Ich verstehe... Ich verstehe, was sie sagt, doch ich habe keine Ahnung, wie ich darauf reagieren soll. Wenn ich könnte, dann würde ich möglicherweise dieser enormen Verantwortung gegenübertreten.
Aber so wie die Dinge momentan stehen kann ich das nicht. Ich bin nicht bereit dafür und ich bin auch nicht sicher, ob ich es je sein werde.
Ich? Eine Königin? Ich, die Retterin des alten Schottlands? Wohin denken diese Menschen eigentlich, die alles für meine Rettung taten und noch immer für mich einstehen?
»Emma, du -«, setzt Freya an, als sie meine gedankenverlorene Miene richtig zu deuten scheint. Sie kommt dabei auf mich zu, doch noch bevor sie ihren Satz zu Ende bringen kann, ertönt ein beinahe ohrenbetäubender Knall vom vorherigen Raum zu uns hinein.
Der Boden erbebt unter dem Krach, sodass wir uns beide gleichermassen am kleinen Tischchen festhalten, welches neben uns steht. Natürlich bringt das nicht sonderlich viel, jedoch kann keine von uns dem Instinkt entgegentreten. Freya und ich sehen uns an, mit weit geöffneten Augen und Mund, beide nichts sagend doch mit einer deutlichen Frage zwischen uns in der Luft.
Ich will geschwind auf die Tür zugehen, doch dann ertönt erneut Krach. Dieses Mal jedoch sind es keine explosionsartigen Geräusche, sondern boshafte, raue Stimmen, die durcheinander schreien, harte Schläge gegen aufeinanderprallende Körper und das austreten von Luft aus Lungen, welches deutlich zu erkennen ist.
»Nicht!«, ruft Freya panisch, als ich beinahe auf die Tür zu renne. »Sie sind meinetwegen hier.«
Ich sehe sie an, als ob sie das nicht ernst meinen kann. Doch ich kann an ihrem erschrockenen Gesichtsausdruck erkennen, dass sie wahnsinnige Angst hat. Einen Moment rühre ich mich nicht, jedoch wild entschlossen nicht tatenlos hier rumzusitzen, während Fionn da draussen möglicherweise bereits ausser Gefecht gesetzt ist.
Doch dann fällt mir ein, dass ich keinerlei Waffen mehr besitze und vollkommen wehrlos in diesem Raum stehe. Verdammter Bodyguard!
»Was sollen wir tun?«, rufe ich mit gedämpfter Stimme. Ich kann nicht einfach nichts tun.
Freya setzt zum Sprechen an, indem sie verzweifelt blickend den Mund öffnet. Doch sie wird erneut unterbrochen, indem jemand brutal die Tür auftritt. Eine Horde in schwarz gekleideter Soldaten treten ein. Sie alle haben ihr Gesicht verhüllt, sodass lediglich ihre Augen deutlich erkennbar sind.
Die schwarze Garde, denke ich.
Die Männer, von Kopf bis Fuss bewaffnet, bleiben stehen, nachdem sie sich allesamt im Raum verteilt haben. Und das ist eine echte Kunst, denn dieser muffelige Raum ist winzig und es passen kaum ein dutzend Mann hinein. Fionn und Levi werden geknebelt und gefesselt von zwei weiteren Männern in Schwarz in den Raum gezerrt. Beide sind übel zugerichtet; verquollene Augen, blutende Gesichter und auf Knien ins Zimmer geschleift.
Angst packt mich. Eine zerreissende, bösartige Angst, die mich komplett einzunehmen scheint, denn ich kann an nichts anderes mehr denken als an ihn und sein Wohlbefinden.
Unsere Blicke treffen sich. Und obwohl er komplett verprügelt ist, sind seine Augen und der dazugehörende Blick stark und vielsagend. Ich weiss, dass er von mir verlangt durchzuhalten. Dass er es nicht ertragen könnte, wenn mir etwas geschieht und dass ich niemals klein bei geben darf.
Fast bin ich geneigt bestimmt den Kopf zu schütteln, denn ich werde nicht über Leichen gehen um meine Haut zu retten. Ich werde nicht über seine Leiche gehen, um meine Haut zu retten. Doch dann kommt mir der Gedanke, dass er etwas Dummes machen könnte, wenn ich ihm das jetzt schon zu verstehen gebe.
»Na sieh Mal einer an«, sagt dann eine dunkle, durchdringende Stimme. Ein grosser, breitschultriger Mann kommt ebenso in den Raum und tritt so nahe an Freya und mich heran, dass ich seinen widerlichen, schweissigen Geruch wahrnehmen kann. Er als Einziger trägt keine Gesichtsverhüllende Maske, sodass ich mit Schrecken feststelle, dass er kaum älter als ich sein kann.
Er lächelt, als er meinen Schreck erkennt. Dann sieht er von mir zu Freya, die noch ängstlicher wirkt, als ich. »Miss Sinclair, wie schön, dass wir Euch endlich gefunden haben.«
Niemand sagt auch nur ein Wort. Dann beugt sich der fremde Anführer zu mir vor, sodass ich seinen fauligen Atem riechen kann. Beinahe muss ich mich übergeben. »Und Ihr... Stuart Nachkomme.«
Er spukt meinen geburtsmässigen Namen beinahe aus, als wäre er Gift. Und so kann ich das erste Mal wahrhaftigen Hass für meine blosse Existenz wahrnehmen.
»Wisst Ihr eigentlich, wie viele Nationen Euren Tod wollen?«, fragt er mich.
Wie dumm diese Frage doch ist. Wenn ich nicht solche Furcht empfinden würde, dann hätte ich ihm jetzt eine schlagfertige Antwort entgegen geschleudert, welche sich gewaschen hätte.
»Ich bin sicher, die englische steht ganz oben auf der Liste«, erwidere ich also nur, um Demut bedacht. Auch wenn man wohl in der Unnachgiebigkeit meiner Stimmlage die Wahrheit hätte erkennen können.
Der Fremde lacht bitter. »Wie Recht Ihr habt, Miss«, erwidert er. »Und genau deshalb werdet Ihr uns jetzt auch begleiten.«
In diesem Moment, sobald diese Worte aus seinem Mund getreten sind, beginnt Fionn sich wie ein Verrückter zu wehren, indem er um sich tritt, sich gegen die bewaffneten Männer wehrt und dabei sogar einige zu Boden ringt. Doch schlussendlich ist das alles sinnlos, denn es sind zu viele und er ist verletzt.
Erneut lacht der Anführer der schwarzen Garde boshaft. »Wie ich sehe, habt Ihr einen willigen und sehr mutigen Verehrer, Miss Stuart... Wie dem auch sei«, sagt er und dreht sich zu seinen Männern um, die Fionn festhalten. »Erledigt ihn und dann verschwinden wir von hier. Miss Stuart, wie auch Miss Sinclair begleiten uns selbstverständlich.«
Dieses Mal bin ich diejenige, welche sich wie eine Verrückte wert. Und dabei reisse ich drei Männer auf den Boden, ich beisse und kratze, trete und boxe, doch wie nicht anders zu erwarten, packen mich zwei Männer und halten mich schmerzhaft still.
Noch immer zappele ich so sehr, dass alle um mich herum genervt zu brüllen beginnen. Nach einem geschrienen Befehl von der Seite des Anführers werde ich schmerzhaft hart niedergeschlagen, sodass ich beinahe augenblicklich in Ohnmacht falle.
Das letzte was ich sehe, sind seine Augen, sein zu Tode geängstigter Gesichtsausdruck und seine sich bewegenden Lippen. Doch ich kann seine letzten Worte an mich nicht lesen, weiss nicht, was er sagt.
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...