Gefangenschaft oder Freiheit

1.4K 109 8
                                    

Auch wenn ich Minuten zuvor noch eiserne Panik empfand, so sind meine Gedanken jetzt klar und ruhig. Ich weiss, wie ich aus dieser Sache möglichst unbeschadet rauskomme.

Ich schaue nach oben, in die Bäume und mache mich so leise ich kann daran, an einem mir nahe gelegenen Baumstamm herauf zu klettern. Wenn sie merken, dass ich nicht mehr gefesselt und bewusstlos da bin, werden sie wohl als erstes den Wald absuchen. Jedenfalls gehe ich davon aus.

Abgesehen davon, habe ich keine Zeit mehr, davon zu laufen. Ich muss auf einen geeigneten Zeitpunkt warten. Aber wenigstens habe ich jetzt Waffen, um mich zu verteidigen.

Ich bin gerade noch so weit hinauf gekommen, dass vollbehangene, grüne Äste mich bestmöglich verdecken. Ich setze mich auf einen dicken Ast und versuche mich nicht zu bewegen. Wenn allenfalls Geäst oder noch grünes Laub herunterfällt, würde das wohl selbst diesen Einfallspinseln komisch vorkommen.

Gerade als sie bei ihrem Lager ankommen, habe ich mich soweit eingerichtet, dass ich mich still verhalten kann. Selbst atmen tue ich flach. Ich sehe herunter, um mir die zwei Männer anzusehen.

Beide sind Rotschöpfe, tragen ihren Bart ungepflegt, haben eine starke, trainierte Statur und stapfen in arroganter, selbstsicherer Haltung durch den Wald. Sie sind ganz in Schwarz gekleidet, selbst ihre Mützen, welche ihre roten Haare kaum in Zaum halten können. Zwischen all dem Schwarz fällt dieses penetrante Rot so sehr auf, dass mir die Augen schmerzen.

Es könnten Engländer, genau wie Schotten oder Iren sein. Andererseits weiss ich inzwischen genug über meine eigene Herkunft, um zu wissen, dass es vermutlich keine Schotten sind.

Noch immer reissen sie ihre geschmacklosen Witze, als sie ihre Sachen durchsuchen und einige Dinge aus dem Rucksack nehmen. Einer der Beiden, welchen ich wegen meiner wenigen Beobachtungen, für den Anführer halte, bemerkt den leeren, schwarzen Beutel und hebt ihn fragend auf. Er sieht hinein um nichts weiter als Luft vorzufinden.

Und es dauert drei weitere Sekunden, bis er sich zornig umdreht und zu der Stelle herüber rennt, an der ich eigentlich hätte sein sollen. Ein wutentbrannter Schrei entfährt ihm als er die durchtrennten Seile in den Händen hält. Er wirft sie sogleich zu Boden und kehrt zu seinem Kameraden zurück.

»Sie ist weg!«, schreit er ihn an. »Wir müssen sie finden, oder wir verlieren unseren Kopf. Los!«

Während sein Komplize bereits den näheren Wald durchkämmt, mit einer Pistole wie auch einem Dolch in der Hand, durchsucht sein Boss das Lager und nimmt alles genau unter die Lupe.

Er ist vielleicht doch nicht ganz so dumm, wie ich angenommen habe. Kurz überlege ich, was ich tun soll. Warten, bis sie beide ausschweifen, oder warten, bis mich einer entdeckt?

Falls sie mich tatsächlich in der Krone des Baumes sehen, schiessen sie höchstwahrscheinlich auf mich. Und in meiner unglücklichen Position hier oben, kann ich das nicht riskieren, denn ich kann weder ausweichen noch mich irgendwie verteidigen.

Also stehe ich so vorsichtig ich kann auf, balanciere einen Moment auf dem dicken Stamm und fasse dann den verrückten Entschluss, mit einem kraftvollen Satz auf den Boden zu springen. Dabei lande ich direkt neben dem überraschten Anführer, der so erstaunt ist mich aus dem Himmel springen zu sehen, dass er sich einen Augenblick nicht bewegen kann.

Sein Staunen nutze ich natürlich aus und gehe in die Defensive. In null Komma nichts ringe ich ihn zu Boden und ramme ihm das kleine, scharfe Messer in die Schulter, sodass er die Zähne fest zusammenbeisst und ein knurrendes Geräusch von sich gibt. Ich will mich sofort erheben und von hier wegkommen, doch zu meiner Überraschung, packt er mich mit seinem verwundeten Arm am Bein und reisst mich mit einer immensen Wucht zu Boden.

Ich schlage flach auf dem Boden auf, sodass mir die Luft aus den Lungen gepresst wird. Bevor ich mich aufrichten kann, ist er auch schon da, dreht mich zu sich herum und schlägt mir mitten ins Gesicht. Augenblicklich schmecke ich das Blut aus meiner Lippe dringen.

Ich empfinde Wut, obwohl ich eigentlich ruhig bleiben sollte. Das ist eine Lektion, die ich niemals gelernt habe: Hunderte von Stunden mit exzellenten Lehrern, die mir immer wieder sagten, dass Ruhe bewahren alles ist, auch wenn man Schläge einsteckt. Dennoch macht mich die Aussicht, von jemandem verletzt zu werden und möglicherweise zu verlieren, einfach nur wütend.

Natürlich ist mir in dieser Situation bewusst, dass es hier nicht um's Verlieren geht. Hier geht es um Leben und Tod, um Freiheit und Gefangenschaft.

Er ist noch immer über mich gebeugt, also ergreife ich die Chance und schlinge meine Beine um seinen Hals und drücke so fest zu, wie ich kann. Aber er ist natürlich viel stärker als ich und hebt mich ganz einfach hoch, indem er aufsteht. Trotzdem sehe ich meinen Vorteil, weil er in seiner Bewegungsfreiheit durch mich eingeschränkt ist, und ich greife erneut nach dem Messer und ramme es ihm ein weiteres Mal in den Körper. Dieses Mal landet es in seinem Rücken. Ich stosse es so weit in seinen massigen Körper, dass die Spitze der Klinge den vorderen Ring seiner Rippen erreicht.

Dieses Mal schreit er schmerzerfüllt auf und muss mich unweigerlich loslassen. Weil ich bereits damit gerechnet habe, lasse ich mich rückwärts fallen, mache einen Überschlag und komme schliesslich auf beiden Beinen zum Stehen. Ich schaue nur wenige Sekunden zu, wie er zu Boden sinkt und versucht sich das Messer herauszuziehen, dann drehe ich mich um und renne weg.

Wobei ich dem Anderen begegne. Er richtetet seine Pistole auf mich und drückt ab. Der Knall ist ohrenbetäubend laut, dringt durch die Stille und den Frieden des Waldes wie eine Explosion. Ich habe mich bereits geduckt, als ich ihn auf mich zukommen sah, sodass die Kugel unweigerlich an mir vorbei gezischt und in den nächsten Baum gedonnert ist. Doch der Schütze zielt erneut.

»Nicht! Bist du wahnsinnig«, schreit sein Boss atemlos. Doch inzwischen scheint er sich erhoben zu haben und geht auf seinen Kameraden zu. »Wir brauchen sie lebend, du Idiot.«

Ich hingegen bin längst auf dem Weg mich schleunigst aus dem Staub zu machen. Sie brauchen mich lebend, aha? Dann sollen sie mich erst einmal kriegen.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt