Du könntest alles ändern

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Freya steht unbewegt in der Mitte des kleinen Raumes, der mit nichts weiter als einem winzigen Tischchen und zweier Stühle ausgestattet ist. Hier drin riecht es sogar noch muffiger und abgestandener. Und es ist fast unerträglich heiss.

»Es tut mir ehrlich leid, Emma«, beginnt sie und bewegt sich langsam auf den freien Stuhl zu um sich zu setzen. »Ich meine, dass ich dir nicht die Wahrheit sagte damals. Um ehrlich zu sein, habe ich nicht genau gewusst, ob du möglicherweise noch immer im Kontakt stehst mit den Sinclair's. Sie hätten dich ausgenutzt um an mich ranzukommen.«

Ich nicke, auch wenn ich ihre Ausrede total bescheuert finde. Dann setze ich mich ebenfalls auf den ihr gegenüberliegenden Stuhl. Sie soll nicht den Eindruck bekommen, dass ich ihrer Erklärung abgeneigt bin. Dem ist natürlich nicht so.

»Zudem... die Lage hat sich schon damals sehr zugespitzt. Inzwischen kann ich nicht Nachts kein Auge mehr zutun, ohne zu befürchten, dass sie mich schnappen.«

»Wieso verschwindest du nicht?«, frage ich. »Du weisst, du wirst sterben.«

Sie sieht mich lange an, bevor sie antwortet. »Ich kann nicht. Ich habe deiner Mutter versprochen, dich in Sicherheit zu bringen. Nicht persönlich, doch es ist ein Versprechen. Ausserdem will ich dem Geheimnis dieser Male auf die Spur kommen«, meint sie schulterzuckend. »London ist mein Zuhause.«

Was bringt ihr das, wenn sie hier nur den Tod findet. »Hat dich die Familie wegen dieser Male verstossen?«

Freya nickt und wirft den Kopf nieder. »Deswegen auch. Sie wollen, dass ich mich freiwillig ausliefere. Sie denken, mir würde nichts geschehen, wenn ich es täte. Doch dem ist nicht so. Hast du das Büchlein gefunden, dass wir versteckten?«

Ich nicke.

»Eine von uns wurde geschnappt. Wir haben erfahren, dass sie an ihr Experimente durchführten. Als ob sie ein Gegenmittel dafür finden wollten... oder etwas, womit sie ihre Kräfte absorbieren konnten um sie für sich zu nutzen. Weisst du, auch in diesem Jahrhundert ist die Regierung voller Lügen und Intrigen.« Freya pullt einen Faden ihres Ärmels heraus, dreht ihn um einen Finger und zieht so fest daran, bis sich ihre Fingerkuppe weiss verfärbt. »Wenn man anders ist, etwas zu verbergen hat oder nicht den geforderten Gehorsam leistet, wird man gnadenlos verfolgt und ermordet. Auf mich trifft alles zu. Du bist mein Geheimnis, ich bin anders und ich weigere mich, ihnen zu geben, was sie wollen. Töten tun sie mich sowieso.«

Ich schlage den Blick nieder. Der Ärger ist längst verpufft und weicht einem weinerlichen, verzweifelten Gefühl des Mitleids. Und der Angst verantwortlich zu sein für ihr ganzes Leid. Ich würde ihr gerne helfen, allerdings scheint mir das nicht sonderlich realistisch. Ich bin selbst eine Gejagte.

»Emma, ich habe dich in Sicherheit gebracht und das ist alles was zählt«, sagt sie, als hätte sie meine düsteren Gedanken gelesen. »Deine Mutter ist eine wunderbare Königin. Meines vollen Willens und freien Verstandes habe ich mich gegen die englische Macht entscheiden. Willst du wissen wieso?«

Erneut nicke ich, nichts sagend.

»Levi ist Schotte«, erwidert sie, ein müdes, trauriges Lächeln auf den Lippen. »Als mich meine Familie nicht mehr bei sich haben wollte wegen der Male, war er der Einzige an meiner Seite. Ich habe ihn wenige Wochen vor der Eskalation in meiner Familie kennengelernt und mich ihm augenblicklich zugetan gefühlt. Das und weitere Vorkommnisse, die hauptsächlich mit dir zu tun haben, verursachten die jetzige Situation mit meinen Eltern.«

Ich runzle die Stirn. Dann liegt sie nicht im Streit mit den Sinclair's wegen einem Jungen, sondern der ausschlaggebende Grund war schon immer ihre Andersartigkeit. »Haben deine Eltern dich an die englische Gesellschaft der Zeitreisenden verraten?«

Sie nickt. »Es ist eine Lüge, dass die Sinclair's schon immer für deine Sicherheit zuständig gewesen sind. Zunächst waren es andere Mitglieder des Hofstaats deiner Mutter. Ich bin nur dazu gekommen, weil ich Levi kennengelernt habe. Er ist ein Fraser und somit ein wahrhaftiger Schotte. Seine Mutter starb bei dem Versuch, dich wegzubringen und so haben wir uns deiner angenommen. Als es darum ging, dich auch aus diesem Jahrhundert zu schaffen, habe ich dennoch auf meine Familie vertraut... Ich bin sicher, du hast bereits Bekanntschaft mit der reizenden Louisa gemacht, nicht wahr?«

Ich lächle. »Ja, selbstverständlich.«

Freya zuckt mit den Schultern. »Nun, schlussendlich war das ein Fehler. Denn meine Eltern haben dem Londoner Zirkel nicht nur verraten, dass ich dich habe sondern auch, und das ist das eigentlich wichtige, wer du wirklich bist. Sie haben deine Identität bestätigt, verstehst du? Schon immer wurde gemunkelt, es habe eine Thronfolgerin gegeben, doch man hat es nicht sicher gewusst.«

Ich denke darüber nach. Wie furchtbar sie sich all die Zeit gefühlt haben muss. »Wieso machen sie so ein Theater darum? Ich bin doch nicht einmal ein ehrliches Kind, oder doch?«

Freya legt den Kopf schräg. »Wenn du dir um deine Legitimation sorgen machst, kann ich dir sagen, dass das keinen Unterschied macht. Du bist von royalem Blut, ob deine Eltern verheiratet waren oder nicht.«

Was für eine Scheisse! »Ich verstehe einfach nicht, weshalb ich so wichtig sein soll. Es ist mir doch überhaupt nicht mehr möglich, den Thron zu besteigen. Schottland ist seit Ewigkeiten Teil des United Kingdom of Great Britain. Was erwarten die, was ich tun könnte?«

»Anne Stuart, die letzte Stuart Königin und somit die letzte schottische Königin hat bis 1707 diesem Amt als solches innegehalten. Danach war sie die erste Königin von Großbritannien, nachdem sich die Engländer des schottischen Landes angenommen haben. Was, wenn du dorthin zurückkehren würdest? Was, wenn du deinen Anspruch geltend machen würdest? Oder noch schlimmer: Was wenn du zu Mary, Queen of Scots, zurückkehrst? Der mächtigsten Königin Schottlands, die Anspruch auf drei verfeindete Länder hat? Du könntest alles haben, Emma. Du könntest für die Vergangenheit, Gegenwart wie Zukunft alles ändern. Einfach alles.«

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt