Der Morgen kommt schneller als gedacht. Die meiste Zeit verbringe ich damit, an seinem Bett zu sitzen und darauf zu warten, dass er ein Lebenszeichen von sich gibt. Aber ehrlich gesagt, sieht es nicht mehr danach aus, seit er vor Stunden, noch immer auf dem Pferderücken, die Augen öffnete und mich deutlich ansah.
Ich schaue den verschiedenen Arzneikundigen dabei zu, wie sie ihn verarzten. Ich schaue dabei zu, wie sie sich beraten, mische mich tatkräftig und wortgewandt ein und weise die Kammerzofen an, welche alle zwei Stunden kommen um seine Verbände zu wechseln.
Fionn hat unzählige Verletzungen, eine scheint schlimmer als die nächste zu sein. Und keiner dieser Menschen kann ihm richtig helfen, denn in dieser Zeit sind sie mit der Medizin noch nicht so weit.
Ich muss ihn dringend in unsere Zeit zurückschaffen, damit er eine anständige medizinische Versorgung bekommt und gesund werden kann. Ansonsten wird er sterben. Hier wird er sterben.
Inzwischen hat Mary mich gezwungen, etwas zu essen und die Kleidung zu wechseln. Allerdings konnte sie mich nicht dazu bringen, etwas zu schlafen. Ich bringe es einfach nicht über's Herz, von seiner Seite zu weichen. Ich bringe es nicht über's Herz, ihn freien Willen's erneut zu verlassen.
»Emma, ich bitte dich... Es sind genug Menschen um ihn herum, die auf ihn aufpassen.« Maria Stuart kehrt in den warmen, gemütlichen Raum zurück, in dem ich mich schon seit Stunden aufhalte.
Inzwischen sitze ich nicht mehr auf dem Hocker neben dem Bett und halte seine Hand, während ich mir den Kopf darüber zerbreche, was ich tun könnte.
Jetzt laufe ich auf und ab, in dem Raum, bis die Absätze der Schuhe das Holz zum Knirschen bringen und habe währenddessen die Hände in die Seiten gekrallt, in die Stoffe des Kleides.
Es ist mindgrün mit Blumenmuster und dunkelgrünem Unterkleid. Das Dekolté mit wunderbaren Perlen geschmückt. Ein Traum von einem Kleid, wie vermutlich jedes einzelne Stück, dass ich hier angeboten bekomme. Doch egal wie sehr sich mein geschichtliches Hirn dafür begeistert, ich würde diese kostbaren Teile auf einen Scheiterhaufen werfen, wenn ich in meine Zeit zurückkäme.
Ich schüttle den Kopf, als sie noch näher kommt. »Ich werde nicht gehen. Ihr könnt mich nicht dazu bringen, ihn zu verlassen. Das werde ich nicht.«
»Ich bin deine Mutter. Ich verbiete mir diese Anrede«, murmelt sie. Ihre Tonart verrät mir, dass mein Verhalten sie verletzt. Und wenn ich in normal geistlicher Verfassung wäre, würde ich mich jetzt darauf einlassen, aber ich kann mich nicht auch noch mit den Gefühlen einer Frau auseinandersetzen, die ich kaum kenne.
»Wir müssen in unsere Zeit zurück. Sofort. Er überlebt nicht mit derlei Arznei«, sage ich zu ihr. Und ich sage es schon zum gefühlt hundersten Mal. Wenn ich mein Amulet hätte, wäre ich längst schon weg, egal wer was dazu sagt. Aber da es sich zu letzt in den Händen von Elizabeth befunden hat, weiss keiner, wo es jetzt ist.
»Ich weiss«, erwidert sie und nickt zustimmend, doch ich kann an ihrem missbilligenden Blick erkennen, dass sie damit überhaupt nicht zufrieden ist. »Allerdings kommst du nicht weg, aufgrund deines fehlenden Amulets und keiner aus deiner Zeit befindet sich in der unseren. Deshalb haben wir bereits nach jemandem geschickt. Jedoch... ist ungewiss, wie lange es dauert bis dieser hier sein kann.«
Ich sehe sie an, mit einem ungläubigen Blick meiner besten Sorte. »Wie kann das sein? Er überlebt nicht bis dahin.«
»Ich bin sicher, es wendet sich alles zum Guten, meine Liebe. Bis dahin muss du dich gedulden«, erwidert sie und sieht mich mit ihren vertrauensvollen, braunen Augen an.
Ich schnalze mit der Zunge, ein abfälliges Geräusch. Und einige hätten mich dafür vermutlich böse gescholten, immerhin stehe ich hier vor der Königin von Frankreich und Schottland. Doch mich zusammenzureissen wäre Anstrengung zu viel gewesen.
»Es tut mir fürchterlich Leid, Emma... Ich bin unschlüssig, was ich zu dir sagen kann«, fügt sie hinzu. Und ich weiss, dass es für Mary sicherlich eine ebenso schwierige Situation sein muss, wie für mich.
»Nichts«, erwidere ich, schlage den Blick nieder und kehre ans Bett zurück, in dem er noch immer unbewegt drinliegt. Er schläft, ist ohnmächtig, der Unterschied ist von hier aus nicht klar ersichtlich, und er würde dabei ganz friedlich aussehen, wären da nicht seine vielen Verletzungen gewesen. Oder sein schwacher Atem, die leblose Farbe seiner Haut...
Einen Moment, da existiert die Welt nicht mehr... da sehe ich nur sein ruhendes Gesicht, diese Leblosigkeit, die Hoffnungslosigkeit, die mich überkommt, wenn ich ihn sehe. Was, wenn er nie wieder aufwacht?
»Ich wünsche, dass du ruhst«, holt Mary mich aus meiner unsichtbaren Blase, in der die Welt beinahe schlimmer ist, als die Reale. »Die Zeit vergeht so kaum schneller.«
Ich drehe mich in ihre Richtung und werfe ihr einen versöhnlichen Seitenblick zu. Dann nicke ich langsam. »Ich versuche es... Allerdings kann ich dir nicht versichern, diesen Raum zu verlassen.«
Mary Stuart scheint sich ganz offensichlich traurig Lächelnd damit abzufinden, dass meine Sturheit meiner Gesundheit im Wege steht. »Ich schicke deinen Vater nach dir sehen, sobald er von der Jagd zurückkehrt. Ich nötige ihn, dich zum Abendessen zu nötigen«, sind ihre letzten Worte, bevor sie den Raum endgültig verlässt.
Kurz darauf betreten einige Kammerzofen das Zimmer und machen sich an den Verbänden zu schaffen, was ich natürlich alles strikt unter Augenschein nehme. Eine falsche Bewegung und sie müssen sich meine Meinung zum zehnfachen anhören. Sicherlich lästert die Belegschaft bereits fleissig über mich.
»Wünscht Ihr etwas, Mylady? Kann ich Euch behilflich sein? Eure verehrte Mutter gedenkt, Euch ein wohltuendes Frühstück auftischen zu lassen. Ich mache mich schnellstens daran, es zu holen, wenn Ihr es wünscht?«, sagt eine der jungen Mädchen zu mir. Ihr Blick ist vertrauensvoll und sie scheint ihr nettes Angebot durchaus ernst zu meinen.
Manchmal vergesse ich, wie überaus ehrenvoll manche Menschen früher doch gewesen sind. Eine der vielen Vorteile weshalb es sich in den früheren Jahrhunderten besser lebt, als in dem unseren.
Ich seufze lautlos. Ich denke, inzwischen kann ich mich nicht mehr gegen elterliche Fürsorge wehren, egal wie ungewöhnlich sie sich auch anfühlen mag. »Sicherlich. Viele Dank.«
Sobald alle Anwesenden den Raum nach getaner Arbeit verlassen haben, bleibe ich mit dem bewusstlosen Fionn zurück. Ich blicke unaufhörlich in sein Gesicht, als würde das ein Wundermittel dafür sein, dass er sofort aufwacht.
Schon wieder treten Tränen in meine Augen und rollen sogleich meine Wangen herunter. Inzwischen bedaure ich meine Wehleidigkeit nicht mehr, doch die ganze Heulerei würde mehr Sinn ergeben, wenn sie zu etwas Gute wäre.
Allerdings verschafft sie mir nicht einmal mehr Erleichtertung.
Fionn ist zwar wieder da, und ich kann ihn sehen, anfassen und spüren. Doch die Lage ist genauso aussichtslos und ungewiss, wie als ob er noch im Tower gefangen wäre. Ich weiss noch immer nicht, ob er leben oder sterben wird.
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Hey Leute!
Ich hoffe, dieses Kapitel hat euch gefallen. :) Langsam neigen wir uns auch dem Ende von Discovered zu, obwohl ich natürlich nicht zu viel im Voraus verraten will... Tatsächlich hab ich noch ein paar unerwartete Überraschungen für euch parat.
In diesem Sinne wollte ich euch mal fragen, was ihr eigentlich von Emma als Hauptprotagonistin haltet? Und wie findet ihr Fionn? Gefällt euch der Verlauf der Geschichte?
Ich bin froh über ehrliche Meinungen und Rückmeldungen.
Danke und bis bald :)
Vanessa
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...