Weiten der Ferne

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Ich rieche das frische Gras und fühle die kleinen Steinchen unter meinen Füssen. Sie bohren sich in meine Sohlen, in die dicke Haut, ins Fleisch, bis ich spüre, dass Blut hinaus dringt. Es stört mich nicht, ich spüre den Schmerz nicht, doch ich spüre es, und das ist wichtig.

Ein kühler, aber erfrischender Lufthauch zieht über den Hügelkamm, auf dem wir stehen.

Ich atme, atme tief ein und aus. Die Luft ist so frisch und sauber, es ist, als ob ich die Natur praktisch in meinen Körper aufsaugen und speichern könnte. Solange ich hier stehe, abseits all der fernen Wahrheiten, Gefahren und Erinnerungen kann ich eine Reinheit empfinden, die wahrhaftiger ist denn je.

Wenn ich könnte, würde ich diesen Moment für immer einfangen, in ein hohes Glas stopfen und es aufhängen, um diesen Ausblick immer und immer wieder betrachten zu können. Wie eine kleine Wunderlampe.

Wenngleich ich mich momentan in einer Situation befinde, in der ich mich nicht wirklich auf die wunderbare Aussicht konzentrieren kann, da ich mich zu sehr darauf fokussiere, die Waffe von meinem Körper fernzuhalten, mit der Fionn mich attackiert.

Bei der Waffe handelt es sich allerdings nur um einen präzise geformten Langstock, den man zu Übungszwecken verwendet. Jedoch man sagen muss, dass dieser sehr gut ausbalanciert ist und selbstverständlich mit der richtigen Kraft sehr weh tun kann. Ausserdem verursachen diese Dinger riesigen Krach, gerade so wie echte Waffen.

Der Schweiss klebt mir bereits auf der Stirn, aber da es hier oben schön kühl ist, fühlt es sich angenehm belebend an. Ich hätte wirklich nicht damit gerechnet, aber Fionn ist ein guter Kämpfer. Wieso habe ich ihn wohl so unterschätzt?

Vermutlich liegt es daran, dass er so viel redet.

Gerade hole ich zu einem weiteren, vernichtenden Schlag aus, hebe den Stock über meinen Kopf und lasse ihn auf den seinen mir entgegen gesetzten Stock niedersausen. Die Wucht jedoch ist zu gross, da er bereits auf einem Knie hockt, aus vorher gegangenen Verteidigungsgründen und so geht er wie ein dürrer Ast zu Boden.

Er lässt sich schwer atmend auf den Rücken rollen und sieht gen Himmel empor. Ich sehe, wie er zuerst ein wenig verdutzt dreinblickt, dann aber zu grinsen beginnt. »Mich überkommt so langsam das Gefühl, dass ich als Beschützer unqualifiziert bin.«

»Ich brauche keinen Beschützer«, entgegne ich murrend, zum gefühlt hundertsten Mal.

Fionn erzählte mir nach unserer Unterredung ebenso, dass er als mein Beschützer auserwählt wurde. Im Auftrag seiner Königin, selbstverständlich. In Schottland, selbstverständlich.

Da ich allerdings bislang keiner Gefahr ausgesetzt gewesen bin, ist er auch erst kürzlich in mein Leben getreten und hat mich seitdem an praktisch verfolgt.

Ich weiss noch immer nicht, was ich davon halten soll. Ich wurde selber ziemlich gut ausgebildet, wie ich ihm eben bewiesen habe und abgesehen davon, gefällt es mir absolut nicht, dass man einfach so über mein Schicksal entscheidet, als hätte ich nichts dazu zu sagen. Obwohl ich natürlich zugeben muss, dass dieses Trotzen ein wenig lächerlich ist, immerhin habe ich Jahrelang, mein Leben lang, nicht gewusst, wer ich bin und somit auch nicht, welcher Gefahr ich tatsächlich all die Jahre ständig unterlag.

»Ich glaube, du hast bei diesem Thema keine Aussagekraft, Emma«, erwidert er, noch immer heftig schnaufend und setzt sich dann langsam auf.

Ich setze mich neben ihn und wir sehen gemeinsam den Abhang hinunter, auf das kleine Häuschen, in dem wir uns nun schon vier Tage verstecken. Vier Tage sind vergangen seit ich die Wahrheit erfahren habe und es kommt mir noch immer so verdammt unwirklich vor.

»Wie wunderbar«, erwidere ich murmelnd.

»Findest du nicht, es wird langsam Zeit, dass du dich mit all dem abfindest?«, fragt er mich schließlich, zupft Gräser aus und sammelt sie in seiner flachen, grossen Hand.

Ich schaue ihm einen Moment dabei zu, lasse mir seine Worte durch den Kopf gehen. »Mich mit irgendetwas abfinden war nie der Plan«, erwidere ich zickig.

»Mein Gott, bist du vielleicht stur«, schnaubt er.

Ich lache ein bisschen. »Schön, dass dir das auffällt. Willst du noch immer mein Beschützer sein?«

»Das ist keine Entscheidung, die ich zu treffen habe«, sagt er, grinst mich an. »Aber auch wenn, es ist mir eine Ehre, diese Aufgabe zu erfüllen.«

Ich verdrehe die Augen. »Natürlich.«

»Wir haben doch über diese eine Sache gesprochen, erinnerst du dich?«, fragt er mich nach einer Weile.

Ich schaue alarmiert zu ihm herüber, hebe fragend eine Augenbraue. Als ob er wirklich davon ausgehen würde, dass ich mich nicht mehr daran erinnere. Immerhin habe ich ihn praktisch dazu gezwungen mein Vorhaben wenigstens in Erwägung zu ziehen. »Ja, und?«

»Vielleicht können wir einen Versuch wagen, aber dir muss bewusst sein, dass ich das Kommando habe, okay? Du machst keine Alleingänge und hältst dich an meine Anweisungen, Emma. Solche Missionen können in Kürze vollkommen schief gehen, wenn man nicht Acht gibt.«

Ich werfe ihm einen skeptischen Blick zu. Seit ich denken kann, arbeite ich alleine. Also: Schon immer.

Irgendwie finde ich es beinahe ein wenig beleidigend, dass ich mich jetzt auf sein Wort verlassen muss. Aber was soll's, wenn ich dann bekomme, was ich will, dann soll es so sein.

Also nicke ich einwilligend und erwidere für einen Augenblick seinen intensiven Blick.

»Wie du willst«, sage ich, um meiner Gestik Nachdruck zu verleihen.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt