Zurück aus dem Jenseits

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Linlithgow Palace ist ein wunderschöner Ort. Und jetzt, da die fröhlich gefärbten Blätter ihre vorgesehenen Plätze an ihren Ästen verlassen, verleiht es dem riesigen Anwesen den typischen Herbstzauber.

Ich staune über die herrliche Pracht, die Weiten, den Ausblick. Ich staune über Schottland. Und ich verstehe, weshalb Mary ihr Land nicht kampflos an diese gierigen englischen Armleuchter und ihre grausame Herrscherin abgeben konnte. Wenngleich sie dieses Land als letztes wohl im Kindsalter erlebt hat... einmal gesehen, lässt es sich nicht so schnell vergessen.

Meine Schuhe versinken im taufeuchten Gras, dass noch immer die wunderbar staftig grüne Farbe des Sommers trägt. Ab und zu sehe ich auf den Saum meiner dunkelroten Robe hinunter, weil ich befürchte im Matsch zu versinken. Es ist ein Jammer um diese Kleidungsstücke, welche wahrhaftige Meisterwerke darstellen. Mit einem Gemälde zu vergleichen.

Ich sehe erneut auf, der aufgehenden Sonne entgegen, und da überkommt mich überraschender Weise ein warmes, zähes Gefühl von Hoffnung. Möglicherweise auch ein wenig Erleichterung.

Gestern, spät in der Nacht, da traf der Heiler aus meiner Zeit ein. Mit medizinisch anerkannten Geräten und Medikamenten. Es stellte sich nämlich heraus, dass sich in Fionn's Brust ein Stück eines undefinierbaren Geschosses befinden muss. Was die immer schlimmer werdende Blutvergiftung erklären würde.

Ich habe schreiend und keifend darauf bestanden, dass alle zur Eile angetrieben werden und keiner Fionn auch nur ein Haar krümmt, solange kein Mensch des medizinischen Fachwissens kundig hier war.

Tatsächlich ist es mir von vorne herein egal gewesen ob dieser Mensch ein Arzt oder nur ein Krankenpfleger wäre. Deren Fachkentnisse würden definitiv ausreichen. Hauptsäche aus dem 21. Jahrhundert.

Schlussendlich ist dennoch ein Arzt gekommen. Und er hat genug fortschrittliche Werkzeuge dabei gehabt, um das gesamte Jahrhundert ins Chaos zu stürtzen. Deshalb haben wir in gegenseitigem Einvernehmen beschlossen, dass alle bis auf mich den Raum verlassen, während der Arzt seiner Arbeit nachgeht.

Da er kein Narkose durchführen konnte, war ich etwas besorgt, allerdings ist Fionn seit einigen Tagen ohne Bewusstsein. Was vermutlich denselben Zweck erfüllt.

Inzwischen ist alles aus seinem Körper raus, was nicht hinein gehört, alle Wunden versorgt und gesäubert und er ist bis oben hin mit starken Schmerzheilenden Mitteln vollgepumpt.

Was auch der Grund ist, weshalb ich mich ausserhalb des Raumes aufhalten kann, in dessen Bett er schläft. Ausserhalb des Palastes, um genau zu sein.

Ich kann ehrlich gesagt nicht glauben, dass ich tatsächlich hier stehe. Als ich zum ersten Mal diese Ruinen sah, dachte ich, es sei einer der magischsten Orte der Welt. Und jetzt sehe ich dieses eine Castle in seiner vollen Pracht, von Menschen bewohnt und Königen regiert.

Jetzt, da viel von der Anspannung wie ein Schatten von mir abgefallen ist, stürtzt die Müdigkeit über mir zusammen wie eine Flutwelle und begräbt mich unter sich. Fast schon verliere ich den Halt meiner Füsse, doch irgendwie hält mich das warme Licht der Sonne auf den Beinen.

»Wie fühlst du dich?«, erklingt die sanfte, von Wärme durchzogenen Stimme meines Vaters.

»Erschöpft.«

»Nun, bisweilen ist dies auch verständlich... Und ich habe den strikten Befehl, dir mitzuteilen, dass deine Mutter einem Herzinfarkt unterliegt, solltest du dich in Kürze nicht dazu entscheiden, zu ruhen!«

Fast schon beginne ich hysterisch zu lachen. Das Gelächter bleibt mir jedoch im Hals stecken, weil ich es für unangebracht halte. Stattdessen Grummle ich nur ein wenig. »Sicherlich... Ich würde lieber warten, bis er aufwacht, doch-«

»Das kann noch Stunden dauern, mein Kind. Wenn nicht gar Tage. Wir lassen nach dir schicken, wenn er während deiner Abwesenheit aufwachen sollte. Du hast mein Wort.«

Vermutlich wäre es ihm Recht, wenn ich jetzt gleich den wunderschönen Garten verlassen würde und schnurstracks mein Bett ansteuere, welches ich noch nie von Innen gesehen habe. Ich schenke ihm ein wohlwollendes Lächeln.

»Ich denke, ich werde eine Kleinigkeit essen, bevor ich mich schlafen lege... Gesellst du dich zu mir? Diese Schlösser sind so gross, man fühlt sich doch recht schnell verloren und allein darin.«

Francis grinst mich an, wie ein zwölfjähriger Knabe. Er hebt die Hand um mir zu verstehen zu geben, dass ich voran gehen soll. »Ich kann dir versichern, ganz gleich wo auf der Welt du dich befindest, und in welchem Zeitalter das auch sein mag, du wirst niemals verloren oder gar einsam sein.«

Mit diesen Worten betreten wir den geschäftigen, schottischen Palast, in dem, wie ich neulich erfahren habe, nicht nur Mary Stuart, sondern auch ich geboren wurde. Unfassbar. Als wäre ich Teil dieser unglaublichen Geschichte.

Wir machen keine zehn Schritte im Inneren des Gemäuers, da kommt ein junger Brusche auf uns zugerannt. Mit der schlichten Kleidung der Dienerschaft gekennzeichnet, etwas zu übermütig für seinen Rang. Doch ich kann an seinem Blick, seinen weit geöffneten Augen erkennen, dass etwas passiert sein muss.

»Mein König, Mylady«, er verhaspelt sich beinahe beim Sprechen, verneigt sich flüchtig aber tief. »Bitte, konmt schnell mit mir. Lord Mckenzie tat so eben seine Augen auf. Folgt mir.«

Ohne mich ein weiteres Mal umzusehen, folge ich dem Diener mit hastigen Schritten. So schnell es das schwere Kleid nun einmal zulässt.

An Schlaf und Essen nicht mehr zu denken.

Und als ich den Raum betrete, das Bett erblicke, sehe ich ihn fast schon aufrecht sitzen, mit verklärtem Blick, doch erhellter Miene sobald er mich sieht.

Mein Herz tut einen lebendigen Sprung.

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Für all jene die meine Post auf meinem Profil nicht gesehen haben: Ich habe Buchcover wie Titel dem Inhalt angepasst. War schon immer ein Schwachpunkt bei meinem Roman, allerdings hat mich eine wunderbare Bewertung motiviert, dem nachzugehen.

Sagt mir eure Meinung :)

Bis bald

Vanessa

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt