Zwischen Hügeln und Gefühlen

1.3K 97 4
                                    

Ich drücke den milchig, türkis-farbenen Jade zwischen meinen Fingern, gegen meine Brust, exakt dort wo mein Herz fest in meiner Brust dröhnt.

»Hey, du High Speed Kriegern«, ruft der wild schnaufende Fionn mir zu. »Schalt einen Gang runter, sonst erstickst du noch.«

Ich lache. Wir klettern gerade einen Grasüberwachsenen Hügel hinauf, der von unten weitaus weniger gefährlich ausgesehen hat. Doch tückische Kaninchengräben und Maulwurflöcher begegnen uns auf unserem Weg zur Genüge, sodass man wirklich aufpassen muss wo man hintritt, wenn man sich nicht das Genick brechen will.

Die Luft ist frisch und belebend, wie überall in den wilden Weiten der schottischen Highlands. Seit wir wieder in Schottland sind, in dieser wunderbar privaten, ein wenig geheimnisvollen Gegend, da fühle ich zum ersten Mal so etwas wie Erleichterung hier zu sein. Vielleicht ist das alles gar nicht so schlimm.... Denn wenn ich mich schon nach Schottland sehne, dann kann der Gedanke tatsächlich eine Schottin zu sein, nicht so abwegig sein. Und vielleicht, wer weiss, gewöhne ich mich auch noch daran, von zwei Monarchen abzustammen, die beide in die unvergessliche Weltgeschichte eingegangen sind.

Aber das fällt mir momentan noch schwer zu glauben. Eins nach dem anderen.

»Nur weil du nicht hinterer kommst, du Faulpelz?«, rufe ich breitgrinsend zurück.

Er schnaubt. Was keine gute Idee ist, während wir den Hügel erklimmen. Er beginnt unkontrolliert zu husten, sodass er den Kopf zurückwirft und wie wild die frische, kalte Luft einatmet. Seine Haare flackern in der Böe und während ich ihn so ungeniert anstarre, macht mein Herz einen kleinen Hüpfer.

Schnell wende ich mich ab. Über mein eigenes Verhalten kann ich nur entnervt den Kopf schütteln; was ist eigentlich los mit mir? Vielleicht tun mir diese ewigen Verfolgungsjagden und die unkontrollierten Sprünge nicht gut... Vielleicht läuft da etwas grundsätzlich schief in meinem Kopf?

Vermutlich stimmt das sogar, obwohl es nichts mit den jüngsten Ereignissen zu tun hat, sondern eher mit dem unwiderstelichen Lächeln eines schottischen Mannes.

Ich runzle die Stirn. Na toll. Ich werde tatsächlich verrückt...

Endlich oben angekommen, warte ich auf Fionn, der mich nur missbilligenden über meinen Freiheitsausbruch ansehen kann. »Wenn du dich das nächste Mal so fühlst, als ob dir die Decke auf den Kopf fällt, dann nehmen wir den Porsche und du kannst dich auf den Strassen einwenig austoben, alles klar?«, sagt er zu mir, knurrend und wild atmend. Wild gestikulierend wie ein Irrer, die gesamte Umgebung einschliessend, sagt er: »Das hier mach ich auf keinen Fall noch ein weiteres Mal mit.«

Erneut muss ich laut lachen. »Porsche? Das soll doch wohl ein Witz sein«, frage ich mit hoch erhobenen Augenbrauen. »Ausserdem finde ich es erschreckend, wie ausser Form du bist, ganz ehrlich.«

»Naja, es hat schon einige Vorteile aus einer stinkreichen Familie zu kommen. Allerdings gehört er meinem Onkel, also sollten wir wohl vorsichtig damit sein.«

Ich grinse, ignoriere jedoch seinen Kommentar. Dann lasse ich meinen Blick schweifen. Der Ausblick, der sich einem hier oben bietet ist unglaublich.

»Was tun wir hier?«, fragt er mich schließlich, wohlwissend, dass ich ihn nicht ohne Grund nach oben geschleift habe.

Ich erwidere seinen fragenden Blick, versinke in seinen wunderbar klaren Augen. Einen Moment bin ich so gebahnt von seinem Anblick, dass ich nichts sagen kann. Doch dann räuspere ich mich und antworte: »Ich möchte meine neu errungene Fähigkeit gerne ausprobieren. Das letzte Mal habe ich es intuitiv getan, aufgrund von Gefahrensituationen.«

»Und?«

»Naja, immerhin habe ich doch keine Ahnung, wie ich das steuern muss«, erkläre ich ihm. »Und genau deshalb möchte ich das gerne... testen.«

Fionn zuckt mit den Schultern. »In Ordnung. Aber bist du sicher, dass du das machen möchtest? Versteh mich nicht falsch, ich finde es gut, jedoch bedeutet dies doch der unausweichlicher Wachstum deiner Male, nicht wahr?«

Daran habe ich noch überhaupt nicht gedacht, doch was kann es schon schaden? Immerhin sind die Male schon da, also spielt es keine Rolle mehr. »Wie alt ist euer Haus schon?«

Fionn hebt eine Augenbraue, dreht sich um, als müsse er sich davon überzeugen, dass das Haus seiner Jahrhundertealten Familie noch da ist. »Alt genug«, erwidert er dann schliesslich.

Ich zucke mit den Achseln; das habe ich mir schon gedacht. »Gut, na dann.«

Fionn beobachtet mich. Das ist das letzte, dass ich sehe, bevor ich die Augen schliesse und mich zu konzentrieren versuche. Zuerst erinnere ich mich mühselig an den Moment, als ich es das erste Mal getan habe: Als mich diese widerlichen Typen verfolgten. Aber um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich mir tatsächlich etwas dabei überlegt habe, oder ob wohl doch mein Unterbewusst sein für mich gehandelt hat.

Dennoch versuche ich mir eine ähnliche Situation vorzustellen: Der Drang zu entkommen, die Angst, das drückende Gefühl nicht zu wissen, wohin ich gehen soll.

Und dann, urplötzlich fühle ich das vertraute Kribbeln und die Vorfreude, meine Zeit zu verlassen um in eine andere Welt abzutauchen. Luft saugt sich wie automatisch in meine Lungen, kurv bevor sich der Boden unter meinen Füssen tatsächlich anders anfühlt. Ein Gefühl des Fallens erfasst mich, als der Boden unter meinen Füssen kaum merklich weniger wird.

Sobald ich die Augen öffne, ist Fionn verschwunden. Doch die Landschaft hat sich nicht sonderlich verändert. Als ich auf das Haus am Fusse des Hügels hinab sehe, erkenne ich, dass auch das sich nicht kaum verändert hat. Allerdings ist klar zu erkennen, dass es nicht nach moderner Art renoviert wurde, noch stehen Autos in der Einfahrt. Ganz im Gegenteil: Es besteht keine Einfahrt aus geplättetem Boden und Kies darüber, da ist nur Matsch. Und es steht eine hölzerne Kutsche anstelle der Autos dort. Keine Pferde sind eingespannt, also schliesse ich, sie befinden sich im Stall.

Ich lächle. Am liebsten wäre ich nach unten gelaufen, hinein gestürzt um mir alles genau anzusehen, um mit den Menschen, die darin leben, zu sprechen. Vermutlich wäre das gar nicht so absurd gewesen, immerhin sind die Mckenzie's seit Jahrhunderten Zeitreisende. Jedoch bin ich unumstritten englischer Herkunft, das hört man.

Ich weiss nicht, in welcher Zeit ich gelandet bin, allerdings ist es offensichtlich, dass die Schotten noch immer gälisch sprechen. Sie würden mich sofort entlarven. Und ich bin davon überzeugt, dass sie mich hinauswerfen, wenn nicht sogar schlichtweg abstechen. Engländer sind nicht besonders beliebt hier... Wohl zu keiner Zeit. Und die Tatsache auszusprechen, dass ich Mary Stuarts Tochter bin, würde mir keiner glauben.

Einen Moment warte ich ab, schaue hinab und als ein kleines Kind aus dem Haus rennt, in den Garten hinein, lächle ich selig. Das muss ein friedliches Leben gewesen sein, denke ich neidisch.

Ich seufze wehmütig, dann schliesse ich erneut die Augen um Konzentration herbei zu rufen. Und schon rutsche ich erneut durch die Zeit, zurück an meinen eigentlichen Platz.

Sobald ich aufsehe, erkenne ich Fionn's breitgrinsendes Gesicht. Auch das ist ein friedliches Leben, denke ich dann. Ein Leben hier, mit ihm.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt