Vielleicht sollte ich besser aufgeben, denke ich.
Ein bitteres Jammern ertönt. Es hält seit Stunden an. Vor einigen Stunden habe ich damit begonnen es zu ignorieren, doch jetzt, da es schlagartig wieder anfängt, bin ich zu erschöpft dafür. Und es reizt mich ungemein. Wenn ich selber nicht in einer aussichtslosen Lage gewesen wäre und mich nicht nur um mein eigenes, sondern auch um Emma's Wohlergehen zu sorgen hätte, würde ich mich darum kümmern.
Aber so? Nun ja, ich kann mir nur immer wieder auf's Neue wünschen, dass es aufhört.
»Freya, bitte«, murmle ich müde. »Es gibt nichts mehr, was du tun könntest.«
Sie stösst einen weiteren Laut aus, der nach purem psychischem Schmerz und Verzweiflung klingt. Meine Worte scheinen ihr alles andere als zu gefallen.
Von meinem Platz aus, kann ich sie recht gut erkennen. In unserer kleinen Kammer stehen mehrere Kerzen, die noch immer hell flackern. Doch das wird wohl nicht mehr lange so sein, denn der Wachs häuft sich am Boden und das Feuer brennt die Kerze immer tiefer gen unten.
Ich erkenne ihr Leid, kann es an ihrer Körperhaltung, wie Augen, Mimik und Gesitk ablesen. Es würde mir leichter fallen, Mitleid für sie zu empfinden, wenn ich nicht genau wissen würde, dass sie und Levi für unsere Gefangenschaft verantwortlich sind.
Aber seit Stunden, gar Tagen, egal wie lange ich hier drin schon festsitze, ich kann nur an Emma denken. Daran, wo sie gerade ist, was sie denkt, ob es ihr gut geht, ob sie Schmerzen hat, ob sie etwas zu essen bekommt, ob ihr warm genug ist in diesen kalten, dunklen Höhlen nackten Steines. Ob sie an mich denkt? Ob man ihr etwas antun wird, oder bereits getan hat.
All diese unbeantworteten Fragen geistern durch meine Gedanken wie ein Gift, dass sich stetig in meinem Körper verbreitet und selbst in die kleinsten Venen und Adern tröpfelt.
»Das ist alles meine Schuld«, jammert sie. Ihre Stimme erstickt. »Ich wollte weder euch noch ihn in Gefahr bringen... Ich wollte alles erledigt haben, noch bevor dies geschehen konnte. Und ich wusste, es würde so kommen. Doch ich dachte, mir würde mehr Zeit bleiben.«
Ihre Worte ergeben keinen Sinn. Aber das erste Mal seit ich aufgewacht bin und mir ihre Tränen anhören muss und ihr undefinierbares Geschwafel, kommt es mir so vor, als würde sie etwas sagen, das eine Bedeutung hat.
»Was meinst du damit, du dachtest dir würde mehr Zeit bleiben? Wofür?«, frage ich nach. Dann setze ich mich etwas aufrechter hin; die steife Haltung, in der sich mein Körper seit Stunden befindet, beginnt zu schmerzen. Und das obwohl ich ewig dafür gebraucht hatte, eine Position zu finden, die meinen geschundenen Körper am wenigsten belastet.
»Ich hatte vor, Emma ein letztes Mal zu sehen und ihr alles zu erklären. Die ganze Wahrheit. Ich wollte mich verabschieden und mit Levi ein letztes Mal nach Schottland reisen«, erklärt sie schniefend. Ich höre, wie auch sie sich aufrechter hinsetzt. »Er hat immer damit gerechnet, dass wir dorthin fliehen würden, sobald Emma alles weiss, was sie wissen musste... Doch mir wurde nach und nach bewusst, dass es für mich kein Entrinnen mehr gab. Für ihn schon.«
»Also... hättest du ihn begleitet und ihn in dem Glauben gelassen, dass du bleiben würdest. Nur um dich dann irgendwann davon zu schleichen und dich der schwarzen Garde auszuliefern?«, frage ich nach, um sicher zu gehen, dass ich ihre Worte richtig interpretiert habe.
Freya nickt mit niedergeschlagenem Blick.
»Das ist der absolute Wahnsinn«, erwidere ich leise, wohlwissend, dass es nichts geben könnte, dass ich darauf erwidern kann. Sie wäre nicht überzeugt, und ich würde sie niemals in ihrem Vorhaben bestärken können.
»Ich kann nicht zulassen, dass Levi etwas geschieht. Nicht, nach allem was er für mich getan hat«, erwidert sie mit neugewonnener Kraft in der Stimme. »Und Emma habe ich geschworen zu beschützen, wenn es sein müsste mit meinem Leben.«
Ich seufze. Die Überzeugungen Gefallener können vermutlich nicht so leicht gebrochen werden. In ihrem Kummer werden sie bloss darin bestärkt, an das zu glauben, was einst hätte sein können. Das merke ich bei mir selbst ebenso. »Und ich bin sicher, Levi würde es absolut gutheissen, dich diese Entscheidung treffen zu lassen. Immerhin ist er ein Feigling... und hat nicht bereits genug für dich getan, wie du bereits sagtest.«
Freya schnaubt erbost. Ich bin sicher, sie ist wütend über meine Worte, wie könnte sie nicht. Das wäre ich genauso. Manchmal tut die Wahrheit weh. »Ach, du weisst nicht, wovon ich spreche, du Nichtsnutze.«
Beinahe muss ich darüber lachen. »Ich bitte dich, denkst du etwa, du bist die einzige, die jemals jemanden liebte? Lass mich dir versichern, dem ist nicht so.«
Freya kommt langsam auf mich zu, nachdem sie einige Minuten Stillschweigen bewahrte. Ich höre ihre nackten Füsse auf dem steinernen Boden langsam näher kommen bis sie sich in einem sicheren Abstand zu mir setzt. »Willst du mir damit sagen, dass du Emma liebst?«
Ich antworte nicht, denn ihre Frage ängstigt mich irgendwie. Nicht, dass ich nicht die Grösse hätte, mir meiner Gefühle sicher zu sein und diese auch einzugestehen. Aber was Emma betrifft... Sie ist eine Königin. Meine Königin, denn sie stammt der grössten schottischen Monarchin ab, die es jemals gegeben hat. Und deshalb schulde ich ihr meine Treue und Loyalität, und kann es nicht zugeben, nicht durch ausgesprochene Worte.
Gedanken sind momentan mein sicherer Hafen.
Es zu denken... ist möglich.
Emma, ich liebe dich.
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...