigenen Land zu verweilen. England ist nicht mehr länger sicher.«
»Ich... Ihr könnt das nicht verstehen. Ich bin nicht als Schottin aufgewachsen. Ich verspüre wenig Verbindung mit diesem Land.«
»Das kann ich durchaus nachvollziehen, Emma. Ich kann dir aber auch mit Sicherheit versichern, dass du in England nicht sicher bist. Dasselbe gilt für deine... Familie«, sagt er zu mir. Seine Stimme klingt sehr gebieterisch, als ob er mit einer x-beliebigen Person sprechen würde. Andererseits kann ich nicht davon ausgehen, dass er besondere Gefühle für mich hegt. Wir kennen uns nicht.
Ich schlage den Blick nieder. »Seid ganz unberuhigt, ich habe mich bereits an den Gedanken gewöhnt, keine Familie zu haben.«
Francis wirkt vor den Kopf gestossen, sieht mich vollkommen ungläubig an. »Wir sind deine Familie. Deine Mutter und ich. Du gehörst zu uns.«
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...