Schwarze Höhle

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London, England 1566

Ich träume.

Ich denke, ich träume.

Ein verwirrendes schwarzes Loch scheint mich einzusaugen. Ich bin verloren in der Dunkelheit, schwebe haltlos durch einen schwerelos ähnlichen Raum, der sich ins Unendliche dehnt. Meine Haut fühlt sich an wie die einer Seifenblase, die bei jeglicher Berührung zerplatzt. Nackt, verzweifelt, verängstigt, unwissend treibe ich durch's Chaos meines Unterbewusstseins. Keinen Ausweg vor Augen, kein Entkommen sichtbar.

Ein fürchterlicher Traum, der sich noch dazu so real anfühlt.

Jedoch ist alles noch schlimmer, als ich aus diesem Traum aufwache. Mein Körper scheint aus einer tiefen Ohnmacht aufzuwachen, die er nur schwerlich hatte ertragen können. Alles schmerzt, bis tief in meine Knochen hinein fühle ich die Tortur der letzten Stunden.

Ich öffne die Augen, doch nur Schwärze empfängt mich. Ich liege zusammengekrümelt auf einer sehr harten Oberfläche und es riecht muffelig. Nur langsam gewöhnen sich meine Augen an das fahle Licht, welches hier drin herrscht. Denn obwohl kein elektrisches Licht scheint, brennt eine einzelne Kerze in scheinbar weiter Ferne.

Unter Schmerzen bewege ich mich, setze mich langsam auf und versuche mich zu orientieren. Im Inneren meines Kopfes hämmert es ohrenbetäubend laut, in meinem Magen trommelt es übelkeitserregend.

Als ich mich umsehe, realisiere ich, dass ich in einer Art Höhlenartigen Kammer hocke. Was erklären würde, weshalb mein Körper so schmerzt: Nichts als nackter, schwarzer Stein.

»Endlich bist du wach«, sagt eine Stimme, die allerdings aufgrund der Höhle leicht hallt. »Ich dachte schon, du stirbst hier drin.«

Ich sehe in die Richtung, aus der ich vermute, dass die Stimme kommt. Aber ich bin so verwirrt, mein Kopf so vernebelt, dass ich mir nicht im Geringsten sicher bin. »Wer ist da?«

»Eine unglücklich Gefangene, ebenso wie du«, erwidert die Stimme. Sie ist weiblich. Ein wenig frech, wie ich finde. Und auch etwas zu schlagfertig für eine solche, meiner Meinung nach aussichtslosen, Situation.

»Hat diese Gefangene auch einen Namen?«, frage ich ein bisschen schnippisch zurück. Als hätte ich Geduld für so ein Spielchen.

Ich höre sie leise kichern. »Klar. Hat sie.«

Ich schnaube. »Mal ehrlich, was ist los bei dir? Haben sie dir einen Klumpen Stein auf den Kopf gehauen und du bist komplett verwirrt?« Von wegen schlagfertig.

»Ich glaube, von uns beiden bist du die Verwirrte«, erwidert sie plump. »Ich bin Adelaide. Adelaide Spencer.«

Ich seufze erschöpft. Für einen Schluck Wasser würde ich jetzt vermutlich jemanden umbringen. Mein Hals fühlt sich so trocken an wie die Wüste im Sommer. Doch dann denke ich über ihren Namen nach... »Spencer, wie die Spencer-Familie?«, frage ich nach um sicher zu gehen.

Jetzt höre ich sie ihrerseits laut seufzen. »Ja, genau. Die Spencer-Familie.«

»Also... Spencer, wie Lady Diana und Georgiana Cavendish?«

Sie bewegt sich deutlich, es raschelt, als ob Kleidung über eine harte Oberfläche schleift. »Ja, ist wohl so. Was weisst du über Georgiana?«

Eine merkwürdige Frage, denke ich. Ich könnte ihr verraten, dass ich Geschichte studierte und es mein Hobby ist, noch mehr zu erfahren. »Nun ja... Was man halt so über sie weiss, nicht? Der Film mit Keira Knightly gefällt mir ganz gut.«

Adelaide räuspert sich, als müsste sie ein Lachen unterdrücken. Erneut bewegt sie sich, dann höre ich ein Schaben über den Stein. Das Geräusch muss von einem Gegenstand kommen. »Ich kann dir Wasser bringen. Sicherlich bist du komplett ausgetrocknet«, bietet sie mir an.

»Bitte!«, sage ich flehentlich.

Sofort bewegt sie sich. Sie scheint aufzustehen. Ich höre nackte Füsse auf dem Boden. Urplötzlich sehe ich ein Gesicht vor mir. Beinahe erschrecke ich darüber, denn nach einer Weile ohne irgendetwas zu sehen, ist das schon fast verwirrend.

Adelaide ist eine hübsche Brünette mit langen Haaren, sanften Gesichtszügen und schön geschwungenen Lippen. Sicherlich stehen die Verehrer bei ihr Schlange, denn irgendwie hat sie etwas wildes, fast schon exotisches an sich. Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, dass sie ein wenig jünger ist als ich.

»Hi«, sagt sie und lächelt ein wenig. Dann reicht sie mir den halbgefüllten, hölzernen Becher.

»Hi«, erwidere ich und nehme den Becher dankend entgegen.

»Du bist hübsch«, sagt sie zu mir, beobachtet mich dabei, wie ich gierig den allerletzten Tropfen aus dem Becher trinke. »Und wie heisst du?«

»Emma«, erwidere ich, unschlüssig ob ich ihr meinen Nachnamen nennen soll. Und wenn ja, welchen?

»Emma«, wiederholt sie, als ob sie sich den Namen auf der Zunge zergehen lassen würde. »Emma Sinclair?«

Überrascht schaue ich auf. Woher kennt sie meinen Namen? »Ja. Woher weisst du das?«

Sie zuckt die Achseln und ein verschmitztes Grinsen tritt auf ihr Gesicht. »Eine junge Blondine, die von der schwarzen Garde gefangen genommen wird und Emma heisst? Das muss ja fast die verschollene Sinclair sein, die dem Londoner Zirkel seit geraumer Zeit Ärger macht.«

Ihre Antwort ist merkwürdig, denke ich erneut. Adelaide scheint mehr zu wissen, als normale Zeitreisende es tun. »In Ordnung... Und wieso bist du dann hier?«

Sie macht es sich neben mir gemütlich. So gemütlich wie man es sich in einer sau unbequemen Höhle ohne Licht und Wärme eben machen kann. »Ich habe gehört, dass du die Seiten zu unseren schottischen Freunden gewechselt hast. Und das obwohl du jahrelang versucht hast, die Misere deiner Vorfahrin wieder gut zu machen. Ich frage mich, woran das liegt? Zumal du inzwischen von den Engländern gejagt wirst...«, meint sie schulterzuckend. Eine kaum versteckte Frage steckt dahinter, und es klingt fast so, als ob sie die Antwort darauf bereits kennt.

Ich seufze erneut. Was soll's? »Ich bin sicher, du weisst, was dahinter steckt, also hör auf mit mir zu spielen.«

Wieder grinst sie. »Wie krass. Die lang verloren geglaubte Erbin von Mary Stuart lebt tatsächlich. Das ist total abgefahren, ich kann es nicht glauben dir zu begegnen.«

Ich gehe ihrem Blick aus dem Weg. Diese Bezeichnungen, diese ungewollte Aufmerksamkeit aufgrund meiner Geburt ist mir zutiefst unangenehm. Das alles sollte geheim sein, und es auch bleiben. »Woher weisst du das? Ist das allzu bekannt?«

»Nein«, erwidert sie und schüttelt wild den Kopf, sodass ihre Haarpracht um ihr Gesicht schwingt. »Natürlich nicht. Aber als Spencer habe ich zu vielerlei interessanter Informationen zugriff, du würdest dich wundern.«

Ich erinnere mich plötzlich daran, dass ihr Vater Charles Spencer, der momentane Earl Spencer, Vorsitzender und Mitglied des inneren Kreises des Londoner Zirkels ist. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie über so einiges Bescheid weiss.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt