So tief, der Schmerz

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Linlithgow Palace, Scotland 1559

Die Türen waren fest verschlossen. Doch bei dem lauten Geschrei hörten sicherlich alle im Haus Anwesenden, dass die junge Königin und ihr frisch Verlobter nicht längst zu Bett gegangen waren.

Mary Stuart stand schwer tragend beim Schreibtisch ihres ihr Verbundenen. Sie sah ihn mit grossen Augen an, konnte nicht fassen, was er da sagte. Sie konnte nicht glauben, dass er sich das so leicht vorzustellen wagte. Doch so täuschte man sich in jedem, selbst in denen, die man am Besten zu glauben kannte.

»Wie kannst du das nur sagen?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort natürlich längst kannte.

Francis stand auf, erhob sich mit trübem Blick aus seinem Stuhl. Er kam auf die Königin zu, sah ihr tief in die Augen, doch darin schien nichts nachgiebiges auf sie zu warten. »Es tut mir leid, Mary. Wir haben jedoch keine Wahl. Wenn wir das Baby nicht fortschicken, wird sie getötet.«

Sie schüttelte schnell den Kopf, dabei flogen ihre dunkelbraunen Locken über ihr Gesicht und verbargen beinahe die Tränen. Im seichten Schein der wenigen Kerzen, welche im Studierzimmer des Palastes aufgestellt waren, sah es beinahe so aus, als ob silberne Edelsteine ihre Wangen herunter rannen. »Ich kann es nicht weggeben, bitte zwing mich nicht dazu!«

Ihr Schrei hallte erneut durch die Räumlichkeiten, fern ab der Doppeltür aus kräftigem Holz, bis hin zu den wenigen Zimmern, die dahinter lagen.

»Weshalb stellst du mich als den Bösewicht da, Mary?«, rief er entrüstet. Auch sein Herz brach unter den gegebenen Umständen, aber Francis schloss seine Trauer in seinem Inneren weg. »Es ist ebenso mein Kind, wie deines. Doch wenn jemand von ihr erfährt, ist nicht nur ihr Leben in Gefahr, sondern auch deins. Und ich kann nicht zulassen das auch nur einem von euch etwas geschieht.«

Sie wusste all das. So oft und so lange hatten sie bereits darüber gesprochen. Aber während das Baby heranwuchs in ihrem Bauch, da begann sie es so sehr zu lieben wie sonst nichts auf dieser Welt. Und auch wenn sie wusste, dass es ihm ebenso ging, war Francis nun mal um einiges pragmatischer als sie selbst. Er sah nüchtern auf die Sache, so nüchtern wie es nun einmal ging, wenn man davon sprach, sein ungeborenes Kind wegzugeben.

Jetzt weinte sie noch mehr. Sie wusste er hatte Recht. Sie wusste, es gab keine andere Möglichkeit. Aber es fiel ihr nicht nur schwer das zu akzeptieren, es fühlte sich so an, als ob ihre Seele in tausend Stücke zerbarst, wenn sie auch nur daran dachte.

»Ich... kann das nicht«, hauchte sie, unfähig lauter zu sprechen, unfähig überhaupt ein Wort herauszubringen. »Ich glaube nicht, dass ich dann noch weitermachen kann.«

Francis ging auf seine Verlobte zu, legte eine Hand auf ihren kugelrunden Bauch und die andere in ihr Kreuz, um sie ein wenig zu stützen. Er gab ihr einen Kuss auf die Schläfe, drückt ihr Gesicht gegen seins, um ihren blumigen Duft einzuatmen. »Wenn die schwarze Garde sie findet, dann stirbt sie. In einem anderen Jahrhundert ist sie sicherer. Wir haben viele Freunde, die auf sie acht geben«, erklärte er ihr, so sanft es nur ging. Sie schluchzte an seiner Brust, so lange, bis keine Tränen mehr flossen, bis ihre Kehle brannte vor lauter Schmerz.

»Ich verspreche dir, sie wird keinen Schaden davontragen«, fuhr er fort. »Aber hier, bei uns, kann sie nicht bleiben.«

»Aber wer...«, sie schniefte laut, dann sah sie empor, in sein hübsches Gesicht, in diese blauen Augen. »wer sagt uns denn, dass sie nicht ebenfalls von der schwarzen Garde gefunden wird in einem anderen Jahrhundert?«

Francis schluckte schwer. Niemand konnte ihnen das sagen, sie mussten vertrauen. Sie mussten darauf vertrauen, dass sie das Leben ihres Kindes den richtigen Menschen anvertrauten und das, eines Tages möglicherweise, es für sich selber sorgen kann. Dass das Baby eines Tages wusste, wer es war und woher es kam und das es verstehen würde, wieso seine Eltern so entschieden hatten.

Doch in dieser Nacht wollten die Tränen nicht mehr versiegen, ganz gleich welche Wahrheiten die Vernunft auch sprach.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt