Nicht ohne Sinn

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Du wirst hier nichts als den Tod finden.

Diese Worte gehen immer wieder durch meine Gedanken. Will sie mich wirklich umbringen?

Andererseits hat das einen gewissen Reiz, denn wer kann schon von sich behaupten, von einer legendären, berühmten, längst toten Königin ermordet worden zu sein.

Nach der Befragung, oder als was auch immer man das bezeichnen will, bringt mich die Garde wieder zurück in die Zelle, die ich mir mit Adelaide Spencer teile.

Als ich zurückkomme, liegt sie zusammengerollt in einer Ecke und schläft.

Ich setze mich auf meinen vorherigen Platz und lasse mir die Begebenheiten der letzten drei Stunden durch den Kopf gehen. Ich muss hier irgendwie raus kommen... Aber davor, muss ich Fionn finden. 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses englische Miststück von Königin einen schottischen Soldaten verschont.

»Du bist wieder da«, ertönt Adelaide's Stimme. »Ich hätte gedacht, du wärst längst tot.«

Wie ermuntert. »Lange wird's nicht mehr hin sein.«

Sie sieht mich direkt an. Und obwohl eine sichere Distanz zwischen uns besteht, kann ich ihren eindringlichen, ernsten Blick dennoch spüren. Wer auch immer sie tatsächlich ist, was auch immer sie hier her geführt hat, sie scheint willensstark genug zu sein um ihr Ziel zu erreichen.

»Was wirst du jetzt tun?«, fragt sie mich. 

»Ich muss Fionn finden«, erwidere ich wie aus der Pistole geschossen. »Dann bringe ich uns irgendwie zurück nach Schottland.«

Adelaide lacht nicht, doch ich kann den Spott in ihren nächsten Wort genau heraushören. »Wie willst du das machen? Das sind keine normalen Verliese. Sie existieren seit Jahrhunderten... Weisst du überhaupt, wo wir sind?«

Ich erwidere ihren Blick, meinerseits mit ein wenig Verachtung. Wieso stellt sie sich so rechthaberisch an? Das macht die Sache nicht besser. »Woher auch? Ich wurde bewusstlos geschlagen.«

»Wir sind im Tower of London, du Vogel. Du kommst hier nicht raus, solange die Königin will, dass du eingesperrt bleibst. Und offenbar will sie dich auch hinrichten lassen«, erwidert sie voller Herablassung. »Und ausserdem werden die protestantischen Engländer alle mit Freuden dabei zusehen. Du hast hier keine Freunde, Mylady Stuart.«

Eine gute Minute lang bin ich wie paralysiert, als ich erfahre wo ich mich befinde. Der Tower of London war zur Zeit von Elizabeth I. ein gefürchtetes Gefängnis. Jahrhunderte lang war dem so. Und noch heute erzählt man Gruselgeschichten von deren Gefangen und deren Toden. 

Adelaide hat Recht: Ich komme nicht raus, ohne Hilfe von aussen. Und wer würde mir helfen? Auch da behält sie Recht. Ich bin von Engländern umgeben, die mich als Nachkomme von Mary hassen. Und selbst in Schottland herrscht zur Zeit von Mary's Regentschaft Zwiespalte bei den Adeligen, was überhaupt der Grund gewesen war, weshalb sie in Frankreich aufgewachsen ist. Und was sicherlich auch einer der Gründe gewesen war, weshalb sie mich fortschickte.

Wenn ich mich doch eher über die Verwandtschaft von Fionn erkundigt hätte und alle Anhänger Mary's. Ich hätte wissen müssen, dass es eines Tages zu einer solchen Situation kommen würde. Ich hätte wissen müssen, dass ich eines Tages Hilfe von jenen brauchen würde, die mich durch die Jahrhunderte schickten und beschützten. 

Wie dumm ich doch gewesen war!

»Es gibt noch immer schottische Adelige, die Mary Stewart unterstützen«, sage ich, leise, eher zu mir selbst als zu Adelaide.

»Natürlich gibt es die. Es gibt auch Engländer, die Mary Stewart unterstützen. Aber nicht hier. Nicht im engsten Kreis der Königin.«

»Das weiss ich«, erwidere ich etwas gereizt. 

»Ich mache dir einen Vorschlag: Ich helfe dir, wenn du deine Mutter dazu überredest ihren Anspruch auf den englischen Thron aufzugeben. Ihr Streben nach Macht hat ihr das Leben gekostet... Zudem wäre eine schottische Regentschaft in England nicht gut für unser Volk.«

Ich sehe sie an, als habe sie den Verstand verloren. »Das werde ich sicherlich nicht tun. Sie hat ein Recht auf den Thron in England. Eure Elizabeth ist ein illegitimes Kind.«

Adelaide zuckt mit den Schultern. »Dann stirbst du alleine in diesen Gefängnismauern. Verlassen, vergessen von der Zeit, begraben unter Stein und Sand.«

»Nicht ganz allein, wenn man bedenkt, dass du ebenso wie ich gefangen gehalten wirst. Ausserdem würde ich in die Geschichte eingehen als Mary's Kind, welches von euch verfluchten Engländern zur Flucht gezwungen wurde. Elizabeth könnte doch nicht anders, als damit zu prahlen.«

Adelaide zuckt ihrerseits mit den Achseln, doch ich kann an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass sie weiss, dass ich Recht habe.

Wenn es tatsächlich mein Schicksal so will, dass ich hier sterbe, werde ich nicht in Vergessenheit geraten. Nicht ohne Sinn sterben, jene die mich lieben, werden sich erinnern. 

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt