Calais, France 1559
Die Tore schlossen sich gerade zu dem Zeitpunkt, als die schottische Königin hinaus treten wollte.
Die Wachen versperrten ihr den Weg, wohl wissend wer sie war und woher sie kam.
Es war ein offenes Geheimnis, dass sie Frankreich wegen einer sehr prikären Angelegenheit verliess. Einige Adelige, aber vor allem der Hofstaat zerriss sich bereits das Maul, weshalb Gerüchte der Untreue der Königin die Runde machten.
Lächerliche Annahmen, und allein die Wahrheit war das pure Gegenteil des Geredes. Dennoch lag der schottischen Monarchin nichts daran, ein solches Geschnatter richtig zu stellen.
Es war eher so, dass ihr der Klatsch über ihre private Situation ganz gelegen kam. Immerhin waren vollkommen falsche Gerüchte besser, als wenn jeder der französischen Oberschicht die Wahrheit kannte.
»Es tut mir leid, Majestät. Wir können Euch nicht passieren lassen«, sagte der General, welcher hinter den einfachen Fusssoldaten hervortrat.
»Ich habe Euch nicht um Erlaubnis gebeten, General. Und jetzt tretet beiseite, ich habe einer äusserst wichtigen Sache nachzugehen«, erwiderte die Königin und stellte sich so aufrecht, gebieterisch und stolz hin, wie sie nur konnte.
Der General neigte den Kopf, als wollte er damit seinen Unmut ausdrücken. »Ich bin davon überzeugt, Mylady, dass Eure Dringlichkeit unbestritten ist. Dennoch muss ich Euch bitten, mich ins Hauptgebäude der Hafenwache zu begleiten.«
Mary schnaubte. »Könnt Ihr mir sagen, weshalb ich das tun soll?«
»Wenn es Euch recht ist, will ich dies unter verschlossenen Türen mit Euch besprechen«, sagte der General.
Ganz offensichtlich wollte er nicht einlenken, weshalb die Königin schliesslich ergeben nickte. Sie war sich ziemlich sicher, dass dies keine besonders gute Idee war.
Mary, der General und einige Wachen des Hafens gingen durch eine schmale Tür des Tores, welche zurück in die Stadt führte.
Dennoch war der Fussmarsch in jenes Hauptgebäude der Hafenwache kurz. Einmal bogen sie links ab, dann rechts und schliesslich standen sie vor einem einigermassen entzückenden Privathaus.
Der General liess die Königin voraus gehen, und sie wurde beinahe augenblicklich von einer Angestellten in einen kleinen Salon geführt. Im Raum war es warm und gemütlich.
Obwohl Mary ein Becher Wein angeboten wurde, lehnte sie wehement ab. Sie wollte diese lästige Angelegenheit schnellst möglich hinter sich bringen, damit sie endlich aus diesem Land herauskam.
Doch den General schien keine Eile zu treiben, denn er liess sich sehr wohl von einer Dienerin Wein einschenken und setzte sich in einen Sessel direkt neben dem Kaminfeuer.
»Ich hoffe doch sehr, Euch ist bekannt, dass ich mich sputen muss. Das Schiff wartet wohl kaum«, sagte die Königin in herrischem Tonfall zu dem General.
»Das Schiff wartet sehr wohl auf Euch, Majestät. Immerhin hat Euer frisch gebackener Verlobter selbst für die Überwachung während der Überfahrt gesorgt, oder etwa nicht?«
Mary zog die Stirn in Falten. Woher wusste er das? Niemand wusste von der Überfahrt, noch von den verstärkten Sicherheitsmassnahmen.
»Mir ist schleierhaft, wie Ihr von solch privaten Angelegenheiten erfahren habt. Allerdings muss ich Euch darüber in Kenntnis setzen, dass Euch das weder zu kümmern hat, noch seid Ihr berechtigt mich darüber auszufragen.«
Der General lächelte, - eine durchaus anmassende Regung seiner Mimik, welche in der Königin nur Wut schürte. »Das mag alles stimmen, Majestät. Aber es gibt da jemanden, der sich sehr für Euer Vorhaben interessiert.«
Als seine Worte endeten, trat eine verhüllte Person durch eine andere Tür in den Raum. Diese Person schritt aussergewöhnlich würdevoll durch die Räumlichkeiten, sodass Mary die Abstammung Adeliger erahnen konnte.
Die Person warf die Kapuze des Umhangs zurück und gab somit ihre Identität preis.
»Elizabeth«, raunte Mary, durchaus überrascht wenn nicht sogar erschrocken über das Erscheinen ihrer Erzfeindin, und Cousine.
»Hallo Mary«, sagte diese mit einem selbstgefälligen Lächeln.
Wenn die protestantische englische Herrscherin hier ist, dann wusste auch England von ihrem Vorhaben.
Sie wussten es.
Instinktiv hielt sie sich eine schützende Hand auf den noch immer flachen Bauch.
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...