Verregnete Offenbarungen

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Feiner Regen rieselt vom schwarzen Himmel hinab. Die Wolken sind so dunkel, dass man nicht erkennen kann, wie viele es sind. Um ehrlich zu sein, sieht es eher so aus, als wäre es eine einzige grosse Decke aus schwarzer Farbe.

Ich sehe hinauf, und gerade in diesem Moment donnert es so ohrenbetäubend laut, dass ich beinahe erschrecke.

»Lass uns schnell reingehen«, sagt Fionn zu mir. »Es wird in wenigen Augenblicken aus allen Kübeln schütten.«

Ich erwidere nichts darauf, sondern folge ihm ins Innere des Mckenzie-Hauses. Es ist warm und duftet ganz vertraut.

Es überrascht mich, dass ich mich bereits an alles was dieses Haus beherbergt gewöhnt habe. Selbst an so so seltsame Dinge wie der stillgestandene Geruch im Salon und das beinahe eklig süssliche Parfüm der Köchin.

Ihre rundliche Figur und die geschwinden Hände erinnern mich meist an meine Großmutter, die schon seit vielen Jahren verstorben ist. Ich kann mich gut an ihre hektische Person erinnern und auch daran, dass sie uns Kinder immer ermahnte, ja genug zu essen.

Fionn stellt den riesigen Koffer, welcher ein Dienstmädchen für die kurze Reise packte, in den Eingangsbereich vor die Treppe, damit dieser erneut ausgepackt werden konnte. Darin befinden sich nicht nur unsere Klamotten und einige unverzichtbare Habseligkeiten, sondern auch die Bekleidung für die wenigen Reisen in die Vergangenheit.

Auch wenn das vollkommen unnötig gewesen ist, denn im Schloss hatten sie selbstverständlich einen regen Vorrat an Bekleidung für alle möglichen Jahrhunderte.

»Möchtest du etwas essen? Ich lasse nach einem verfrühten Abendessen im Salon rufen. Dann kannst du es dir gemütlich machen und wir unterhalten uns währenddessen«, sagt Fionn, nachdem er seinen bereits regennassen Mantel auszieht, ihn ausklopft und auf das Geländer der Treppe legt.

Er sieht zu mir herüber, sieht mir einen Moment tief in die Augen und dann sehe ich es: Ich sehe sein Mitleid, sein Mitgefühl... Und ich mag das überhaupt nicht.

»Wenn du es für nötig hältst?«, sage ich. Es klingt als wäre es eine Frage, doch eigentlich kenne ich seine Antwort bereits.

Er nickt, deutet auf den uns bereits vertrauten Salon. Ich gehe voraus und werfe einen Blick zurück, als die Tür hinter mir ins Schloss fällt. Ich weiss zwar nicht, was es dieses Mal ist... Was er mir erzählen möchte. Allerdings habe ich mich bereits auf dieses dumpfe Gefühl des Schocks eingestellt. So fällt es mir durchaus leichter, mich überhaupt mit irgendwem zu unterhalten.

»Ich komme gleich nach«, sagt Fionn, nachdem er die Tür erneut einen Spalt breit aufgemacht hat. »Ich gehe kurz in die Küche um unsere Rückkehr bekannt zu geben und gebe ein leichter Abendessen auf. Irgendeinen Wunsch?«

Ich schüttle schnell den Kopf, damit er abhaut. Einen Moment alleine ohne dieses ganze verrückte Geschwafel, käme mir ganz gelegen.

Ich ziehe meine Wasserfeste Jacke aus und werfe sie auf einen gepolsterten Fusshocker. Dann setze ich mich auf meinen inzwischen auserkorene Lieblingssessel, der mit der hohen Lehne und den weichen Armlehnen. Ich schnappe mir dazu einige gestickte Kissen vom Sofa gleich neben an und stopfe sie mir zwischen Rücken und Lehne.

Dann lehne ich mich zurück und schliesse einen Augenblick die Augen. Wenn doch alles so einfach wäre...

Nach kurzer Zeit schon, kommt Fionn mit ungeheuerlichem Krach in den Raum und setzt sich mir gegenüber auf das Sofa. Er sieht zu mir herüber, doch seine Augen verweilen nicht.

»Nachdem du zurückgekehrt bist, ist alles so schnell gegangen. Uns wurde ein Treffen mit dem König und der Königin befohlen, sodass wir uns nicht mehr weiter über die Vorkommnisse in der Vergangenheit zu unterhalten«, beginnt er.

Am liebsten hätte ich laut aufgeschrien. Diese ernsten Blicke und Gespräche gehen mir auf die Nerven. Um ehrlich zu sein, habe ich das Gefühl, ich müsse jemanden umbringen, wenn ich solche Gespräche weiterhin miterleben muss.

»Na und? Ich habe dir von allem berichtet, was passierte. Und ausserdem war das doch der eigentliche Grund, weshalb ich entführt wurde, oder etwa nicht? Wir wollten ein Treffen mit meiner Mutter arrangieren und dann haben mich diese englische Wilde geschnappt. Wir sollten doch eigentlich froh sein, jetzt, da es tatsächlich geklappt hat«, erwidere ich in einem gelangweilten Singsang Tonfall.

»Ja, aber es gibt da noch etwas...«

Ich unterbreche ihn schnell. »Obwohl ich streng genommen nur meinen Vater zu Gesicht bekommen habe, der erstaunlich feinfühlig gewesen ist. Ich kann nicht glauben, dass er so jung ist. Vielleicht wären wir besser einige Jahre später zu ihnen gegangen, damit ich nicht ganz so verwirrt von ihrem Anblick bin«, plappere ich munter drauflos.

»Klar, Emma. Was immer du willst. Doch was ich dich eigentlich fragen wollte, ist, wie du es gemacht hast in den Scottish Borders?«, fragt er, aber ich verstehe den Zusammenhang seiner Worte nicht.

»Wie bitte?« Ich klinge wie eine zickige, verwöhnte, kleine Prinzessin.

»Du bist gesprungen, in die Vergangenheit. Einfach so. Du hast nichts über dieses Land gewusst, ja, du wusstest doch noch nicht einmal wo du warst. Dennoch konntest du Jahrhunderte zurückspringen und das ohne die benötigten Informationen oder einen materiellen Anhaltspunkt der gewünschten Zeit, wie es üblich ist für Zeitreisende.«

Ich stutze. Er hat wohl Recht... irgendwie. Aber wie ist das möglich? »Was soll das bedeuten?«, frage ich ihn.

Er hebt die Hände, macht eine fragende Miene. »Ich weiss es nicht, sag du es mir? Ich habe noch nie von einer Zeitreisenden gehört, die ohne festen Anhaltspunkt reisen kann.«

Ich denke über die Vorkommnisse nach, die damals passiert sind als ich von diesen Idioten durch den Wald gejagt wurde. Ich erinnere mich genau daran, dass ich mir verzweifelt einen Ausweg suchte, da sie mit Waffen auf mich schossen. Trotz der geringen Möglichkeit, dass sie mich tatsächlich ermordet hätten, war es trotzdem notwendig von denen weg zu kommen.

Ich weiss, dass ich unterbewusst immer an die Vergangenheit als ultimatives Rettungsziel denke und offenbar habe ich mir damals ebenso diesen Ausweg ausgesucht. Ganz unterbewusst und instinktiv.

Aber wie habe ich das geschafft? Fionn hat Recht: Es gibt keine Zeitreisenden, die einfach so durch die Zeit schwirren, ohne Anhaltspunkt, ohne festen materiellen Gegenstand.

»Ich weiss wirklich nicht, wie das gehen soll. Ich habe es auch noch nie zuvor getan«, erwidere ich schliesslich ratlos.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt