Ein Aufwachen ohne dich

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Linlithgow Palace, Scotland 1565

Es ist ein schwebeloser Zustand, wie durch dichten Nebel. Ich kann meine eigene Hand vor meinen Augen nicht sehen, so dicht ist das Weiss, in dem ich treibe.

Fast schon spüre ich, wie sich meine Wirbelsäule ausdehnt, wie sich jeder einzelner Wirbel auseinander zieht bis grenzenlose Entspannung mich erfasst. Seidenweiche Tücher umwerben meinen zerstörten, geschändeten Körper, doch auch wenn dies etwas Wohltuendes ist, habe ich auch bis dahin keinen Schmerz mehr gespürt.

Doch Erleichterung ist es nicht, welche mich überkommt. Eher noch bin ich fast schon gefühllos, wobei ich nicht weiss ob es an meiner Orientierungslosigkeit liegt. Zudem kann ich mich nicht erinnern, was passiert ist... bevor ich in dieses himmelblaue Wolkenblase geraten bin.

Ich vermute, meine Augen sind geschlossen, dennoch sehe ich deutliches Licht. Helles Licht, sanft, es brennt nicht in den Augen, doch trotzdem müssen sie zu sein.

Denn meinen eigenen Körper kann ich nicht sehen. Ausser Licht kann ich überhaupt nichts sehen. Manch einer würde sagen, dies sei ein friedlicher Ort, ein friedlicher Zustand, wo es sich ohne weiteres verweisen lässt.

Aber der Gedanke, dass es sich hierbei um das Jenseits handeln könnte, versetzt mich in Panik. Und die Panik, das Fühlen Ansicht, ist möglicherweise der Grund, weshalb ich in ein dunkles Loch geschleudert werde. Es fühlt sich an, als ob ein Katapult unter mir losbricht und mich aus der Wolke hinaus, in eine haltlose Schwärze fallen lässt.

Ich kann meine Augen einfach nicht öffnen, egal wie sehr ich mich auch anstrenge. Aber mein Herz klopft wie verrückt vor lauter Panik, da ich keine Ahnung habe, was mit mir passiert.

Und als ob man mich aus einem Albtraum herausreisst, wache ich mit einem schweren Luftreissen auf. Gleichzeitig gehen meine Augen auf, als ob sich ein unsichtbarer Kleber von ihnen gelöst hätte.

Mein erster Sinn, denn ich voll und ganz einsetzen kann, ist der Geruchssinn: Es riecht modrig. Nach Holz und schweren Stoffen. Ich rieche Feuerholz und einen frischen Durchzug, Kräuter und... Lavendel. Ein Lavendelkissen unter meinen verworrenen Haaren. Ich neige den Kopf zur Seite und ziehe den intensiven Duft durch die Nase ein.

Das Licht vor meinen Augen klärt sich und ich sehe Gelb, Orange und helles Weiss, züngelnde Flammen, aufgetürmte und verkohlte Holzscheite.

Aufgrund des Feuers im Kamin ist es gemütlich warm. Zusätzlich mit den unzähligen Wolldecken unter denen ich liege, kann mir gar nicht kalt sein. Ich taste mit meinen lädierten Fingern über meine Kleidung, die sich samtig weich anfühlt; der Saum des Kleides welches ich trage ist mit Spitze versehen, die sich ebenfalls seidig anfühlt.

Ich liege in einem riesigen Bett, einem Bett ausgestopft mit Kissen und Decken, sodass ich darin beinahe versinke. Auf meiner rechten Seite steht eine Art Nachttischen, auf dem einige Gläschen und Tinkturen stehen. Ich kann von hier aus riechen, dass sie stinken.

Oder vielleicht bin das auch einfach ich selbst, denn irgendwo auf meinem Körper muss sich diese Medizin schliesslich befinden.

Die Luft ist trocken, sodass ich husten muss. Daraufhin bemerke ich die einst so qualvoll gespürten Schmerzen erneut. Sie strahlen von meinen Handgelenken in meine Oberarme bis ins Schlüsselbein. Von meinen Rippen bis in die Bauchhöhle, meine gesamte Wirbelsäule schmerzt und selbst meine Oberschenkel fühlen sich lädiert und zerdrückt an.

Ich hebe so vorsichtig wie ich nur kann die Decke an, damit ich meine verbundenen Handgelenke unter Augenschein nehmen kann. Sie sind gut verarztet, dennoch kann ich das Blut sehen, dass schon wieder hindurchdrückt.

