Düsternis der Keller

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London, England 1811

Die Stadt war damals in wahnsinnigem Aufruhr. George IIII übernahm als Prince Regency gerade die Macht, da sein Vater nicht mehr dazu in der Lage war sein Reich zu regieren. 

Aber für uns Zeitreisende war es auch ein sehr bewegendes Jahr, jedenfalls für jene meiner Adoptivfamilie. Vermutlich auch all jener, die im Londoner Zirkel der Zeitreisenden Rang und Namen besassen. 

Wir sind in dieses Jahr gesprungen, anfangs Jahres, um Freya erneut zu treffen. Wir wissen, dass sie in diesem Jahr umkommen wird und es muss auch das Jahr gewesen sein, indem sie mich weggebracht hat, in unsere Gegenwart. 

Fionn meinte, da sie inzwischen zu neuen Erkenntnissen gekommen sein könnte und wir ebenfalls einiges dazugelernt haben, wäre es besser, sie in ihren letzten Monaten zu treffen. Damit sie den Ernst der Lage wirklich spürt und ehrlich zu uns ist. 

Wir gehen die Strassen entlang. Das weisse Seidenkleid mit dem blumigen Muster am Saum wird schmutzig, was wirklich sehr schade ist. Es ist ein wunderschönes Kleid. Und die Regency-Zeit ist eine meiner liebsten was Mode anbelangt. Dazu trage ich einen hübschen, zierlichen Mantel und einen Stoffhut, der mit zwei Seidenbändern zusammengebunden wird. In den Händen halte ich einen süssen, ebenso weissen Schirm, der unter anderem auch an heissen, sonnigen Tagen benutz wird. Doch dieser hat den Zweck Schneeflocken und starken Wind von meinem Gesicht und meinen Haaren fernzuhalten. 

Fionn hat uns offensichtlich eine Kutsche bestellen lassen, denn er hält mich vom weiteren Gehen auf und zeigt auf das schwarze Gefährt von Pferden gezogen, welches gleich neben uns Halt macht. Ich nicke nur und sobald wir drinnen sitzen, fallen mir beinahe die Augen zu. Die lange Fahrt zurück nach England, das ständige hin und her pendeln ist echt anstrengend. 

Doch Fionn sagt, es sei sicherer immer wieder nach Schottland zurückzukehren. Selbst die schwarze Garde wird sich hüten, mich dort zu suchen. Beziehungsweise mich anzugreifen. 

Fionn greift ohne zu zögern nach meiner Hand und drückt sie. Er fühlt sicherlich die Kälte meiner Finger. Und sogleich fühle ich seine niemals endende Wärme. »Wir sollten nicht allzu lange bleiben, Emma. Es ist ein heikles Jahr.«

Er ist sichtlich nervös. Das war er schon, als wir die Fahrt antraten, und er war es auch schon, als ich ihm unmissverständlich eröffnete, dass ich Freya sehen will. 

Das letzte Mal bin ich es möglicherweise falsch angegangen, auch wenn ich nicht ganz einsehen kann, weshalb. Ich war ehrlich gewesen, ich habe sie direkt angesprochen und daraufhin wurde sie wütend. Ich kann verstehen, weshalb sie wütend ist. Gewesen ist. Was auch immer.

Offenbar hat sie meinetwegen einiges auf's Spiel gesetzt und das dann auch verloren. Andererseits ist das nicht meine Schuld. Ich war ein Baby und konnte meinen Ursprung genauso wenig aussuchen, wie alle anderen. 

Wie leicht wäre es doch, wenn ich keiner Linie Königen und Königinnen abstammen würde. Ich wäre in Sicherheit. Ich wäre frei... Möglicherweise wäre ich noch immer bei meinen leiblichen Eltern. 

Desto trotz muss es irgendwie weitergehen... Jedenfalls habe ich das so entschieden. Und dafür muss ich wohl oder übel erneut mit Freya sprechen. Jetzt da diese Sache mit den Malen auf meinem Rücken einigermassen einen Sinn ergibt, möchte ich doch noch so vieles erfahren. Nicht nur, weshalb sie tatsächlich ihr Leben opferte, meinetwegen oder nicht, sonder auch wieso sie von den Sinclair's verstossen wurde. 

»Das weiss ich doch«, erwidere ich. Ich verstehe seine Furcht, doch ich bin inzwischen nicht mehr so ängstlich. Es fühlt sich an, als hätte sich etwas verändert. Vermutlich ist es die falsche Taktik, sich andauernd zu verstecken. So werde ich niemals alles in Erfahrung bringen, was ich wissen muss. 

»Wir sollten... vielleicht sollten wir das nicht tun«, meint er, drückt meine Hand fester, als wolle er mir sagen, dass er sich richtig sorgt. Wie immer. 

»Aber vielleicht sollten wir es doch tun«, erwidere ich und lächle ein wenig. Ich bin so müde, dass ich es nicht zu einem Grinsen schaffe. 

»Hier wimmelt es nur so von Soldaten, die dem Zirkel angehören. Sie sind überall zu dieser Zeit. Sie suchen nach Freya und dem Fraser-Jungen.«

Ich runzle die Stirn und werfe einen Blick hinaus, auf die vollen Strassen des altertümlichen Londons. Wie ich diese Zeiten liebe, da es noch keine Autos gab, noch keine Technologie. 

»Sie wissen doch nicht, wie ich aussehe«, gebe ich zu bedenken. 

»Vielleicht. Das können wir nicht wissen«, erwidert er. »Was wenn doch?«

Ich zucke bloss die Schultern. Wenn doch? »Dann sollten wir besser schnell rennen.« Ich lache aufgrund meines bescheuerten und eigentlich überhaupt nicht amüsanten Witzes. Doch ich bin total übermüdet. 

Fionn seufzt, ebenfalls müde. Doch er unterdrückt ein feines Grinsen, dass kann ich sehen. »Indem Fall solltest du uns einfach schnell hier rausbringen.«

Ich nicke. Meine neugewonnene Fähigkeit grenzenlos in der Zeit zu reisen, erlaubt uns vieles. 

Endlich hält die Kutsche auf ihrem Weg an. Es ruckelt in der kleinen Kabine, sobald die grossen Räder stoppen und der Hilfsjunge des Kutschers kommt sogleich um uns die Tür zu öffnen. Sobald Fionn durch die Tür tritt, tippt der Junge gegen seinen Hut und nickt ehrwürdig. Mir hält er seine Behandschuhte Hand entgegen und hilft mir die winzigen Stufen herunter, sodass ich nicht hinfalle oder über den Saum des Kleides stolpere. 

Die Strassen sind rutschig wegen des Schnees, weshalb ich auch Fionn's Arm dankend nehme, denn er mir hinhält. Er hat mich während meines kurzes Gangs zu ihm hin beobachtet und lächelt ein wenig verkniffen. Ich erwidere seinen Blick, sage jedoch nichts. 

Wir treten in das edelaussehende Gebäude und ich erkenne erst als wir es betreten, dass es sich um ein nobles Hotel handelt. Fionn ignoriert den Menschenauflauf in der Lobby und geht direkt auf die Treppen zu, die offensichtlich nach unten führen. 

Was wollen wir denn im Keller? 

Wir steigen die steinigen Treppen herunter und es wird sobald düster. Nur wenige Kerzenständer und einige Fackeln an der steinernen Wand erhellen den dunkeln Raum. Wenn wir nicht unter der Erde wären, dann würde es nicht so unheimlich wirken hier unten. 

Wir treten durch eine weitere hölzerne Tür, die knarzt als Fionn sie öffnet. Und dann stehen wir tatsächlich in einem Weinkeller. Ein muffelig riechender Weinkeller, dessen Seiten über und über Weinflaschen bestückt sind, welche in staubigen Regalen vor sich hin altern. 

In der Mitte des weitläufigen Raumes steht ein hölzerner Tisch, der mit roten Flecken und vielen Pergamentrollen übersät ist. Ausserdem liegen Kohlestifte herum und zerschellte Weingläser. 

Aber das wirklich Interessante ist, dass Freya mit Levi zusammen an diesem Tisch sitzt. Hinter ihnen steht ein gefährlich aussehender Mann, der an seinem Gürtel einen Schlagknüppel trägt. Und ich bin davon überzeugt, dass er noch mehr Waffen am Körper trägt. 

Fionn und ich wechseln skeptischen Blick. Unsere Augen scheinen dasselbe zu sagen. 

Na das kann ja heiter werden.  








Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt