Es ist ein berauschendes Gefühl, ein merkwürdiges Gefühl mein Spiegelbild so verändert zu betrachten: Goldenes, weisses Kleid mit filigranen Mustern auf dem A-förmigen Rock und spitzen Verzierungen am viereckigen Ausschnitt. Aber abgesehen von diesem majestätischen Kleid, ist das wirklich verstörende an meinem Anblick, die dezente Krone, welche die Zofe in mein Haar mit eingeflochten hat, während sie meine Hochsteckfrisur fertigte.
Möglicherweise war es ein Fehler meiner Mutter zu erlauben, mich dem schottischen Adel am Hof vorzuführen, denn eigentlich habe ich mich noch immer nicht entschieden.
Aber Mary ist der Meinung, dass mir das vielleicht helfen könnte, eine Entscheidung zu treffen. Ausserdem will sie unbedingt ihr Versprechen wahr machen, für den renommierten Helden ein Fest abzugeben.
Ich fahre mit den Fingern über den steifen Stoff, so wie ich es immer tue und lege den Kopf zur Seite. Ich betrachte mich weiter im Spiegel, bis es wenige Minuten später an meiner Tür klopft.
Ich laufe hin und öffne sie. Mary steht mit einem sanften, etwas unsicheren Lächeln im Flur und sieht mich bittend an. Sie hält eine kleine, hölzerne Schatulle in den Händen. Sie sieht wunderschön aus: Elegant, edel, voller Grazie. Wie eine wahre Königin. Ich bezweifle, dass ich je so aussehen werde.
Ich erwidere ihr Lächeln zögernd. Ich empfinde noch immer eine gewisse Distanz zwischen uns, wobei ich nicht sicher sagen kann, woran das liegt. Zwischen Francis und mir ist es vollkommen anders.
»Ich habe ein Geschenk für dich«, sagt sie zu mir und überreicht mir die Schatulle. »Sicherlich bist du erfreut über deren Inhalt. Vor allen Dingen, bevor das Fest beginnt.«
Ich runzle fragend die Stirn, sage jedoch nichts weiter, sondern öffne den Deckel der Schatulle. Darin befindet sich, sauber und blitzend, mein verloren geglaubtes Amulett. Der Jade glänzt, als ob er eigenhändig für diesen Anlass poliert worden ist.
Meine Augen werden gross und ich bin sprachlos, als ich das alte Amulett herausnehme und den Stein zwischen meinen Fingern hindurchfließen lasse. Er fühlt sich an wie immer. Ein frisches Kribbeln erfasst meinen steifen Körper und sofort fühle ich mich lebendig und enthusiastisch. Die Magie des Steins entfaltet sich.
»Ich...«, stammle ich. »Das ist unglaublich, ich danke dir vielmals!«
Mary's Lächeln wird breiter und sie nickt anerkennend. »Die Männer haben dein Amulett gefunden, während sie den Tower belagerten. Allerdings hat niemand gewusst, dass es sich dabei um dein Zeitreise-Amulett handelte.«
Ich nicke. Dann nehme ich es vollends aus der Schatulle und ziehe es vorsichtig über meinen Kopf, um meine Haare nicht zu ruinieren. Ich spüre, wie es aufheizt um meinen Hals und lebendig zu pulsieren beginnt. Eine Reaktion, die das Amulett nur zeigt, wenn es um meinen Hals hängt.
»Es wäre mir eine Ehre, wenn du als meine Begleitung in den Ballsaal eintrittst«, fährt Mary schliesslich fort und hält mir ihren Arm als Einladung entgegen.
Ich zögere einen Moment, dann nicke ich erneut und hake mich bei ihr unter. Sie zieht mich aus dem Raum und führt mich durch das Schloss zum Thronsaal, der ebenso als Ballsaal fungiert. Wir unterhalten uns während unseres Gangs durch's Schloss leise miteinander, was mich etwas entspannt.
Mich mit allen Adeligen und potentiell wichtigen Persönlichkeiten der schottischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, versetzt mich in Angst und Schrecken. Was ein ungewohntes Gefühl ist, denn ich wurde mein Leben lang auf Situationen wie diese vorbereitet. Doch die Aussicht, dass ich möglicherweise für immer hier bleiben werde und diese Menschen ein Teil davon sind, womit ich mich auseinandersetzen muss, macht mich fertig.
»Emma«, höre ich die Stimme des Königs und drehe mich um, als dieser hinter uns aufgetaucht ist. Inzwischen stehen wir bereits vor den Türen des Thronsaals, wo die Wachen sich ehrfurchtsvoll verneigen. Ich kann bereits die Geräusche der vielen Menschen hinter der Tür hören, was meine Nervosität nicht besonders dämpft.
Neben Francis tritt Fionn hervor. Anscheinend hat er genau wie ich ein Abholkommando in der Form meines Vaters bekommen, was mich ungemein misstrauisch werden lässt. Ich runzle die Stirn, sage jedoch nichts.
»Du siehst bezaubernd aus«, sagt Francis zu mir, als er näher an mich herantritt. Ich erwidere sein freundliches Lächeln, ein wenig überrumpelt über seine direkte Ehrlichkeit.
Sobald die Türen zum Thronsaal aufgehen, zieht Mary erneut an meinem Arm und führt mich ins Innere. Viele Menschen, hauptsächlich Männer aber auch viele Frauen, stehen abseits und unterhalten sich laut lachend miteinander. Allesamt ein Becher mit Wein oder sonstigen alkoholischen Getränken und Fächern in ihren Händen, um sich frische Luft zuzufächeln.
Die langgezogene Mitte des Saales ist freigeräumt, damit die restlichen Pärchen tanzen können. Auf dem Podest, oberhalb unserer Köpfe, ist ein halbes Orchester aufgebaut, welches frische und lebendige Musik spielt. Dutzende von Dienstboten wuseln unauffällig mit Tabletten und frischem Essen durch den Saal und bedienen die Adligen. Zudem entsteht eine mysteriöse Aura, wegen der Kerzen, die als einziges Licht spenden. Es ist allerdings nicht zu dunkel, denn von diesen Kerzen sind praktisch hunderte und in allen möglichen verschiedenen Größen aufgestellt.
Es herrscht ganz offenkundig eine gute Laune.
Dass ein Diener uns ankündigt, bekomme ich gar nicht mit, ich bin noch so überwältigt von diesem Anblick. Es ist selbstverständlich nicht mein erster Baal, doch mein erster in Schottland. Hier sieht irgendwie alles anders aus, als bei den verklemmten Engländern.
Und dann sind urplötzlich alle Augen auf uns, beziehungsweise mich, gerichtet. Mir ist bekannt, dass der Adel inzwischen über meine Existenz informiert ist, jedoch habe ich nicht damit gerechnet, dass ich wie auf einem Silbertablett präsentiert werde.
Wenn ich könnte, dann würde ich jetzt sicherlich rot anlaufen. Wie eine verdammte Tomate.
Nachdem die Musik wieder angefangen hat, einzusetzen, gehen wir hinein und Francis löst Mary's Arm von meinem. Sie gehen gemeinsam zu ihrem rechtmässigen Platz auf ihren Thron und haben unterwegs einige Gespräche zu führen, da sich alle für das junge Königspaar zu interessieren scheint.
Fionn und ich bleiben alleine zurück und bevor die neugierigen Blicke der Adligen zu lästig werden, hat Fionn auch schon meine Hand gegriffen und führt mich schnurstracks auf die Tanzfläche.
»Warte! Solltest du das nicht besser lassen?«, werfe ich ein, besorgt um sein körperliches Wohlergehen, doch er unterschlägt meinen Einwand mit seinem Arm um meine Taille.
Ich stutze, werfe ihm einen fragenden Blick zu. Er weiss doch wohl, wie man in diesem Jahrhundert tanzt. Woraufhin Fionn ein wenig lacht und nickt. Er lässt mich los und wir treten in Stellung.
Sobald ein neues Lied einsetzt, beginnen wir im Takt zu tanzen, gemeinsam mit den anderen Pärchen, die uns nur ab und zu einen Blick zuwerfen.
»Was hast du mit meinem Vater besprochen?«, frage ich ihn, über den Lärm der Musik hinweg.
Fionn zuckt unschuldig mit den Schultern. »Du musst doch nicht immer alles wissen, Emma.«
Ich hebe verwirrt eine Augenbraue. »Was soll das denn bedeuten?«
Fionn zieht mich urplötzlich aus meiner Reihe, an seine Brust und flüstert mir ins Ohr: »Ich sagte dir doch: Mit dir bis ans Ende! Nun, dein Vater scheint mir dafür seinen Segen zu geben.«
Noch immer bin ich verwirrt. Es passt überhaupt nicht zu ihm in solch kryptischen Worten zu sprechen, aber sein Grinsen sagt mir, dass ich es früher oder später noch erfahren werde.
Also winke ich ab und verdrehe bloss die Augen. Es wäre unsinnig, mit ihm darüber zu diskutieren, denn ganz offensichtlich will er mich noch nicht einweihen.
Also tanzen wir unbeachtet der Tatsache weiter, dass wir noch immer von allen Seiten angestarrt werden.
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...