France, 1559
Sie bewegt sich leise durch das alte Schloss. So leise ihr wallendes Kleid es eben zulässt.
Der Schlaf meidet die junge Königin seit einigen Tagen, denn sie spürt, dass sich etwas tut. Etwas hat sich verändert.
Und diese Vorahnung bestätigt sich beinahe im selben Augenblick, als einer der Boten den Flur entlang schreitet. Er scheint in grosser Eile zu sein, dass kann sie an seinen geschwinden Beinen, aber auch an seinem hektischen Blick erkennen.
Alarmiert bleibt die Königin stehen, und somit auch ihre Hofdamen, sieht den Burschen an. Er wirkt verunsichert, als er so unvermittelt vor ihr stehen bleibt, verneigt sich dann aber eilig und öffnet den Mund. Jedoch kommt kein Ton heraus.
»Sprecht. Was habt Ihr für mich?«, fragt die schottische Monarchin. Sie neigt herrschaftlich den Kopf, um ihm zu verstehen zu geben, dass er sich nicht eingeschüchtert fühlen soll.
»Lord Mckenzie ist am Hof eingetroffen, Majestät. Er hat Euch eine Nachricht zukommen lassen«, sagt der Junge und reicht ihr ein gefaltetes, cremiges Papier, welches mit einem Siegeldruck verschlossen ist.
Mary nimmt die Botschaft hastig entgegen, sieht auf das Siegel und muss sichtlich an sich halten, um dieses nicht vor aller Augen in zwei Teile zu brechen. Sie bemüht sich, dem Boten ein dankendes Lächeln zu schenken, dann dreht sie sich geschwind um und lässt alle Anwesenden ungeduldig zurück. Sie zieht sich in ihre Gemächer zurück, froh darum, dass der König auf einer Jagd mit dem Kronrat ist.
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Die Dunkelheit kehrte bereits ein, als sie den Pfad zur verlassenen Kirche entlang geht. Sie kann den Mond sehen, das helle Licht auf ihrem Gesicht spüren.
Es war eine mühselige Angelegenheit, sich unbemerkt aus dem Schloss zu schleichen. Da sie jede Sekunde unter ständiger Beobachtung steht, ist es ein beinahe unmögliches Unterfangen. Jedoch gibt es einige Vertraute, welche über die geheimen Treffen der Königin Bescheid wissen, und die helfen ihr aus dem Schloss.
»Ich bin froh, dass Ihr gekommen seid«, sagt der junge Lord Mckenzie, nach einer tiefen, ehrfürchtigen Verneigung. »Ich war nicht sicher, ob es Euch möglich sein wird.«
»Ich finde immer einen Weg. Nun, mit welchen Neuigkeiten reist Ihr in die Vergangenheit? Ich habe Euch eine Weile nicht gesehen... Ich hoffe doch, es ist alles in bester Ordnung?«
»Selbstverständlich, meine Königin. Allerdings hat es einige Veränderungen gegeben in den letzten paar Tagen: Durch eine unerwartete Begebenheit, geschah es, dass Eure Tochter über ihr Schicksal Bescheid erlangte.«
Die junge Königin erschrickt beinahe ein wenig über diese Nachricht aus der Zukunft. Damit hat sie nicht gerechnet, denn eigentlich war es vereinbart, dass sie als Einzige ihrer Tochter die Wahrheit offenbaren würde, wäre dies je nötig.
Doch im Laufe ihrer Lebensjahre hat sie hervorragend gelernt, ihre wahren Gefühle hinter einer Maske der Gleichgültigkeit zu verbergen. Und es hilft.
»Wie ungewöhnlich... Nun, ich hoffe doch sehr, sie ist wohlauf?«
Fionn Mckenzie nickt eifrig, sagt jedoch nichts dazu.
»Wie hat sie es aufgenommen? War sie erbost?«
»Nein, Majestät. Sie scheint jedoch noch immer sehr mit der Wahrheit zu ringen, unsicher, ob sie diese tatsächlich als solche akzeptieren soll«, teilt er ihr vorsichtig mit.
Als einer der engsten Vertrauten dieser Mission, weiss er, dass alles was mit Emma zu tun hat, ein heikles und emotionales Thema für die schottische Königin ist.
»Nun, das ist nachvollziehbar. Wünscht sie mich zu sprechen?«
»Ich bin mir nicht sicher. Doch sie sucht noch immer nach Antworten... Seid Ihr für ein persönliches Treffen offen? Falls sie diesen Wunsch aussprechen würde.«
Mary denkt einen Moment über die Folgen ihrer nächsten Entscheidung nach. Ist sie das? Bereit, das Mädchen zu sehen, welches sie vor einigen Jahren wegschickte?
Sie ist sich nicht sicher. Jedoch spielt es keine Rolle, denn es geht nicht um ihr eigenes Wohlbefinden. Und so sagt sie: »Sehr wohl.«
Lord Mckenzie nickt anerkennend und sie verabschieden sich leise von einander.
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...