Während ich hier so sitze, mit gefesselten Handgelenken und an den Stuhl gebundenen Fußknöcheln, denke ich seit Ewigkeiten an diesen Roman, der viele Stunden meiner Freizeit ausgefüllt hat. Und eines von vielen wunderbaren Textzeilen lautet: "Da ist etwas Halsstarriges in mir, das einfach nicht ertragen kann, wenn man ihm droht. Mein Mut wächst mit jedem Versuch, mich einzuschüchtern."
Jane Austen ist toll. Eine Pionierin ihrer Zeit.
Was nicht so toll ist, sind die merkwürdig aussehenden Geräte, welche vor mir auf dem Tisch liegen. Da ich mich keinen Zentimeter bewegen kann, drehe ich meine Handgelenke ewig hin und her. Inzwischen müssen sie aufgescheuert sein, blutendes Fleisch unter Seilen.
»Na gut, Leute«, murre ich müde und genervt. Meine Haare kleben nass an meinen Wangen und in meinem Hals kratzt es unangenehm. Ich hole mir hier sicherlich noch eine Lungenentzündung. »Was jetzt?«
Die Männer, alle in schwarze Masken und Kleidung gehüllt, welche sich im Raum befinden, gehen hinaus ohne ein weiteres Wort. Inzwischen bin ich sicherlich einige Stunden hier drin, gefesselt und gefoltert. Wenigstens probieren sie es nicht mit Elektroschocks oder dem Abtrennen von Gliedmassen.
Stattdessen haben sie meinen Mund mit einem Waschlappen bedeckt, zwei Mann haben mich festgehalten und mit einem Kübel Wasser übergossen, sodass ich keine Luft mehr bekommen haben.
Dabei habe ich keine Ahnung, was sie eigentlich genau von mir wissen wollen.
Dann urplötzlich öffnet sich die Tür wie ein Kanonenschuss in der Stille der Nacht. Ich hätte mich sicherlich erschrocken, wenn ich nicht so müde und mein Geist nicht so betäubt gewesen wäre. Ich sehe auf, und zum ersten Mal begegnet mir hier drin kein vermummter Mann mit bösen Augen. Tatsächlich trägt diese Person keine Maske.
Und tatsächlich handelt es sich um keinen Mann. Es ist eine Frau. Eine rothaarige Frau. Ihr Gesicht ist nicht annähernd so schön wie ihr Kleid und doch strahlt sie eine Eleganz und Sicherheit aus, die mich nicht nur beeindruckt sondern vor allem einschüchtert.
Ich kann nichts gegen die Gänsehaut tun, die meine Arme überzieht und mich fast schon schaudern lässt.
Sie lächelt, als ich ihren kalten Blick fragend erwidere. Ich kann nicht einen Funken Wärme in ihren Augen erkennen, nichts, dass Mitgefühl oder Mitleid auch nur nahe kommt. Und ich frage mich, was das für eine Person ist, die mich hier so quält und daran Freude empfindet.
»Was für eine Ehre... dich kennen zu lernen«, sagt sie mit spitzen Lippen.
Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Das ist Elizabeth Tudor, die jungfräuliche Königin. Und durch die verhasste Verwandtschaft mit der katholischen, schottischen Königin Maria Stuart, meiner Mutter, scheint sie ganz offenkundig nicht wohlgesinnt mir gegenüber.
»Noch immer kann ich nicht glauben, dass deine Mutter dich fortschickte«, fährt sie unbeirrt meiner erkennenden Miene fort. »Ich habe immer geahnt, dass es dich gegeben hat. Allerdings habe selbst ich nicht damit gerechnet, dass ein Stuart Nachkomme über Jahrhunderte hinweg leben würde und mir selbst in einem anderen Zeitalter drohen könnte.«
Ich glaube sofort, dass diese Frau sich von mir bedroht fühlt. Vermutlich hat sie sich ihr gesamtes Leben bedroht und ihrem Recht beraubt gefühlt. Dennoch entspricht es nun mal der Wahrheit, dass Maria Stuart ein Anrecht auf den englischen Thron hatte, als einzige katholische Nachfahrin von Heinrich dem Achten.
Zudem kann ich sie nicht ausstehen, weil mit dem Tod meiner Mutter das schottische Leben vollends endete. Ihr Tod war der Wendepunkt in diesem traurigen Untergang. Und ihr Tod wurde von Elizabeth befohlen, und somit haben die Engländer eine wundervolle Kultur zerstört und unterjocht.
»Wie du siehst, hat es eine verdammte Ewigkeit gedauert, dich endlich aufzuspüren«, sagt sie schliesslich. »Wir haben lange nicht gewusst, wo du bist. Aber da ich glücklicherweise ebenso eine Zeitreisende bin, konnte ich meinen Tod öfters austricksen.«
Unfassbar, denke ich. »Wie kann es sein, dass eine Königin wie Ihr sich von einem Mädchen wie mir bedroht fühlt?«
Sie kommt auf mich zu, packt mich am gefesselten Oberarm und drückt fester zu, als ich ihrer zarten Erscheinung zugetraut hätte. »Versuche nicht, mich hinter's Licht zu führen, junge Prinzessin. Ich weiss, wer Mary Stewart ist und was sie fähig ist, zu tun. Glaubst du allen Ernstes, ich vertraue auf deine Worte der Unschuld?«
»Ich kenne meine leibliche Mutter kaum«, erwidere ich trotzig. Wenn Fionn hier wäre, würde er mich in diesem Moment vermutlich treten, damit ich die Klappe halte.
»Dennoch bist du eine gebürtige Königin, Tochter zweier Monarchen. Und ich traue dir nicht. Noch traue ich den diabolischen Machenschaften deiner Eltern«, spukt sie, als wäre Gift im Inneren ihres Mundes.
»Was wollt Ihr jetzt tun?«
Elizabeth lässt mich los, erneut spöttisch grinsend und hebt eine silberne Kette hoch, an dem ein Anhänger baumelt. Mein Zeitreise-Amulet. »Du wirst hier nichts als den Tod finden.«
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...