Vermutlich mussten die Wunden aufgerieben und gesäubert werden, um einer Blutvergiftung vorzubeugen, weshalb sie jetzt auch wieder bluten.

Widerlich, denke ich Nase rümpfend.

Knurrend bemerke ich, dass ich Hunger habe. Schrecklichen Hunger. Ich meine, wirklich furchtbaren Hunger. Aber das ist ganz gut, denn ich habe die letzten Tage gar keinen Hunger mehr verspürt.

Ich werfe die Decke ganz beiseite und schwinge mit der wenigen Kraft, die ich noch habe, die Beine über die Kante. Allerdings ist das Bett so gross, dass diese nicht einmal bis an den Rand kommen. Also rutsche ich nach vorn und lasse mich mit den Füssen voraus auf den Boden gleiten.

Da meine Füsse nackig sind und der Steinboden eiskalt ist, schaudert es mich einwenig. Doch das Nachthemd, oder was auch immer das sein soll, besteht aus dickem Stoff. Dennoch greife ich schnell nach dem dicken Morgenmantel mit goldenen Kordeln, welcher auf dem Lesesessel neben dem Bett liegt.

Ich gehe zum Kamin und schaue mir das Gemälde an, welches darüber hängt: Eine junge, hübsche Frau, welche eine goldene Krone und ein samtgrünes Kleid trägt. Ihr Haar ist dunkelbraun, beinahe schwarz und ellenlang, doch es ist in einer kunstvollen Flechtfrisur an ihrem Kopf befestigt.

Einen Moment sehe ich sie mir an und ich weiss natürlich, dass es Maria Stuart ist, die ich da vor mir sehe. Dann drehe ich mich um und gehe zu dem stehenden Spiegel, der direkt hinter mir an der Wand lehnt. Seine Füsse stehen eisern auf dem Boden, ich bin sicher er ist wahnsinnig schwer.

Ich blicke meinem ausgemergelten Spiegelbild entgegen und kann kaum fassen, was ich zu Gesicht bekomme. Mein Gesicht hat eine fahle, beinahe graue Farbe angenommen und ich kann meine Wangenknochen deutlicher erkennen, als normalerweise.

Ich öffne den Morgenmantel und ziehe da Kleid bis zum Nabel hinauf. Mein restlicher Körper sieht auch nicht besser aus: Mein Rippenknochen treten hervor, mein Bauch ist eingefallen und meine Haut ist über und über mit blauen, violetten und dunkelblauen Flecken übersät. Hie und da sehe ich sogar eine Quetschung oder Prellung.

Mein Gott, es wird Wochen dauern, bis ich wieder normal aussehe, denke ich kopfschüttelnd bei mir.

Bibbernd lasse ich das Nachthemd fallen und ziehe den Morgenmantel zusammen, damit mir warm wird. Da geht auch schon die Tür auf und eine Schar Menschen betreten den Raum.

Darunter kann ich einige Hausmädchen und Dienerinnen ausmachen, die offensichtlich Kleidertruen und gleich mehrere Tabletts mit Essen hinein bringen. Hinter ihnen treten sichtlich edlere Damen ein: Nach ihrem Aussehen und Auftreten würde ich sagen, sie gehören zum Adel und sind als Hofdamen tätig. Letztere Vermutung wird mir bestätigt als jene junge Frau eintritt, die ich auch auf dem Gemälde gleich oberhalb des Kaminsims erkannt habe und jetzt sofort wieder erkenne.

Doch kein Gemälde, keine Malerei auf der Welt würde ihrer Schönheit je gerecht werden. Was ich nicht erwartet habe, sind ihre erstaunlich kindlichen, sanften Züge, was nicht zu einer so mächtigen Königin passt. Ich bin mir nicht sicher, in welchen Jahrhundert wir uns befinden, aber sie ist so oder so zu jung für ein so riesiges Imperium.

Ihr Lächeln ist zurückhaltend, beinahe schüchterner Natur. Auch etwas, dass ich ihr niemals gegeben hätte.

»Hallo Emma«, sagt sie dann, mit einer authentischen Unsicherheit in der Stimme. »Ich bin Mary.«

Zuerst weiss ich nicht, wie ich reagieren soll. Ich weiss, das Richtige wäre gewesen, mich zu verneigen und vermutlich erwarten das auch alle von mir. Aber ich kann mich keinen Zentimeter bewegen, ich kann nur hier stehen und sie anstarren.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt